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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entstehung des englisch-französischen Handelsvertrages.

Mitbürger auszuwerfen pflegen. Nicht jeder aber, der den thatsächlichen Ver¬
hältnissen fern steht, erblickt sie deswegen auch schon immer aus einem richtigern
Gesichtspunkte; und nicht jeder, dem die Angen verbunden sind, gleicht darum
schon der Göttin Themis, mag er mich heilig und theuer versichern, ganz "unbe¬
fangen" zu sein.


G. L.


Die Entstehung des englisch-französischen Handels¬
vertrages.

n der kleinen Schrift "Der Cobden-Club," von der Mir in der
nächsten Nummer d. Bl, eine ausführliche Besprechung beginnen
werden, ist auf die Erzählung verwiesen, welche Michel Chevalier
1869 von dein Zustandekommen des englisch-französischen Handels¬
vertrages von 1860 gegeben hat. Dieselbe ist unsers Wissens in
Deutschland noch nicht reproducirt worden oder doch nicht in die allgemein zu¬
gängliche Literatur übergegangen, obwohl sie für die Kenntniß der Zeitgeschichte
unentbehrlich ist. Auch in den englischen Werken über Cobde", den Unterhändler
des Vertrages, ist sie nicht benutzt. Das neueste derselben, Rivtmrä tüodäLir unä
los I'rvLtrträörs von Lewis Apjvhn (London, 1880), fängt den Abschnitt über
den Handelsvertrag gleich mit einer Unrichtigkeit oder wenigstens mit einer Ver-
schweigung an: "Anfangs Januar 1860 benachrichtigte der französische Kaiser
die englische Regierung, daß er geneigt sei, einen Handelsvertrag zu schließen."

Die Erzählung Michel Chevaliers gewinnt in diesem Augenblicke ein erhöhtes
und in, praktisches Interesse dadurch, daß zwischen England und Frankreich über
die Erneuerung des Vertrages verhandelt wird und ähnliche Verhandlungen
auch zwischen andern Staaten schwebe". Der Vertrag von 1860 hatte, was
zwar officiell bestritten wurde, aber in den englischen Parlamcntsdebatten des
genannten Jahres handgreiflich hervortritt, einen sachlichen Zusammenhang mit
der Annexion von Nizza und Savohen. Daß die gegenwärtigen Unterhand¬
lungen über Erneuerung jenes Vertrages mit den bekannten Vorgängen in Tunis
irgendwie im Zusammenhange stünden, hat Sir Charles Dilke in Abrede ge¬
stellt. Lrntus Wti Lruw" is -rü nononrMs ulla. Sagen wir also nur:
Wie neben dem Vertrage von 1860 Nizza-Savoyc", so geht neben den Erneuerungs-
versnchiu, Tunis her.

Eine zweite Aehnlichkeit ist aber nicht hinwegziilcugnen: die Verstecktheit,
mit welcher die englische Regierung dem Parlamente und dem Volke gegenüber
1860 verfahren ist, gleicht der von heute auffallend. Auch jetzt wird hinterm


Die Entstehung des englisch-französischen Handelsvertrages.

Mitbürger auszuwerfen pflegen. Nicht jeder aber, der den thatsächlichen Ver¬
hältnissen fern steht, erblickt sie deswegen auch schon immer aus einem richtigern
Gesichtspunkte; und nicht jeder, dem die Angen verbunden sind, gleicht darum
schon der Göttin Themis, mag er mich heilig und theuer versichern, ganz „unbe¬
fangen" zu sein.


G. L.


Die Entstehung des englisch-französischen Handels¬
vertrages.

n der kleinen Schrift „Der Cobden-Club," von der Mir in der
nächsten Nummer d. Bl, eine ausführliche Besprechung beginnen
werden, ist auf die Erzählung verwiesen, welche Michel Chevalier
1869 von dein Zustandekommen des englisch-französischen Handels¬
vertrages von 1860 gegeben hat. Dieselbe ist unsers Wissens in
Deutschland noch nicht reproducirt worden oder doch nicht in die allgemein zu¬
gängliche Literatur übergegangen, obwohl sie für die Kenntniß der Zeitgeschichte
unentbehrlich ist. Auch in den englischen Werken über Cobde», den Unterhändler
des Vertrages, ist sie nicht benutzt. Das neueste derselben, Rivtmrä tüodäLir unä
los I'rvLtrträörs von Lewis Apjvhn (London, 1880), fängt den Abschnitt über
den Handelsvertrag gleich mit einer Unrichtigkeit oder wenigstens mit einer Ver-
schweigung an: „Anfangs Januar 1860 benachrichtigte der französische Kaiser
die englische Regierung, daß er geneigt sei, einen Handelsvertrag zu schließen."

Die Erzählung Michel Chevaliers gewinnt in diesem Augenblicke ein erhöhtes
und in, praktisches Interesse dadurch, daß zwischen England und Frankreich über
die Erneuerung des Vertrages verhandelt wird und ähnliche Verhandlungen
auch zwischen andern Staaten schwebe». Der Vertrag von 1860 hatte, was
zwar officiell bestritten wurde, aber in den englischen Parlamcntsdebatten des
genannten Jahres handgreiflich hervortritt, einen sachlichen Zusammenhang mit
der Annexion von Nizza und Savohen. Daß die gegenwärtigen Unterhand¬
lungen über Erneuerung jenes Vertrages mit den bekannten Vorgängen in Tunis
irgendwie im Zusammenhange stünden, hat Sir Charles Dilke in Abrede ge¬
stellt. Lrntus Wti Lruw« is -rü nononrMs ulla. Sagen wir also nur:
Wie neben dem Vertrage von 1860 Nizza-Savoyc», so geht neben den Erneuerungs-
versnchiu, Tunis her.

Eine zweite Aehnlichkeit ist aber nicht hinwegziilcugnen: die Verstecktheit,
mit welcher die englische Regierung dem Parlamente und dem Volke gegenüber
1860 verfahren ist, gleicht der von heute auffallend. Auch jetzt wird hinterm


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[0269] Die Entstehung des englisch-französischen Handelsvertrages. Mitbürger auszuwerfen pflegen. Nicht jeder aber, der den thatsächlichen Ver¬ hältnissen fern steht, erblickt sie deswegen auch schon immer aus einem richtigern Gesichtspunkte; und nicht jeder, dem die Angen verbunden sind, gleicht darum schon der Göttin Themis, mag er mich heilig und theuer versichern, ganz „unbe¬ fangen" zu sein. G. L. Die Entstehung des englisch-französischen Handels¬ vertrages. n der kleinen Schrift „Der Cobden-Club," von der Mir in der nächsten Nummer d. Bl, eine ausführliche Besprechung beginnen werden, ist auf die Erzählung verwiesen, welche Michel Chevalier 1869 von dein Zustandekommen des englisch-französischen Handels¬ vertrages von 1860 gegeben hat. Dieselbe ist unsers Wissens in Deutschland noch nicht reproducirt worden oder doch nicht in die allgemein zu¬ gängliche Literatur übergegangen, obwohl sie für die Kenntniß der Zeitgeschichte unentbehrlich ist. Auch in den englischen Werken über Cobde», den Unterhändler des Vertrages, ist sie nicht benutzt. Das neueste derselben, Rivtmrä tüodäLir unä los I'rvLtrträörs von Lewis Apjvhn (London, 1880), fängt den Abschnitt über den Handelsvertrag gleich mit einer Unrichtigkeit oder wenigstens mit einer Ver- schweigung an: „Anfangs Januar 1860 benachrichtigte der französische Kaiser die englische Regierung, daß er geneigt sei, einen Handelsvertrag zu schließen." Die Erzählung Michel Chevaliers gewinnt in diesem Augenblicke ein erhöhtes und in, praktisches Interesse dadurch, daß zwischen England und Frankreich über die Erneuerung des Vertrages verhandelt wird und ähnliche Verhandlungen auch zwischen andern Staaten schwebe». Der Vertrag von 1860 hatte, was zwar officiell bestritten wurde, aber in den englischen Parlamcntsdebatten des genannten Jahres handgreiflich hervortritt, einen sachlichen Zusammenhang mit der Annexion von Nizza und Savohen. Daß die gegenwärtigen Unterhand¬ lungen über Erneuerung jenes Vertrages mit den bekannten Vorgängen in Tunis irgendwie im Zusammenhange stünden, hat Sir Charles Dilke in Abrede ge¬ stellt. Lrntus Wti Lruw« is -rü nononrMs ulla. Sagen wir also nur: Wie neben dem Vertrage von 1860 Nizza-Savoyc», so geht neben den Erneuerungs- versnchiu, Tunis her. Eine zweite Aehnlichkeit ist aber nicht hinwegziilcugnen: die Verstecktheit, mit welcher die englische Regierung dem Parlamente und dem Volke gegenüber 1860 verfahren ist, gleicht der von heute auffallend. Auch jetzt wird hinterm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/269>, abgerufen am 01.09.2024.