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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

sitzern des halbe" Wergcldes je zwei den tüchtigeren ausnisten, die Besitzer von
1V solidi und mehr den Wachtdienst übernehmen, noch ärmere aber ganz vom
Dienste befreit sein sollen. Das Zusammenwirken mehrerer zur Aufstellung eines
Kriegsmnuns, das Adjutorium, zeigt sich aber allerdings seit dem Aachener
Capitular als dauernder Brauch. Kaiser Lothars Aufgebot gegen Corsieci (825)
unterscheidet z. B. drei Klaffen von Freien, deren erste diejenigen Männer um¬
faßt, welche wohlhabend genug sind, selbst auszurücken, während in der zweiten
Klasse sich mehrere nach dem Urtheile der Grafen zum Adjutorium vereinigen
sollen, indeß die letzte Klasse, nach alter, von den pflichttreuen Grafen zu be¬
obachtender Gewohnheit, der Armuth wegen überhaupt nicht herangezogen werden
darf. Ganz ähnlich sind die Anforderungen einer um wenige Jahre jüngeren
Instruction für die mit der Anfertigung von Stammrollen beauftragten misst
Kaiser Lothars. Immer ist der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht gewahrt;
sogar der völlig arme ist nicht an und für sich dienstfrei, sondern die Leistung
wird ihm nach dem Ermessen des Grafen in jedem einzelnen Falle besonders
erlassen. Ein heerbannpflichtiger Vater darf sich durch seineu tüchtigeren Sohn
vertreten lassen; hat der Vater jedoch mehrere Söhne, so darf nur einer und
zwar der mindestbrauchbare beim Vater zurückbleiben. Es ist eben nicht der
Besitz, welcher den freien Mann zum Dienste verpflichtet, sondern der Unter¬
thanenverband, der Fidelitätseid, den er dem Könige geschworen; der Besitz er¬
möglicht nnr die Pflichterfüllung.

Dies sind die rechtlichen Bedingungen. In der Praxis freilich stellten
sich die Angelegenheiten wesentlich anders; da wurde denu doch der Besitz und
insbesondere der Grundbesitz, trotz allem, naturgemäß zur Grundlage der wirk¬
lichen Leistung. Das zeigt sich deutlich z. B. darin, daß zwei oder mehrere
Brüder es oftmals vorzogen, ihr Erbe nicht zu theilen, damit uur einer als
Eigenthümer gelte, uur eiuer ins Feld zu ziehen brauche. Ein Capitular Lothars
vom Jahre 825 verbietet das; aber der eingerissene Mißbrauch lehrt doch, daß
mau thatsächlich nnr den Besitzer nnfzubieten pflegte. Dasselbe ergiebt sich ans
einem andern Schliche, der angewendet wurde, um dem Dienste zu entgehen:
von zwei Brüdern ward der eine Mönch und dndnrch dienstfrei, und nun weigerte
sich auch der andre des Heerbannes, weil der Mönch Besitzer des väterlichen
Erbes sei, er selbst aber nichts habe, wovon er dienen könne. Auch hier also
erscheint das Grundeigenthum als natürliche Bedingung der Leistung. Uebrigens
scheint doch auch Karl der Große schon den Gedanken verfolgt zu haben, so
weit es möglich sei, die Kriegsdienstpflicht deS Freien um eine gewisse Größe
des Grundbesitzes zu binden; aber allgemeine Bestimmungen für das ganze Reich,
ja auch nur für größere Landgebiete, konnten in einem so weitausgedehnter
Complex überaus verschiedener Culturen nicht das richtige Verhältniß treffen.
Unverkennbar haben auch Karl wie seine Nachfolger den in-Msus selbst in seinem
Bestände schützen, nur das bewegliche Vermögen zur Bezahlung des Heerbannes


Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

sitzern des halbe» Wergcldes je zwei den tüchtigeren ausnisten, die Besitzer von
1V solidi und mehr den Wachtdienst übernehmen, noch ärmere aber ganz vom
Dienste befreit sein sollen. Das Zusammenwirken mehrerer zur Aufstellung eines
Kriegsmnuns, das Adjutorium, zeigt sich aber allerdings seit dem Aachener
Capitular als dauernder Brauch. Kaiser Lothars Aufgebot gegen Corsieci (825)
unterscheidet z. B. drei Klaffen von Freien, deren erste diejenigen Männer um¬
faßt, welche wohlhabend genug sind, selbst auszurücken, während in der zweiten
Klasse sich mehrere nach dem Urtheile der Grafen zum Adjutorium vereinigen
sollen, indeß die letzte Klasse, nach alter, von den pflichttreuen Grafen zu be¬
obachtender Gewohnheit, der Armuth wegen überhaupt nicht herangezogen werden
darf. Ganz ähnlich sind die Anforderungen einer um wenige Jahre jüngeren
Instruction für die mit der Anfertigung von Stammrollen beauftragten misst
Kaiser Lothars. Immer ist der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht gewahrt;
sogar der völlig arme ist nicht an und für sich dienstfrei, sondern die Leistung
wird ihm nach dem Ermessen des Grafen in jedem einzelnen Falle besonders
erlassen. Ein heerbannpflichtiger Vater darf sich durch seineu tüchtigeren Sohn
vertreten lassen; hat der Vater jedoch mehrere Söhne, so darf nur einer und
zwar der mindestbrauchbare beim Vater zurückbleiben. Es ist eben nicht der
Besitz, welcher den freien Mann zum Dienste verpflichtet, sondern der Unter¬
thanenverband, der Fidelitätseid, den er dem Könige geschworen; der Besitz er¬
möglicht nnr die Pflichterfüllung.

Dies sind die rechtlichen Bedingungen. In der Praxis freilich stellten
sich die Angelegenheiten wesentlich anders; da wurde denu doch der Besitz und
insbesondere der Grundbesitz, trotz allem, naturgemäß zur Grundlage der wirk¬
lichen Leistung. Das zeigt sich deutlich z. B. darin, daß zwei oder mehrere
Brüder es oftmals vorzogen, ihr Erbe nicht zu theilen, damit uur einer als
Eigenthümer gelte, uur eiuer ins Feld zu ziehen brauche. Ein Capitular Lothars
vom Jahre 825 verbietet das; aber der eingerissene Mißbrauch lehrt doch, daß
mau thatsächlich nnr den Besitzer nnfzubieten pflegte. Dasselbe ergiebt sich ans
einem andern Schliche, der angewendet wurde, um dem Dienste zu entgehen:
von zwei Brüdern ward der eine Mönch und dndnrch dienstfrei, und nun weigerte
sich auch der andre des Heerbannes, weil der Mönch Besitzer des väterlichen
Erbes sei, er selbst aber nichts habe, wovon er dienen könne. Auch hier also
erscheint das Grundeigenthum als natürliche Bedingung der Leistung. Uebrigens
scheint doch auch Karl der Große schon den Gedanken verfolgt zu haben, so
weit es möglich sei, die Kriegsdienstpflicht deS Freien um eine gewisse Größe
des Grundbesitzes zu binden; aber allgemeine Bestimmungen für das ganze Reich,
ja auch nur für größere Landgebiete, konnten in einem so weitausgedehnter
Complex überaus verschiedener Culturen nicht das richtige Verhältniß treffen.
Unverkennbar haben auch Karl wie seine Nachfolger den in-Msus selbst in seinem
Bestände schützen, nur das bewegliche Vermögen zur Bezahlung des Heerbannes


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[0155] Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter. sitzern des halbe» Wergcldes je zwei den tüchtigeren ausnisten, die Besitzer von 1V solidi und mehr den Wachtdienst übernehmen, noch ärmere aber ganz vom Dienste befreit sein sollen. Das Zusammenwirken mehrerer zur Aufstellung eines Kriegsmnuns, das Adjutorium, zeigt sich aber allerdings seit dem Aachener Capitular als dauernder Brauch. Kaiser Lothars Aufgebot gegen Corsieci (825) unterscheidet z. B. drei Klaffen von Freien, deren erste diejenigen Männer um¬ faßt, welche wohlhabend genug sind, selbst auszurücken, während in der zweiten Klasse sich mehrere nach dem Urtheile der Grafen zum Adjutorium vereinigen sollen, indeß die letzte Klasse, nach alter, von den pflichttreuen Grafen zu be¬ obachtender Gewohnheit, der Armuth wegen überhaupt nicht herangezogen werden darf. Ganz ähnlich sind die Anforderungen einer um wenige Jahre jüngeren Instruction für die mit der Anfertigung von Stammrollen beauftragten misst Kaiser Lothars. Immer ist der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht gewahrt; sogar der völlig arme ist nicht an und für sich dienstfrei, sondern die Leistung wird ihm nach dem Ermessen des Grafen in jedem einzelnen Falle besonders erlassen. Ein heerbannpflichtiger Vater darf sich durch seineu tüchtigeren Sohn vertreten lassen; hat der Vater jedoch mehrere Söhne, so darf nur einer und zwar der mindestbrauchbare beim Vater zurückbleiben. Es ist eben nicht der Besitz, welcher den freien Mann zum Dienste verpflichtet, sondern der Unter¬ thanenverband, der Fidelitätseid, den er dem Könige geschworen; der Besitz er¬ möglicht nnr die Pflichterfüllung. Dies sind die rechtlichen Bedingungen. In der Praxis freilich stellten sich die Angelegenheiten wesentlich anders; da wurde denu doch der Besitz und insbesondere der Grundbesitz, trotz allem, naturgemäß zur Grundlage der wirk¬ lichen Leistung. Das zeigt sich deutlich z. B. darin, daß zwei oder mehrere Brüder es oftmals vorzogen, ihr Erbe nicht zu theilen, damit uur einer als Eigenthümer gelte, uur eiuer ins Feld zu ziehen brauche. Ein Capitular Lothars vom Jahre 825 verbietet das; aber der eingerissene Mißbrauch lehrt doch, daß mau thatsächlich nnr den Besitzer nnfzubieten pflegte. Dasselbe ergiebt sich ans einem andern Schliche, der angewendet wurde, um dem Dienste zu entgehen: von zwei Brüdern ward der eine Mönch und dndnrch dienstfrei, und nun weigerte sich auch der andre des Heerbannes, weil der Mönch Besitzer des väterlichen Erbes sei, er selbst aber nichts habe, wovon er dienen könne. Auch hier also erscheint das Grundeigenthum als natürliche Bedingung der Leistung. Uebrigens scheint doch auch Karl der Große schon den Gedanken verfolgt zu haben, so weit es möglich sei, die Kriegsdienstpflicht deS Freien um eine gewisse Größe des Grundbesitzes zu binden; aber allgemeine Bestimmungen für das ganze Reich, ja auch nur für größere Landgebiete, konnten in einem so weitausgedehnter Complex überaus verschiedener Culturen nicht das richtige Verhältniß treffen. Unverkennbar haben auch Karl wie seine Nachfolger den in-Msus selbst in seinem Bestände schützen, nur das bewegliche Vermögen zur Bezahlung des Heerbannes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/155>, abgerufen am 01.09.2024.