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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zur Iilscmirmlg classischer Gpern,

Gluck ist wesentlich ein Mann der Zukunft. Wie es manchen großen Schrift¬
steller giebt, der erst von kommenden Geschlechtern genügend anerkannt und verstanden
werden wird, so erwartet auch diesen bewundernswerthen Künstler eine späte, dann
aber nachhaltige und allseitige Würdigung, Die Zeit, in welcher dies stattfinden
wird, muß von einer bewußter" Cultur durchdrungen sein, als es bisher der Fall
war, Sie muß dem Chaos, in welches gegenwärtig die ästhetische Seite im
Treiben des Einzelnen wie der Gesellschaft hinausläuft, ein Ende gemacht haben.
Dann wird auch die Jnseeniruug eines Gluck'sehen Meisterwerkes keine tappende
Speculation, sondern eine wahrhafte, bedeutsame, von der Theilnahme aller Ge¬
bildeten getragene Arbeit sein, bei der alles Altüberlieferte nur insofern Leben
und Wirksamkeit erhält, als es den berechtigten Principien einer fortgeschrittnen,
verständigen Gesammtauschauung entspricht.

Mozarts Opern sind im Vergleich zu den Gluckschen von geringerer Macht
der unmittelbaren Bühnenwirkung; andrerseits stehen sie uns inhaltlich, oder,
besser gesagt, hinsichtlich der Umgebung, in der sie spielen, naher und zeigen
größern Glanz im Musikalischen. Der Stil des ältern Meisters ist außerdem
ein erhabner, Mozarts Musik dagegen von einer ungemeinen Vielseitigkeit im
Ausdruck, die sich namentlich in der meisterhaften Mischung des Komischen und
Tragischen erweist. Theils hieraus, theils aber auch aus der ganzen Entwicklung
unsres Theaterwesens erklärt es sich nun, daß Werke wie "Don Juan", "Zauber¬
flöte" und "Figaro" nachhaltigere Pflege gefunden haben als die "Iphigenien"
oder ein anderes Werk Glucks. Was zunächst den von KiovAmi betrifft, so
ist man bereits so fleißig gewesen, alles, waS sich von Fragen und Aufgaben
an dieses geniale Werk knüpft, theoretisch wenigstens so gut wie zu erledigen.
Sogar die Originalfassung des Textbuches ist zu diesem Zwecke dem größern
Publieum zugänglich gemacht worden. Wenn noch immer über Dinge, wie über
den Chor im ersten Finale, Urtheile gefällt werden, die auf ein Verkennen des
sinnstörend wirkenden, willkürlichen Bühnenschlendrians im Gegensatz zu berechtigten
Umgestaltungen hinauslaufen, so erhellt daraus nur, wie sehr es noch bei der¬
artigen, ins allgemein Aesthetische fallenden Erwägungen an festen Grundsätzen
mangelt. streitig wäre höchstens der Schluß der Oper. Indeß scheint es un¬
angebracht, den nicht sehr hervorstechenden , aber vollkommen natürlichen und
correcten Originalschluß mit dem sonst üblichen, samisch allerdings effectvollern
zu vertauschen, zumal wenn zu der letzten Scene die Volksmasse Angezogen werden
kann. Auch leidet, was noch wichtiger ist, durch die hergebrachte Kürzung eine
der kunstvollsten Seiten der Oper, nämlich die Ausprägung des tugendhaften,
die Reize des Maßes erkennenden Princips gegenüber der excentrischen Lebens¬
freudigkeit. Don Juan bleibt heldenhaft, also tragisch; aber auch Don Octavio


Zur Iilscmirmlg classischer Gpern,

Gluck ist wesentlich ein Mann der Zukunft. Wie es manchen großen Schrift¬
steller giebt, der erst von kommenden Geschlechtern genügend anerkannt und verstanden
werden wird, so erwartet auch diesen bewundernswerthen Künstler eine späte, dann
aber nachhaltige und allseitige Würdigung, Die Zeit, in welcher dies stattfinden
wird, muß von einer bewußter» Cultur durchdrungen sein, als es bisher der Fall
war, Sie muß dem Chaos, in welches gegenwärtig die ästhetische Seite im
Treiben des Einzelnen wie der Gesellschaft hinausläuft, ein Ende gemacht haben.
Dann wird auch die Jnseeniruug eines Gluck'sehen Meisterwerkes keine tappende
Speculation, sondern eine wahrhafte, bedeutsame, von der Theilnahme aller Ge¬
bildeten getragene Arbeit sein, bei der alles Altüberlieferte nur insofern Leben
und Wirksamkeit erhält, als es den berechtigten Principien einer fortgeschrittnen,
verständigen Gesammtauschauung entspricht.

Mozarts Opern sind im Vergleich zu den Gluckschen von geringerer Macht
der unmittelbaren Bühnenwirkung; andrerseits stehen sie uns inhaltlich, oder,
besser gesagt, hinsichtlich der Umgebung, in der sie spielen, naher und zeigen
größern Glanz im Musikalischen. Der Stil des ältern Meisters ist außerdem
ein erhabner, Mozarts Musik dagegen von einer ungemeinen Vielseitigkeit im
Ausdruck, die sich namentlich in der meisterhaften Mischung des Komischen und
Tragischen erweist. Theils hieraus, theils aber auch aus der ganzen Entwicklung
unsres Theaterwesens erklärt es sich nun, daß Werke wie „Don Juan", „Zauber¬
flöte" und „Figaro" nachhaltigere Pflege gefunden haben als die „Iphigenien"
oder ein anderes Werk Glucks. Was zunächst den von KiovAmi betrifft, so
ist man bereits so fleißig gewesen, alles, waS sich von Fragen und Aufgaben
an dieses geniale Werk knüpft, theoretisch wenigstens so gut wie zu erledigen.
Sogar die Originalfassung des Textbuches ist zu diesem Zwecke dem größern
Publieum zugänglich gemacht worden. Wenn noch immer über Dinge, wie über
den Chor im ersten Finale, Urtheile gefällt werden, die auf ein Verkennen des
sinnstörend wirkenden, willkürlichen Bühnenschlendrians im Gegensatz zu berechtigten
Umgestaltungen hinauslaufen, so erhellt daraus nur, wie sehr es noch bei der¬
artigen, ins allgemein Aesthetische fallenden Erwägungen an festen Grundsätzen
mangelt. streitig wäre höchstens der Schluß der Oper. Indeß scheint es un¬
angebracht, den nicht sehr hervorstechenden , aber vollkommen natürlichen und
correcten Originalschluß mit dem sonst üblichen, samisch allerdings effectvollern
zu vertauschen, zumal wenn zu der letzten Scene die Volksmasse Angezogen werden
kann. Auch leidet, was noch wichtiger ist, durch die hergebrachte Kürzung eine
der kunstvollsten Seiten der Oper, nämlich die Ausprägung des tugendhaften,
die Reize des Maßes erkennenden Princips gegenüber der excentrischen Lebens¬
freudigkeit. Don Juan bleibt heldenhaft, also tragisch; aber auch Don Octavio


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[0071] Zur Iilscmirmlg classischer Gpern, Gluck ist wesentlich ein Mann der Zukunft. Wie es manchen großen Schrift¬ steller giebt, der erst von kommenden Geschlechtern genügend anerkannt und verstanden werden wird, so erwartet auch diesen bewundernswerthen Künstler eine späte, dann aber nachhaltige und allseitige Würdigung, Die Zeit, in welcher dies stattfinden wird, muß von einer bewußter» Cultur durchdrungen sein, als es bisher der Fall war, Sie muß dem Chaos, in welches gegenwärtig die ästhetische Seite im Treiben des Einzelnen wie der Gesellschaft hinausläuft, ein Ende gemacht haben. Dann wird auch die Jnseeniruug eines Gluck'sehen Meisterwerkes keine tappende Speculation, sondern eine wahrhafte, bedeutsame, von der Theilnahme aller Ge¬ bildeten getragene Arbeit sein, bei der alles Altüberlieferte nur insofern Leben und Wirksamkeit erhält, als es den berechtigten Principien einer fortgeschrittnen, verständigen Gesammtauschauung entspricht. Mozarts Opern sind im Vergleich zu den Gluckschen von geringerer Macht der unmittelbaren Bühnenwirkung; andrerseits stehen sie uns inhaltlich, oder, besser gesagt, hinsichtlich der Umgebung, in der sie spielen, naher und zeigen größern Glanz im Musikalischen. Der Stil des ältern Meisters ist außerdem ein erhabner, Mozarts Musik dagegen von einer ungemeinen Vielseitigkeit im Ausdruck, die sich namentlich in der meisterhaften Mischung des Komischen und Tragischen erweist. Theils hieraus, theils aber auch aus der ganzen Entwicklung unsres Theaterwesens erklärt es sich nun, daß Werke wie „Don Juan", „Zauber¬ flöte" und „Figaro" nachhaltigere Pflege gefunden haben als die „Iphigenien" oder ein anderes Werk Glucks. Was zunächst den von KiovAmi betrifft, so ist man bereits so fleißig gewesen, alles, waS sich von Fragen und Aufgaben an dieses geniale Werk knüpft, theoretisch wenigstens so gut wie zu erledigen. Sogar die Originalfassung des Textbuches ist zu diesem Zwecke dem größern Publieum zugänglich gemacht worden. Wenn noch immer über Dinge, wie über den Chor im ersten Finale, Urtheile gefällt werden, die auf ein Verkennen des sinnstörend wirkenden, willkürlichen Bühnenschlendrians im Gegensatz zu berechtigten Umgestaltungen hinauslaufen, so erhellt daraus nur, wie sehr es noch bei der¬ artigen, ins allgemein Aesthetische fallenden Erwägungen an festen Grundsätzen mangelt. streitig wäre höchstens der Schluß der Oper. Indeß scheint es un¬ angebracht, den nicht sehr hervorstechenden , aber vollkommen natürlichen und correcten Originalschluß mit dem sonst üblichen, samisch allerdings effectvollern zu vertauschen, zumal wenn zu der letzten Scene die Volksmasse Angezogen werden kann. Auch leidet, was noch wichtiger ist, durch die hergebrachte Kürzung eine der kunstvollsten Seiten der Oper, nämlich die Ausprägung des tugendhaften, die Reize des Maßes erkennenden Princips gegenüber der excentrischen Lebens¬ freudigkeit. Don Juan bleibt heldenhaft, also tragisch; aber auch Don Octavio

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/71>, abgerufen am 26.08.2024.