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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zur Insecmnmg classischer Vpcrn.

mit seiner Partei ist nichts alltägliches oder philisterhaftes. Jener Hauptcontrast
tritt in der That erst durch die musikalische Behandlung der Stellen 0r otis
tutti ?c. und vor allem <-jus8t"> v it ten al chi K nig.1 ?e. scharf zu Tage.

In Sachen des "Figaro" siud die Resultate noch nicht weit gediehen. Die
Förderung des Empfiudungsgehaltes, welche der im übrigen brauchbare Stoff
durch die strenge und kräftige Auffassung des Componisten erfahren hat, muß
auf dem Wege des Streichens -- in deu Recitativen -- und der Dictions-
verbesserungen weiter fortgeführt werden. Gleichzeitig dürften hierbei einige
Undeutlichkeiten in der Entfaltung der Handlung beseitigt werden können. Im
übrigen liegt auch noch keine genügende deutsche Uebersetzung des "Figaro" vor,
wie überhaupt auf diesem Gebiete erst spät Leben und Thätigkeit entstanden ist.
Ja eigentliche Grundsätze für die so eigenthümlich schwierige, selten betriebene
Arbeit der Textvcrdeutschungen scheinen noch gar nicht zu existiren. Soweit
zwar das Libretto als Untergrund der lebendigen Aufführung in Frage kommt,
stehen schließlich die Sachen ganz gut. Denn daß die Übertragung möglichst
genau den Wendungen der Musik folgen müsse und daß immer von dieser aus¬
zugehen sei, ist eine sehr nachdrücklich gewordene Forderung, und oft wird schon
das Einzelwort überschätzt, wie man ja überhaupt von der Fähigkeit der Musik,
Bestimmtes auszudrücken, gegenwärtig zu hoch denkt. Aber das Textbuch hat
zugleich den äußerlichen Zweck, dem Publicum als Einführung und Vorbereitung
zum Genuß des Werkes selbst zu dienen. Infolge dessen muß es, bis auf deu
tiefern poetischen Gehalt allerdings, die Eigenschaften eines richtigen Buchdmmas
aufweisen; und hier ist ein Punkt, wo fast alles noch im argen liegt. In
Sachen der praktischen Aesthetik fehlt es eben überall noch an festen Normen.
Um bei der Uebersetzungsthätigkeit zu bleiben, so muß der einfache Grundsatz der
guten Lesbarkeit alleinige Geltung erlangen. Man begnüge sich, etwas halb¬
wegs Gefälliges zu bieten. Genauere Beibehaltung des eigentlichen Versmaßes,
Wiederspiegelung der originalen Empfindungssphäre, wo die Musik bereits höhere
Wege eingeschlagen hat, und manches andere sind Mißgriffe oder Knaupeleien.
Um ein kurzes Beispiel zur Verdeutlichung zu bringe", so lautet die herrliche
Arie der Susanna aus dem letzten Acte des "Figaro" in einer alten Passauer
Uebersetzung vom Jahre 1793, die uns zufällig zur Hand ist, folgender¬
maßen:


"Komm! Bester! Komm! verweile nicht so lange!
Du weißt, wie sehr -- wie fest an dir ich hange!
Komm! Bester! Komm! die Nacht ist so verschwiege", --
Man sieht dich nicht in meine Arme fliege".
Das Bächlein rieselt, -- horch! das Liiftchen säuselt:
Geliebter komm! Die Nachtigallc kräuselt;

Zur Insecmnmg classischer Vpcrn.

mit seiner Partei ist nichts alltägliches oder philisterhaftes. Jener Hauptcontrast
tritt in der That erst durch die musikalische Behandlung der Stellen 0r otis
tutti ?c. und vor allem <-jus8t«> v it ten al chi K nig.1 ?e. scharf zu Tage.

In Sachen des „Figaro" siud die Resultate noch nicht weit gediehen. Die
Förderung des Empfiudungsgehaltes, welche der im übrigen brauchbare Stoff
durch die strenge und kräftige Auffassung des Componisten erfahren hat, muß
auf dem Wege des Streichens — in deu Recitativen — und der Dictions-
verbesserungen weiter fortgeführt werden. Gleichzeitig dürften hierbei einige
Undeutlichkeiten in der Entfaltung der Handlung beseitigt werden können. Im
übrigen liegt auch noch keine genügende deutsche Uebersetzung des „Figaro" vor,
wie überhaupt auf diesem Gebiete erst spät Leben und Thätigkeit entstanden ist.
Ja eigentliche Grundsätze für die so eigenthümlich schwierige, selten betriebene
Arbeit der Textvcrdeutschungen scheinen noch gar nicht zu existiren. Soweit
zwar das Libretto als Untergrund der lebendigen Aufführung in Frage kommt,
stehen schließlich die Sachen ganz gut. Denn daß die Übertragung möglichst
genau den Wendungen der Musik folgen müsse und daß immer von dieser aus¬
zugehen sei, ist eine sehr nachdrücklich gewordene Forderung, und oft wird schon
das Einzelwort überschätzt, wie man ja überhaupt von der Fähigkeit der Musik,
Bestimmtes auszudrücken, gegenwärtig zu hoch denkt. Aber das Textbuch hat
zugleich den äußerlichen Zweck, dem Publicum als Einführung und Vorbereitung
zum Genuß des Werkes selbst zu dienen. Infolge dessen muß es, bis auf deu
tiefern poetischen Gehalt allerdings, die Eigenschaften eines richtigen Buchdmmas
aufweisen; und hier ist ein Punkt, wo fast alles noch im argen liegt. In
Sachen der praktischen Aesthetik fehlt es eben überall noch an festen Normen.
Um bei der Uebersetzungsthätigkeit zu bleiben, so muß der einfache Grundsatz der
guten Lesbarkeit alleinige Geltung erlangen. Man begnüge sich, etwas halb¬
wegs Gefälliges zu bieten. Genauere Beibehaltung des eigentlichen Versmaßes,
Wiederspiegelung der originalen Empfindungssphäre, wo die Musik bereits höhere
Wege eingeschlagen hat, und manches andere sind Mißgriffe oder Knaupeleien.
Um ein kurzes Beispiel zur Verdeutlichung zu bringe«, so lautet die herrliche
Arie der Susanna aus dem letzten Acte des „Figaro" in einer alten Passauer
Uebersetzung vom Jahre 1793, die uns zufällig zur Hand ist, folgender¬
maßen:


„Komm! Bester! Komm! verweile nicht so lange!
Du weißt, wie sehr — wie fest an dir ich hange!
Komm! Bester! Komm! die Nacht ist so verschwiege», —
Man sieht dich nicht in meine Arme fliege».
Das Bächlein rieselt, — horch! das Liiftchen säuselt:
Geliebter komm! Die Nachtigallc kräuselt;

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[0072] Zur Insecmnmg classischer Vpcrn. mit seiner Partei ist nichts alltägliches oder philisterhaftes. Jener Hauptcontrast tritt in der That erst durch die musikalische Behandlung der Stellen 0r otis tutti ?c. und vor allem <-jus8t«> v it ten al chi K nig.1 ?e. scharf zu Tage. In Sachen des „Figaro" siud die Resultate noch nicht weit gediehen. Die Förderung des Empfiudungsgehaltes, welche der im übrigen brauchbare Stoff durch die strenge und kräftige Auffassung des Componisten erfahren hat, muß auf dem Wege des Streichens — in deu Recitativen — und der Dictions- verbesserungen weiter fortgeführt werden. Gleichzeitig dürften hierbei einige Undeutlichkeiten in der Entfaltung der Handlung beseitigt werden können. Im übrigen liegt auch noch keine genügende deutsche Uebersetzung des „Figaro" vor, wie überhaupt auf diesem Gebiete erst spät Leben und Thätigkeit entstanden ist. Ja eigentliche Grundsätze für die so eigenthümlich schwierige, selten betriebene Arbeit der Textvcrdeutschungen scheinen noch gar nicht zu existiren. Soweit zwar das Libretto als Untergrund der lebendigen Aufführung in Frage kommt, stehen schließlich die Sachen ganz gut. Denn daß die Übertragung möglichst genau den Wendungen der Musik folgen müsse und daß immer von dieser aus¬ zugehen sei, ist eine sehr nachdrücklich gewordene Forderung, und oft wird schon das Einzelwort überschätzt, wie man ja überhaupt von der Fähigkeit der Musik, Bestimmtes auszudrücken, gegenwärtig zu hoch denkt. Aber das Textbuch hat zugleich den äußerlichen Zweck, dem Publicum als Einführung und Vorbereitung zum Genuß des Werkes selbst zu dienen. Infolge dessen muß es, bis auf deu tiefern poetischen Gehalt allerdings, die Eigenschaften eines richtigen Buchdmmas aufweisen; und hier ist ein Punkt, wo fast alles noch im argen liegt. In Sachen der praktischen Aesthetik fehlt es eben überall noch an festen Normen. Um bei der Uebersetzungsthätigkeit zu bleiben, so muß der einfache Grundsatz der guten Lesbarkeit alleinige Geltung erlangen. Man begnüge sich, etwas halb¬ wegs Gefälliges zu bieten. Genauere Beibehaltung des eigentlichen Versmaßes, Wiederspiegelung der originalen Empfindungssphäre, wo die Musik bereits höhere Wege eingeschlagen hat, und manches andere sind Mißgriffe oder Knaupeleien. Um ein kurzes Beispiel zur Verdeutlichung zu bringe«, so lautet die herrliche Arie der Susanna aus dem letzten Acte des „Figaro" in einer alten Passauer Uebersetzung vom Jahre 1793, die uns zufällig zur Hand ist, folgender¬ maßen: „Komm! Bester! Komm! verweile nicht so lange! Du weißt, wie sehr — wie fest an dir ich hange! Komm! Bester! Komm! die Nacht ist so verschwiege», — Man sieht dich nicht in meine Arme fliege». Das Bächlein rieselt, — horch! das Liiftchen säuselt: Geliebter komm! Die Nachtigallc kräuselt;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/72>, abgerufen am 26.08.2024.