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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zur Inscemrung classischer Vpern.

0n s'ötonnmÄit wows und (i'e8t 1'g.uwur, sollten wiederum nur gute Kräfte
verwandt werden.

Die Ixnig'6ins su ?g.nriäö gilt für das bedeutendste Werk von Gluck, in¬
sofern hier der Meister, ganz abgesehen von der nur selten erreichbaren Größe
des Gegenstandes und der Charaktere, auch formell sein Bestes bietet. In der
That ist auf dem Felde der Oper nichts Vollendeteres geschaffen worden, und
schon die Textdichtung verdient, als treffliches Muster der Gattung aufgestellt
zu werden. Solchen Werken gegenüber kann man nur immer und immer wieder
die größte Pietät und Sorgfalt der Ausführung als erstes Erforderniß hin¬
stellen, und man möchte beinahe mit Berlioz die Darsteller bedauern, welche die
Absichten des Componisten wiedergeben sollen. "Das Talent reicht für diese
erdrückende Aufgabe kaum hin, es bedarf fast des Genies."

Von der um ein halbes Jahrzehnt ältern Ivbigkms su ^.rucks gilt aller¬
dings nicht das gleiche. Sie steht unter den übrigen Hauptvperu Glucks nach.
Unter andern müssen die Divertissements hier dem ungetrübten Geschmack zu
breit ausgesponnen erscheinen. Dennoch dürfte die Art, wie Richard Wagner
das berühmte Werk bearbeitet hat, zu eingreifend und bei gesunden Theater-
Verhältnissen unzulässig sein. Die Beseitigung des Patroklos ist lobenswert^
auch die Scenerie ist bei Wagner durchaus musterhaft. Dagegen, sind einige
Zwischenspiele ziemlich gewagt und manche Kürzuugeu unnöthig. Der Abschied
Jphigeniens von der ohnmächtigen Klhtaemnestra muß rasch sein und darf keinen
musikalischen Ruhepunkt hervorrufen. Die Liebesepisode ferner zielt gerade durch
ihre Ausführlichkeit am besten darauf hiu, das Düstere des eigentlichen Stoffes
zu mildern, und dies war eine Hauptaufgabe für Dichter und Componisten. Alles
andre stimmt dazu. Man beachte z. B. die Vermenschlichung, die der Agamemnon
der Oper im Gegensatz zum Racinescheu ausweist, wozu übrigens die nicht sehr
glatte Folge des Ganzen, die einem manche Zwischenhandlung zum Errathen
anheim giebt und den während der Hauptereignisse abwesenden Agamemnon ver¬
stört und zum Handeln unfähig erscheinen läßt, einigermaßen beiträgt. Auch
die Divertissements sind in der "Iphigenie" mehr als ein bloßer Zopf, und
eine exacte, von den einfachen Gesichtspunkten des geregelten Kunstlebens aus¬
gehende Bearbeitung wird sich bemühen, aus den beiden originalen Partituren
eine geeignete Zusammenstellung der betreffenden Plöner zu schaffen. Natür¬
lich muß bei der Vorführung Alles aufgewandt werden, um dergleichen Par¬
tien nicht aus dem Rahmen des Dramatischen heraustreten zu lassen. Im
übrigen ist eine treffliche Hilfsleistung zu würdigen Darstellungen der beiden
"Iphigenien" neuerdings durch die Textübertragungen von P. Cornelius ge¬
schehen.


Zur Inscemrung classischer Vpern.

0n s'ötonnmÄit wows und (i'e8t 1'g.uwur, sollten wiederum nur gute Kräfte
verwandt werden.

Die Ixnig'6ins su ?g.nriäö gilt für das bedeutendste Werk von Gluck, in¬
sofern hier der Meister, ganz abgesehen von der nur selten erreichbaren Größe
des Gegenstandes und der Charaktere, auch formell sein Bestes bietet. In der
That ist auf dem Felde der Oper nichts Vollendeteres geschaffen worden, und
schon die Textdichtung verdient, als treffliches Muster der Gattung aufgestellt
zu werden. Solchen Werken gegenüber kann man nur immer und immer wieder
die größte Pietät und Sorgfalt der Ausführung als erstes Erforderniß hin¬
stellen, und man möchte beinahe mit Berlioz die Darsteller bedauern, welche die
Absichten des Componisten wiedergeben sollen. „Das Talent reicht für diese
erdrückende Aufgabe kaum hin, es bedarf fast des Genies."

Von der um ein halbes Jahrzehnt ältern Ivbigkms su ^.rucks gilt aller¬
dings nicht das gleiche. Sie steht unter den übrigen Hauptvperu Glucks nach.
Unter andern müssen die Divertissements hier dem ungetrübten Geschmack zu
breit ausgesponnen erscheinen. Dennoch dürfte die Art, wie Richard Wagner
das berühmte Werk bearbeitet hat, zu eingreifend und bei gesunden Theater-
Verhältnissen unzulässig sein. Die Beseitigung des Patroklos ist lobenswert^
auch die Scenerie ist bei Wagner durchaus musterhaft. Dagegen, sind einige
Zwischenspiele ziemlich gewagt und manche Kürzuugeu unnöthig. Der Abschied
Jphigeniens von der ohnmächtigen Klhtaemnestra muß rasch sein und darf keinen
musikalischen Ruhepunkt hervorrufen. Die Liebesepisode ferner zielt gerade durch
ihre Ausführlichkeit am besten darauf hiu, das Düstere des eigentlichen Stoffes
zu mildern, und dies war eine Hauptaufgabe für Dichter und Componisten. Alles
andre stimmt dazu. Man beachte z. B. die Vermenschlichung, die der Agamemnon
der Oper im Gegensatz zum Racinescheu ausweist, wozu übrigens die nicht sehr
glatte Folge des Ganzen, die einem manche Zwischenhandlung zum Errathen
anheim giebt und den während der Hauptereignisse abwesenden Agamemnon ver¬
stört und zum Handeln unfähig erscheinen läßt, einigermaßen beiträgt. Auch
die Divertissements sind in der „Iphigenie" mehr als ein bloßer Zopf, und
eine exacte, von den einfachen Gesichtspunkten des geregelten Kunstlebens aus¬
gehende Bearbeitung wird sich bemühen, aus den beiden originalen Partituren
eine geeignete Zusammenstellung der betreffenden Plöner zu schaffen. Natür¬
lich muß bei der Vorführung Alles aufgewandt werden, um dergleichen Par¬
tien nicht aus dem Rahmen des Dramatischen heraustreten zu lassen. Im
übrigen ist eine treffliche Hilfsleistung zu würdigen Darstellungen der beiden
„Iphigenien" neuerdings durch die Textübertragungen von P. Cornelius ge¬
schehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/70>, abgerufen am 26.08.2024.