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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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scheint, und die er nur reiner, klarer zurückgiebt! Versuchen wir alle solche
Momente zurückzudrängen und überlaufen die Reihe der Heysischen Novelle" uur
mit dem Blick ans vollendete Gestaltung, die reinste Durchbildung der Form einer
von Haus aus poetischen und ergiebigen Erfindung, so treten zunächst die No¬
vellen "L'Arrabiata", "Am Tibcrufer", "Die Einsamen", "Das Mädchen von
Treppi", "Die Stickerin von Treviso", "Annina", "Im Grafenschloß", "Der
Weinhüter von Meran", "Das Bild der Mutter", "Die Reise nach dem Glück",
"Geoffroy und Gareiude", "Die Wittwe von Pisa", "Das Ding an sich", das
geniale Eaprieeio "Der letzte Centaur", "Frau von F." aus der Zahl der andern
hervor. Doch demnächst überkommt uns die Erinnerung an manche andre, die
in sich eine diesre Leidenschaft, ein volles Stück Leben und Abenteuer oder eine
jener fesselnden Franengestnlten birgt, welche unter allen modernen Dichtern Heyse
am besten zu zeichnen versteht und somit Anspruch erhebt, in die Gruppe der
besten gestellt zu werden,

Von der Novelle aus hat sich Heyse zum Roman erhoben. Der E"tschlnß,
sich in breiter Weltdarstellnng zu versuchen, tan" einem Dichter von seiner An¬
lage und seinem besondern künstlerischen Naturell nicht ganz leicht geworden sein.
Denn jedem Leser der Heysischen Novellen muß es klar werden, wie voll sich
die eigenthümliche Kraft des Poeten und sein Sinn für künstlerische Anlage und
festen künstlerischen Abschluß in den besten Novellen ausleben, wie eins mit sich
selbst und sicher er in dieser Form auftritt. Gleichwohl giebt es für den Künstler
keine Wahl, wenn ein größrer Stoff, der breite Anlage und Ausführung fordert,
sich seiner Phantasie bemächtigt, wenn die poetische Idee im engen Rahme"
nicht zu Recht gelangen kann. So trat Heyse mit seinem ersten Roman, "Kinder
der Welt" im Jahre 1872 hervor. Es war in gewissem Sinne eine verhäng-
nißvolle Zeit, in welcher der Roman zuerst veröffentlicht ward. Mitte" im
Carneval jenes üppigen, frevelvvllen Uebermuthes, der die unliebliche Folge des
große" Jahres I87V gewesen, "litten in der Gründer- und Schwindelperiode,
welche alle andern Götter als die Götter Staat und Mammon ans ihren Tempel"
treiben wollte und im Grunde auch den Gott Staat uur für eine Art Unter¬
gott des großen Mammon betrachtete, erschien Hcyses Roman, der in seinem
Grundcharakter in eine"? eigenthümlichen Gegensatze zu den früher" Schöpfungen
des Dichters stand. Er war herber, ernster als irgend eine auch der tragisch
verlmlfenden Novellen, er spielte sich in Berliner Lebenskreisen und auf einem
Hintergrunde ab, welcher die Wirkungen der sonnigen Landschaften, in die Heyse
seine Novellen meist hineingestellt hatte, nicht haben konnte, er ergriff ein Problem,
welches "zeitgemäß" schien und doch in dem Sinne, in dem es Heyse zu löse"
suchte, nicht leicht unzeitgemäßer hätte sein können. Während die herrschende
Stimmung der Durchschnittsmasse aus der Weltanschauung, zu der sich anch Heyse
mit seinem Roman bekannte, aus der Abwendung vom kirchlichen Leben sich daS
Recht schöpfte, jeden reinen Sinn, Schaul und Scheu bei Seite zu werfen, erhob


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scheint, und die er nur reiner, klarer zurückgiebt! Versuchen wir alle solche
Momente zurückzudrängen und überlaufen die Reihe der Heysischen Novelle» uur
mit dem Blick ans vollendete Gestaltung, die reinste Durchbildung der Form einer
von Haus aus poetischen und ergiebigen Erfindung, so treten zunächst die No¬
vellen „L'Arrabiata", „Am Tibcrufer", „Die Einsamen", „Das Mädchen von
Treppi", „Die Stickerin von Treviso", „Annina", „Im Grafenschloß", „Der
Weinhüter von Meran", „Das Bild der Mutter", „Die Reise nach dem Glück",
„Geoffroy und Gareiude", „Die Wittwe von Pisa", „Das Ding an sich", das
geniale Eaprieeio „Der letzte Centaur", „Frau von F." aus der Zahl der andern
hervor. Doch demnächst überkommt uns die Erinnerung an manche andre, die
in sich eine diesre Leidenschaft, ein volles Stück Leben und Abenteuer oder eine
jener fesselnden Franengestnlten birgt, welche unter allen modernen Dichtern Heyse
am besten zu zeichnen versteht und somit Anspruch erhebt, in die Gruppe der
besten gestellt zu werden,

Von der Novelle aus hat sich Heyse zum Roman erhoben. Der E»tschlnß,
sich in breiter Weltdarstellnng zu versuchen, tan» einem Dichter von seiner An¬
lage und seinem besondern künstlerischen Naturell nicht ganz leicht geworden sein.
Denn jedem Leser der Heysischen Novellen muß es klar werden, wie voll sich
die eigenthümliche Kraft des Poeten und sein Sinn für künstlerische Anlage und
festen künstlerischen Abschluß in den besten Novellen ausleben, wie eins mit sich
selbst und sicher er in dieser Form auftritt. Gleichwohl giebt es für den Künstler
keine Wahl, wenn ein größrer Stoff, der breite Anlage und Ausführung fordert,
sich seiner Phantasie bemächtigt, wenn die poetische Idee im engen Rahme»
nicht zu Recht gelangen kann. So trat Heyse mit seinem ersten Roman, „Kinder
der Welt" im Jahre 1872 hervor. Es war in gewissem Sinne eine verhäng-
nißvolle Zeit, in welcher der Roman zuerst veröffentlicht ward. Mitte» im
Carneval jenes üppigen, frevelvvllen Uebermuthes, der die unliebliche Folge des
große» Jahres I87V gewesen, »litten in der Gründer- und Schwindelperiode,
welche alle andern Götter als die Götter Staat und Mammon ans ihren Tempel»
treiben wollte und im Grunde auch den Gott Staat uur für eine Art Unter¬
gott des großen Mammon betrachtete, erschien Hcyses Roman, der in seinem
Grundcharakter in eine»? eigenthümlichen Gegensatze zu den früher» Schöpfungen
des Dichters stand. Er war herber, ernster als irgend eine auch der tragisch
verlmlfenden Novellen, er spielte sich in Berliner Lebenskreisen und auf einem
Hintergrunde ab, welcher die Wirkungen der sonnigen Landschaften, in die Heyse
seine Novellen meist hineingestellt hatte, nicht haben konnte, er ergriff ein Problem,
welches „zeitgemäß" schien und doch in dem Sinne, in dem es Heyse zu löse»
suchte, nicht leicht unzeitgemäßer hätte sein können. Während die herrschende
Stimmung der Durchschnittsmasse aus der Weltanschauung, zu der sich anch Heyse
mit seinem Roman bekannte, aus der Abwendung vom kirchlichen Leben sich daS
Recht schöpfte, jeden reinen Sinn, Schaul und Scheu bei Seite zu werfen, erhob


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/558>, abgerufen am 25.08.2024.