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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyso.

Delfin"). Die Emzclcharaktcristik derselben, welche uns viel zu weit führen wurde,
müßte zunächst den Phaiitasicreichthum, die lebendige, warme Mitempfiiiduug
für die gruiidverschiedensteu Charaktere und Lebensschicksale, die feine Spürkraft
für den Kern in jeder Menschennatur und darum auch in jedem Schicksal, die voll¬
endete Jncinnnderwebuug der Stimmungen rühmen, die der menschlichen Seele
entsteigen und derer, die von der Außenwelt in die Seele hincingehaucht werden,
Sie mußte als den Vorzug des Dichters seinen Glauben an den Adel der echten
Natur wie der innerlich freien Bildung hervorheben. Fast alle seine Charaktere
tragen eine unveräußerliche Selbstachtung in ihrem Busen, die nicht vor Irrungen
und Kämpfe", aber vor dem Gemeinen bewahrt. Sie würde endlich die Vir¬
tuosität des Vvrtragstoncs hervorheben müssen, welche sich dem jeweiligen Stoff
anschmiegt und alle Töne anzuschlagen versteht, ohne (was in den Dramen ge¬
legentlich geschieht) den eigentlichen Grundton des Dichters zu verleugnen. Und
sie würde jeden dieser Vorzüge mit zahlreichen Beispielen belegen können. Die
eigenartigen Mängel, auch der novellistischen Dichtungen Hasses, würden daneben
weit minder ins Gewicht fallen. Sie sind zum Theil schon in der Einleitung an-
gedeutet worden. Eine übergroße Vorliebe des Dichters für körperliche Schön-
heit, eine stark hervortretende Neigung, die innerlich vornehmen Naturen vielfach
in die Bedingungen einer sorglosen und arbeitslosen Existenz hineinzustellen, so
daß man mit einem gewissen Scheine des Rechts von "Comfortnovellen" hat
sprechen können nud gewisse Leser Heyses sich in den hart arbeitenden, hart cnt-
lieyrendm und dabei doch adlichen Menschenfiguren in den "Kindern der Welt"
gar nicht zurechtzufinden vermochten; weiterhin die Lust Heyses an allerhand
seltsamen, gewagten, verfänglichen Abenteuern und gelegentlich um peinlichen
Problemen ("Lottka", "Judith Stern", "Der Kinder Sünde der Väter Fluch"),
zuletzt eine gewisse hier und da hervortretende Neigung des Dichters, das warm
sinnliche Leben seiner Gestalten so zu verhüllen, daß sie in den Verdacht der
Lüsternheit kommen können - alles das aber, doch mir vereinzelt und vorüber¬
gehend, gegenüber einem sichern Blick und hinreißender Fassnngskrnft für das
Leben, seine Leiden und Wonnen, seinen ganzen Werth, wenn voll und recht
gelebt wird.

Es ist eine mißliche Aufgabe, aus der großen Zahl der Heysischen No¬
vellen diejenigen nennen zu sollen, welche die gedachten Vorzüge am stärksten
entfalten, von deu Mängeln am wenigsten zeigen. Wie leicht spielt hier dein
Beurtheiler, auch dem, der manche Stimmen gehört und sein eignes Empfinden
mit dem Empfinden andrer verglichen hat, die subjective Neigung einen Streich.
Und an welche dem Dichter beim unbefangnen Leser ganz erfreuliche Zufällig¬
keiten, heftet sich die stärkre Wirkung, die eine Novelle ausübt! Hier eine Ge¬
stalt, ein Gesicht, das an selbst geschante mahnt, da der wundersame Duft, das
Licht eines Tags im Gebirge oder auf deu sonnigen Straßen italienischer Städte,
hier eine Stimmung, die der Dichter aus der eignen Seele entwendet zu habe"


Gu'iiztwteii II. 1881. 7"
Paul Heyso.

Delfin"). Die Emzclcharaktcristik derselben, welche uns viel zu weit führen wurde,
müßte zunächst den Phaiitasicreichthum, die lebendige, warme Mitempfiiiduug
für die gruiidverschiedensteu Charaktere und Lebensschicksale, die feine Spürkraft
für den Kern in jeder Menschennatur und darum auch in jedem Schicksal, die voll¬
endete Jncinnnderwebuug der Stimmungen rühmen, die der menschlichen Seele
entsteigen und derer, die von der Außenwelt in die Seele hincingehaucht werden,
Sie mußte als den Vorzug des Dichters seinen Glauben an den Adel der echten
Natur wie der innerlich freien Bildung hervorheben. Fast alle seine Charaktere
tragen eine unveräußerliche Selbstachtung in ihrem Busen, die nicht vor Irrungen
und Kämpfe», aber vor dem Gemeinen bewahrt. Sie würde endlich die Vir¬
tuosität des Vvrtragstoncs hervorheben müssen, welche sich dem jeweiligen Stoff
anschmiegt und alle Töne anzuschlagen versteht, ohne (was in den Dramen ge¬
legentlich geschieht) den eigentlichen Grundton des Dichters zu verleugnen. Und
sie würde jeden dieser Vorzüge mit zahlreichen Beispielen belegen können. Die
eigenartigen Mängel, auch der novellistischen Dichtungen Hasses, würden daneben
weit minder ins Gewicht fallen. Sie sind zum Theil schon in der Einleitung an-
gedeutet worden. Eine übergroße Vorliebe des Dichters für körperliche Schön-
heit, eine stark hervortretende Neigung, die innerlich vornehmen Naturen vielfach
in die Bedingungen einer sorglosen und arbeitslosen Existenz hineinzustellen, so
daß man mit einem gewissen Scheine des Rechts von „Comfortnovellen" hat
sprechen können nud gewisse Leser Heyses sich in den hart arbeitenden, hart cnt-
lieyrendm und dabei doch adlichen Menschenfiguren in den „Kindern der Welt"
gar nicht zurechtzufinden vermochten; weiterhin die Lust Heyses an allerhand
seltsamen, gewagten, verfänglichen Abenteuern und gelegentlich um peinlichen
Problemen („Lottka", „Judith Stern", „Der Kinder Sünde der Väter Fluch"),
zuletzt eine gewisse hier und da hervortretende Neigung des Dichters, das warm
sinnliche Leben seiner Gestalten so zu verhüllen, daß sie in den Verdacht der
Lüsternheit kommen können - alles das aber, doch mir vereinzelt und vorüber¬
gehend, gegenüber einem sichern Blick und hinreißender Fassnngskrnft für das
Leben, seine Leiden und Wonnen, seinen ganzen Werth, wenn voll und recht
gelebt wird.

Es ist eine mißliche Aufgabe, aus der großen Zahl der Heysischen No¬
vellen diejenigen nennen zu sollen, welche die gedachten Vorzüge am stärksten
entfalten, von deu Mängeln am wenigsten zeigen. Wie leicht spielt hier dein
Beurtheiler, auch dem, der manche Stimmen gehört und sein eignes Empfinden
mit dem Empfinden andrer verglichen hat, die subjective Neigung einen Streich.
Und an welche dem Dichter beim unbefangnen Leser ganz erfreuliche Zufällig¬
keiten, heftet sich die stärkre Wirkung, die eine Novelle ausübt! Hier eine Ge¬
stalt, ein Gesicht, das an selbst geschante mahnt, da der wundersame Duft, das
Licht eines Tags im Gebirge oder auf deu sonnigen Straßen italienischer Städte,
hier eine Stimmung, die der Dichter aus der eignen Seele entwendet zu habe»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/557>, abgerufen am 25.08.2024.