Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Richard Wagner und die "nationale Beivegnng" in verum.

Krisen ni der schwierigen Wahl der Titel orientirt ist wie gerade der "Börsen-
eouricr." In den Bayreuther Tagen also verhielt sich die öffentliche Meinung,
so weit sie durch die Berliner Presse repräsentirt wurde, gegen Wagner und
seine Bestrebungen überwiegend feindlich oder höhnisch ablehnend, "Ulk" und
"Wespen" wetteiferten mit einander in der gröblichsten Verspottung des Meisters
in Wort und Bild, und der letztre hatte nichts eiligeres zu thun, als in Bahrenth
wieder nach allen Seiten seine bekannten Ecke" und Schärfen hervorzukehren
und Freund und Feind gleich kräftig und nachdrücklich vor den Kopf zu stoßen.

Aber es muß doch etwas gewaltiges, unwiderstehlich bezwingendes in seiner
Musik liegen! Wie schnell wurden die Bayreuther Unbilden und Kränkungen
vergessen, und wie mächtig wuchs in den wenigen Jahren, welche zwischen damals
und heute liegen, die Schaar der Wagnerianer heran! "Es muß ein wunder-
bares sein," was den treibenden Motor dieser erstaunlichen Bewegung bildet.
Tagtäglich predigt ein großer Theil der Presse einen "Kreuzzug" gegen Wagner,
aber der deutsche Michel, der sich sonst so gern ins Schlepptau nehmen und andre
für sich denken läßt, bleibt in diesem einen Punkte eigensinnig.

Im verflvssncu Jahre ist nun noch ein andrer Factor hinzugetreten, welcher
die Bewegung sehr wesentlich verstärken half -- die antisemitische Agitation oder
die "nationale Bewegung," wie die einen, "die größte Schmach unsers Jahr¬
hunderts," wie die andern sagen. Da wir hier nur die Beobachtungen eines
unbetheiligten Zuschauers wiedergeben, der nicht die geringste persönliche Ursache
hat, Amel- oder Philosemit zu sein, wenn er auch gerade kein Türke ist, so wollen
wir nicht weiter untersuchen, welche von beiden Bezeichnungen die richtige für
eine culturhistorische Erscheinung ist, der von den Fanatikern in beiden Lagern
vielleicht eine zu große Bedeutung beigelegt wird. Daß Wagner in diese Be¬
wegung hineingezogen worden ist, mag ursprünglich wohl uur einem Zufall zu¬
zuschreiben sein. Dr. Förster, welcher, wie bekannt, an der Spitze derselben steht,
ist ein enthusiastischer Wagnerianer. Er hat Wagner mit der von ihm hervvr-
gernfnen Bewegung identificirt und dem Meister und seiner Kunst eine hervor¬
ragende Stellung in dem "Politischen Programm" angewiesen, auf Grund dessen
er unsre so überaus beklagenswerthen Zustände gründlich zu reformiren gedenkt.
Ob auch die Juden anf dem Wege der Gesetzgebung von dem Genuß Wciguerscher
Opern ausgeschlossen werden sollen, ist nicht direct gesagt. Es scheint aber ein
ähnliches nicht ganz unerwünscht zu sein, da Förster aus dein ältern Wagner-
Verein ausgeschieden ist und mit Hilfe einer gleichgesinnten Secession einen neuen
gegründet hat, von welchem selbstverständlich semitische Elemente nicht mit offnen
Armen aufgenommen werden. Infolge dieser und andrer vorausgegangner Er¬
eignisse sah sich der "Börseneourier" in die für ihn jedenfalls sehr peinliche Lage


Richard Wagner und die „nationale Beivegnng" in verum.

Krisen ni der schwierigen Wahl der Titel orientirt ist wie gerade der „Börsen-
eouricr." In den Bayreuther Tagen also verhielt sich die öffentliche Meinung,
so weit sie durch die Berliner Presse repräsentirt wurde, gegen Wagner und
seine Bestrebungen überwiegend feindlich oder höhnisch ablehnend, „Ulk" und
„Wespen" wetteiferten mit einander in der gröblichsten Verspottung des Meisters
in Wort und Bild, und der letztre hatte nichts eiligeres zu thun, als in Bahrenth
wieder nach allen Seiten seine bekannten Ecke» und Schärfen hervorzukehren
und Freund und Feind gleich kräftig und nachdrücklich vor den Kopf zu stoßen.

Aber es muß doch etwas gewaltiges, unwiderstehlich bezwingendes in seiner
Musik liegen! Wie schnell wurden die Bayreuther Unbilden und Kränkungen
vergessen, und wie mächtig wuchs in den wenigen Jahren, welche zwischen damals
und heute liegen, die Schaar der Wagnerianer heran! „Es muß ein wunder-
bares sein," was den treibenden Motor dieser erstaunlichen Bewegung bildet.
Tagtäglich predigt ein großer Theil der Presse einen „Kreuzzug" gegen Wagner,
aber der deutsche Michel, der sich sonst so gern ins Schlepptau nehmen und andre
für sich denken läßt, bleibt in diesem einen Punkte eigensinnig.

Im verflvssncu Jahre ist nun noch ein andrer Factor hinzugetreten, welcher
die Bewegung sehr wesentlich verstärken half — die antisemitische Agitation oder
die „nationale Bewegung," wie die einen, „die größte Schmach unsers Jahr¬
hunderts," wie die andern sagen. Da wir hier nur die Beobachtungen eines
unbetheiligten Zuschauers wiedergeben, der nicht die geringste persönliche Ursache
hat, Amel- oder Philosemit zu sein, wenn er auch gerade kein Türke ist, so wollen
wir nicht weiter untersuchen, welche von beiden Bezeichnungen die richtige für
eine culturhistorische Erscheinung ist, der von den Fanatikern in beiden Lagern
vielleicht eine zu große Bedeutung beigelegt wird. Daß Wagner in diese Be¬
wegung hineingezogen worden ist, mag ursprünglich wohl uur einem Zufall zu¬
zuschreiben sein. Dr. Förster, welcher, wie bekannt, an der Spitze derselben steht,
ist ein enthusiastischer Wagnerianer. Er hat Wagner mit der von ihm hervvr-
gernfnen Bewegung identificirt und dem Meister und seiner Kunst eine hervor¬
ragende Stellung in dem „Politischen Programm" angewiesen, auf Grund dessen
er unsre so überaus beklagenswerthen Zustände gründlich zu reformiren gedenkt.
Ob auch die Juden anf dem Wege der Gesetzgebung von dem Genuß Wciguerscher
Opern ausgeschlossen werden sollen, ist nicht direct gesagt. Es scheint aber ein
ähnliches nicht ganz unerwünscht zu sein, da Förster aus dein ältern Wagner-
Verein ausgeschieden ist und mit Hilfe einer gleichgesinnten Secession einen neuen
gegründet hat, von welchem selbstverständlich semitische Elemente nicht mit offnen
Armen aufgenommen werden. Infolge dieser und andrer vorausgegangner Er¬
eignisse sah sich der „Börseneourier" in die für ihn jedenfalls sehr peinliche Lage


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150029"/>
          <fw type="header" place="top"> Richard Wagner und die &#x201E;nationale Beivegnng" in verum.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1520" prev="#ID_1519"> Krisen ni der schwierigen Wahl der Titel orientirt ist wie gerade der &#x201E;Börsen-<lb/>
eouricr." In den Bayreuther Tagen also verhielt sich die öffentliche Meinung,<lb/>
so weit sie durch die Berliner Presse repräsentirt wurde, gegen Wagner und<lb/>
seine Bestrebungen überwiegend feindlich oder höhnisch ablehnend, &#x201E;Ulk" und<lb/>
&#x201E;Wespen" wetteiferten mit einander in der gröblichsten Verspottung des Meisters<lb/>
in Wort und Bild, und der letztre hatte nichts eiligeres zu thun, als in Bahrenth<lb/>
wieder nach allen Seiten seine bekannten Ecke» und Schärfen hervorzukehren<lb/>
und Freund und Feind gleich kräftig und nachdrücklich vor den Kopf zu stoßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1521"> Aber es muß doch etwas gewaltiges, unwiderstehlich bezwingendes in seiner<lb/>
Musik liegen! Wie schnell wurden die Bayreuther Unbilden und Kränkungen<lb/>
vergessen, und wie mächtig wuchs in den wenigen Jahren, welche zwischen damals<lb/>
und heute liegen, die Schaar der Wagnerianer heran! &#x201E;Es muß ein wunder-<lb/>
bares sein," was den treibenden Motor dieser erstaunlichen Bewegung bildet.<lb/>
Tagtäglich predigt ein großer Theil der Presse einen &#x201E;Kreuzzug" gegen Wagner,<lb/>
aber der deutsche Michel, der sich sonst so gern ins Schlepptau nehmen und andre<lb/>
für sich denken läßt, bleibt in diesem einen Punkte eigensinnig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1522" next="#ID_1523"> Im verflvssncu Jahre ist nun noch ein andrer Factor hinzugetreten, welcher<lb/>
die Bewegung sehr wesentlich verstärken half &#x2014; die antisemitische Agitation oder<lb/>
die &#x201E;nationale Bewegung," wie die einen, &#x201E;die größte Schmach unsers Jahr¬<lb/>
hunderts," wie die andern sagen. Da wir hier nur die Beobachtungen eines<lb/>
unbetheiligten Zuschauers wiedergeben, der nicht die geringste persönliche Ursache<lb/>
hat, Amel- oder Philosemit zu sein, wenn er auch gerade kein Türke ist, so wollen<lb/>
wir nicht weiter untersuchen, welche von beiden Bezeichnungen die richtige für<lb/>
eine culturhistorische Erscheinung ist, der von den Fanatikern in beiden Lagern<lb/>
vielleicht eine zu große Bedeutung beigelegt wird. Daß Wagner in diese Be¬<lb/>
wegung hineingezogen worden ist, mag ursprünglich wohl uur einem Zufall zu¬<lb/>
zuschreiben sein. Dr. Förster, welcher, wie bekannt, an der Spitze derselben steht,<lb/>
ist ein enthusiastischer Wagnerianer. Er hat Wagner mit der von ihm hervvr-<lb/>
gernfnen Bewegung identificirt und dem Meister und seiner Kunst eine hervor¬<lb/>
ragende Stellung in dem &#x201E;Politischen Programm" angewiesen, auf Grund dessen<lb/>
er unsre so überaus beklagenswerthen Zustände gründlich zu reformiren gedenkt.<lb/>
Ob auch die Juden anf dem Wege der Gesetzgebung von dem Genuß Wciguerscher<lb/>
Opern ausgeschlossen werden sollen, ist nicht direct gesagt. Es scheint aber ein<lb/>
ähnliches nicht ganz unerwünscht zu sein, da Förster aus dein ältern Wagner-<lb/>
Verein ausgeschieden ist und mit Hilfe einer gleichgesinnten Secession einen neuen<lb/>
gegründet hat, von welchem selbstverständlich semitische Elemente nicht mit offnen<lb/>
Armen aufgenommen werden. Infolge dieser und andrer vorausgegangner Er¬<lb/>
eignisse sah sich der &#x201E;Börseneourier" in die für ihn jedenfalls sehr peinliche Lage</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] Richard Wagner und die „nationale Beivegnng" in verum. Krisen ni der schwierigen Wahl der Titel orientirt ist wie gerade der „Börsen- eouricr." In den Bayreuther Tagen also verhielt sich die öffentliche Meinung, so weit sie durch die Berliner Presse repräsentirt wurde, gegen Wagner und seine Bestrebungen überwiegend feindlich oder höhnisch ablehnend, „Ulk" und „Wespen" wetteiferten mit einander in der gröblichsten Verspottung des Meisters in Wort und Bild, und der letztre hatte nichts eiligeres zu thun, als in Bahrenth wieder nach allen Seiten seine bekannten Ecke» und Schärfen hervorzukehren und Freund und Feind gleich kräftig und nachdrücklich vor den Kopf zu stoßen. Aber es muß doch etwas gewaltiges, unwiderstehlich bezwingendes in seiner Musik liegen! Wie schnell wurden die Bayreuther Unbilden und Kränkungen vergessen, und wie mächtig wuchs in den wenigen Jahren, welche zwischen damals und heute liegen, die Schaar der Wagnerianer heran! „Es muß ein wunder- bares sein," was den treibenden Motor dieser erstaunlichen Bewegung bildet. Tagtäglich predigt ein großer Theil der Presse einen „Kreuzzug" gegen Wagner, aber der deutsche Michel, der sich sonst so gern ins Schlepptau nehmen und andre für sich denken läßt, bleibt in diesem einen Punkte eigensinnig. Im verflvssncu Jahre ist nun noch ein andrer Factor hinzugetreten, welcher die Bewegung sehr wesentlich verstärken half — die antisemitische Agitation oder die „nationale Bewegung," wie die einen, „die größte Schmach unsers Jahr¬ hunderts," wie die andern sagen. Da wir hier nur die Beobachtungen eines unbetheiligten Zuschauers wiedergeben, der nicht die geringste persönliche Ursache hat, Amel- oder Philosemit zu sein, wenn er auch gerade kein Türke ist, so wollen wir nicht weiter untersuchen, welche von beiden Bezeichnungen die richtige für eine culturhistorische Erscheinung ist, der von den Fanatikern in beiden Lagern vielleicht eine zu große Bedeutung beigelegt wird. Daß Wagner in diese Be¬ wegung hineingezogen worden ist, mag ursprünglich wohl uur einem Zufall zu¬ zuschreiben sein. Dr. Förster, welcher, wie bekannt, an der Spitze derselben steht, ist ein enthusiastischer Wagnerianer. Er hat Wagner mit der von ihm hervvr- gernfnen Bewegung identificirt und dem Meister und seiner Kunst eine hervor¬ ragende Stellung in dem „Politischen Programm" angewiesen, auf Grund dessen er unsre so überaus beklagenswerthen Zustände gründlich zu reformiren gedenkt. Ob auch die Juden anf dem Wege der Gesetzgebung von dem Genuß Wciguerscher Opern ausgeschlossen werden sollen, ist nicht direct gesagt. Es scheint aber ein ähnliches nicht ganz unerwünscht zu sein, da Förster aus dein ältern Wagner- Verein ausgeschieden ist und mit Hilfe einer gleichgesinnten Secession einen neuen gegründet hat, von welchem selbstverständlich semitische Elemente nicht mit offnen Armen aufgenommen werden. Infolge dieser und andrer vorausgegangner Er¬ eignisse sah sich der „Börseneourier" in die für ihn jedenfalls sehr peinliche Lage

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/457>, abgerufen am 23.07.2024.