Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.Richard Wagner und die "nationale Lewegung" in Berlin. In Berlin wollte und konnte man es nicht vergessen, daß sich Richard Wagner Noch bei der Aufführung der "Meistersinger" trugen die Amysteu d. h. die Richard Wagner und die „nationale Lewegung" in Berlin. In Berlin wollte und konnte man es nicht vergessen, daß sich Richard Wagner Noch bei der Aufführung der „Meistersinger" trugen die Amysteu d. h. die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150028"/> <fw type="header" place="top"> Richard Wagner und die „nationale Lewegung" in Berlin.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1518" prev="#ID_1517"> In Berlin wollte und konnte man es nicht vergessen, daß sich Richard Wagner<lb/> an der Revolution betheiligt, mag er nun auf oder hinter den Barrikaden<lb/> gestanden haben. Erst nach Jahrzehnten gelang es dem liebenswürdigen Enthu¬<lb/> siasmus einer hohen Dame, der Gattin eines hohen Beamten des königlichen<lb/> Hauses, durch Propaganda in Wort und That die Antipathien, welche in höhern<lb/> und höchsten Kreisen gegen Wagner geherrscht haben mochten, zu überwinden,<lb/> und so wurde allmählich aus der viel bespöttelten „Znkunftsmusik" eine Musik,<lb/> an der sich die Gegenwart immer lebhafter betheiligte. Das Haus jener Dame<lb/> wurde der Mittelpunkt eines begeisterten WagnereultuS, in welchem jeder freund¬<lb/> lich willkommen geheißen wurde, der zu den Wissenden der neuen Mysterien von<lb/> Eleusis gehörte. Daß die Wagnergemeinde gerade in dein „Börsenevurier" und<lb/> seinen jüdischen Redacteuren ihre publieistische Vertretung fand, ist ein Zusammen¬<lb/> treffen, welches jene sich kreuzenden Fäden, von denen wir oben sprachen, noch<lb/> verwirrter macht. Der Kunstbegeisterung der Redaeteure des „Börsenevurier"<lb/> wird jedenfalls dadurch ein ehrenvolles Zeugniß ausgestellt, daß sie dem Meister<lb/> trotz seiner antisemitischen Tendenzen mit rührender Anhänglichkeit und Selbst¬<lb/> losigkeit treu blieben und der Sache Wagners mit größter Uneigennützigkeit ihre<lb/> kostbaren Dienste widmeten. Ihrer unermüdlichen, sozusagen ambulanten Agi¬<lb/> tation ist es zu danken, daß selbst in den schwierigsten Zeiten der Eifer und<lb/> die Theilnahme für die musikalische Mission des Meisters rege gehalten wurde.<lb/> Auch das früher gefürchtetste und gelesenste Witzblatt Berlins, der „Kladdera¬<lb/> datsch," ein Blatt übrigens, dessen Anfänge und erste Blütheperiodcu nur im<lb/> Judenthum wurzeln, während es gegenwärtig von christlichen Journalisten redi-<lb/> girt wird, nahm eine freundliche Stellung zu Wagner ein, da sein Spiritus revtor<lb/> ein begeisterter Anhänger des Meisters ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1519" next="#ID_1520"> Noch bei der Aufführung der „Meistersinger" trugen die Amysteu d. h. die<lb/> Ungeweihtcn eiuen lärmenden Sieg davon, der ans Hausschlüsseln und andern<lb/> ebenso unmusikalischen Instrumenten ausgejubelt wurde. Das war jedoch nur<lb/> ein Pyrrhussieg. Denn die Sccmdale wiederholten sich nicht, und so oft heute<lb/> die „Meistersinger" zur Ausführung gelangen, so oft ist ein ausverkauftes Haus<lb/> zu verzeichnen. Zur Zeit der Bahreuther Aufführungen der Nibelnngentrilvgie<lb/> stand die Mehrzahl der Berliner Journale und Journalisten dem Wagnerthum<lb/> feindselig oder doch kühl gegenüber, Paul Lindau an der Spitze, der damals<lb/> noch in Opposition machte und für einen gewissen Theil der Presse tonangebend<lb/> war. Neuerdings scheint auch er sich einer mildern Richtung angeschlossen zu<lb/> haben, was man daraus schließen zu können glaubt, daß kein Blatt sich so leb¬<lb/> haft des großen Dichters annimmt, kein Blatt so gut über seine Absichten, seine<lb/> Reisen und die einzelnen Entwicklungsstadien seiner Theaterstücke bis auf die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0456]
Richard Wagner und die „nationale Lewegung" in Berlin.
In Berlin wollte und konnte man es nicht vergessen, daß sich Richard Wagner
an der Revolution betheiligt, mag er nun auf oder hinter den Barrikaden
gestanden haben. Erst nach Jahrzehnten gelang es dem liebenswürdigen Enthu¬
siasmus einer hohen Dame, der Gattin eines hohen Beamten des königlichen
Hauses, durch Propaganda in Wort und That die Antipathien, welche in höhern
und höchsten Kreisen gegen Wagner geherrscht haben mochten, zu überwinden,
und so wurde allmählich aus der viel bespöttelten „Znkunftsmusik" eine Musik,
an der sich die Gegenwart immer lebhafter betheiligte. Das Haus jener Dame
wurde der Mittelpunkt eines begeisterten WagnereultuS, in welchem jeder freund¬
lich willkommen geheißen wurde, der zu den Wissenden der neuen Mysterien von
Eleusis gehörte. Daß die Wagnergemeinde gerade in dein „Börsenevurier" und
seinen jüdischen Redacteuren ihre publieistische Vertretung fand, ist ein Zusammen¬
treffen, welches jene sich kreuzenden Fäden, von denen wir oben sprachen, noch
verwirrter macht. Der Kunstbegeisterung der Redaeteure des „Börsenevurier"
wird jedenfalls dadurch ein ehrenvolles Zeugniß ausgestellt, daß sie dem Meister
trotz seiner antisemitischen Tendenzen mit rührender Anhänglichkeit und Selbst¬
losigkeit treu blieben und der Sache Wagners mit größter Uneigennützigkeit ihre
kostbaren Dienste widmeten. Ihrer unermüdlichen, sozusagen ambulanten Agi¬
tation ist es zu danken, daß selbst in den schwierigsten Zeiten der Eifer und
die Theilnahme für die musikalische Mission des Meisters rege gehalten wurde.
Auch das früher gefürchtetste und gelesenste Witzblatt Berlins, der „Kladdera¬
datsch," ein Blatt übrigens, dessen Anfänge und erste Blütheperiodcu nur im
Judenthum wurzeln, während es gegenwärtig von christlichen Journalisten redi-
girt wird, nahm eine freundliche Stellung zu Wagner ein, da sein Spiritus revtor
ein begeisterter Anhänger des Meisters ist.
Noch bei der Aufführung der „Meistersinger" trugen die Amysteu d. h. die
Ungeweihtcn eiuen lärmenden Sieg davon, der ans Hausschlüsseln und andern
ebenso unmusikalischen Instrumenten ausgejubelt wurde. Das war jedoch nur
ein Pyrrhussieg. Denn die Sccmdale wiederholten sich nicht, und so oft heute
die „Meistersinger" zur Ausführung gelangen, so oft ist ein ausverkauftes Haus
zu verzeichnen. Zur Zeit der Bahreuther Aufführungen der Nibelnngentrilvgie
stand die Mehrzahl der Berliner Journale und Journalisten dem Wagnerthum
feindselig oder doch kühl gegenüber, Paul Lindau an der Spitze, der damals
noch in Opposition machte und für einen gewissen Theil der Presse tonangebend
war. Neuerdings scheint auch er sich einer mildern Richtung angeschlossen zu
haben, was man daraus schließen zu können glaubt, daß kein Blatt sich so leb¬
haft des großen Dichters annimmt, kein Blatt so gut über seine Absichten, seine
Reisen und die einzelnen Entwicklungsstadien seiner Theaterstücke bis auf die
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