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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Richard Wagner und die "nationale Bewegung" in Berlin,

Lucca, Etelka Gerster und Adelina Patti sind die Objecte einer oft maßlosen
Vergötterung gewesen. Aber die größern Kreise des Publicums sind diesem
neuen Cultus fern geblieben, und Fanatiker, die Pferde ausspannten oder sich
in den abgelegten Handschuh einer "Diva" theilten, wurden der Lächerlichkeit
Preisgegeben.

Eine wesentlich andre Physiognomie hat die musikalische Bewegung und
Erregung angenommen, welche sich an den Namen Wagner knüpft. Obwohl
Wagner auch in Wien eine große Gemeinde von Andächtigen zählt, ist Berlin von
jeher der Mittelpunkt des Wagnerthums, die Hochburg der Wagnerianer ge¬
wesen. Hier hat der Meister seine erbittertsten Gegner, hier seine einflußreichsten
Protectoren, seine begeistertsten Vorkämpfer gefunden. Es ist interessant, einen
Blick auf dieses Parteigetriebe zu werfen, den Schleier von diesem Gewebe sich
kreuzender und doch wieder in einander fließender Interessen ein wenig zu heben.

In der Opposition gegen Wagner spielt das Judenthum, welches dem
Meister seine Angriffe gegen Mendelssohn und Meyerbeer, seine Axiome über
die Unfähigkeit der jüdischen Rasse zu künstlerischen Productionen niemals ver¬
zeihen kann, die hervorragendste Rolle. Alle Witzblätter, welche von jüdischen
Journalisten geschrieben werden oder von solchen, die mit dem Fortschritt "ut
infolge dessen auch mit dem Judenthum sympathisiren, haben seit der Ent¬
thronung Napoleons III. Wagner und die Wagnerianer zur hauptsächlichste"
Zielscheibe ihrer satirischen Pfeile gemacht. Die Berliner Possenfabrikanten,
welche seit Kalisch, dem "Vater der Berliner Posse," wie er von seinen Lob¬
rednern genannt wird, obwohl er die Stoffe zu seinen fadenscheinigen Werken
ans Frankreich und Oesterreich importirt hat, stets den radicalen und herostra-
tischen Leidenschaften der Menge geschmeichelt haben, wurden nicht müde, Wagner
und seine Kunst in Couplets, Gesangsparodien und musikalischen Quodlibets zu
verhöhnen. Es mag ein Zufall gewesen sein, daß sich diese Possenschreiber meist
aus dem Judenthum rekrutirten; aber es wurde dies ein Factor mehr, welcher
die Abneigung der engern Wagnergemeinde gegen das Judenthum verstärkte.
Der Meister selbst that alles mögliche, um den Gegnern die Sache leicht zu
machen. Zu den barocken Eigenthümlichkeiten seines Wesens, welche der satirischen
Ausbeutung auf halbem Wege entgegenkommen, gesellte sich die ebenso maßlose
wie ungeschickte Selbstverherrlichung in den "Bayreuther Blättern," die Pfäffische
Intoleranz gegen Andersdenkende und Andersstrebende und der Terrorismus
gegen die Bühnenvorstände, welche sich nicht zu einer völlig intakten Ausführung
des Nibelungenriuges aus praktischen Gründen verstehen wollten. Zu den letztern
gehört auch der Intendant der königlichen Schauspiele in Berlin, der vielleicht
auch noch ans andern Ursachen dem Bayreuther Meister nicht gewogen war.


Richard Wagner und die „nationale Bewegung" in Berlin,

Lucca, Etelka Gerster und Adelina Patti sind die Objecte einer oft maßlosen
Vergötterung gewesen. Aber die größern Kreise des Publicums sind diesem
neuen Cultus fern geblieben, und Fanatiker, die Pferde ausspannten oder sich
in den abgelegten Handschuh einer „Diva" theilten, wurden der Lächerlichkeit
Preisgegeben.

Eine wesentlich andre Physiognomie hat die musikalische Bewegung und
Erregung angenommen, welche sich an den Namen Wagner knüpft. Obwohl
Wagner auch in Wien eine große Gemeinde von Andächtigen zählt, ist Berlin von
jeher der Mittelpunkt des Wagnerthums, die Hochburg der Wagnerianer ge¬
wesen. Hier hat der Meister seine erbittertsten Gegner, hier seine einflußreichsten
Protectoren, seine begeistertsten Vorkämpfer gefunden. Es ist interessant, einen
Blick auf dieses Parteigetriebe zu werfen, den Schleier von diesem Gewebe sich
kreuzender und doch wieder in einander fließender Interessen ein wenig zu heben.

In der Opposition gegen Wagner spielt das Judenthum, welches dem
Meister seine Angriffe gegen Mendelssohn und Meyerbeer, seine Axiome über
die Unfähigkeit der jüdischen Rasse zu künstlerischen Productionen niemals ver¬
zeihen kann, die hervorragendste Rolle. Alle Witzblätter, welche von jüdischen
Journalisten geschrieben werden oder von solchen, die mit dem Fortschritt »ut
infolge dessen auch mit dem Judenthum sympathisiren, haben seit der Ent¬
thronung Napoleons III. Wagner und die Wagnerianer zur hauptsächlichste»
Zielscheibe ihrer satirischen Pfeile gemacht. Die Berliner Possenfabrikanten,
welche seit Kalisch, dem „Vater der Berliner Posse," wie er von seinen Lob¬
rednern genannt wird, obwohl er die Stoffe zu seinen fadenscheinigen Werken
ans Frankreich und Oesterreich importirt hat, stets den radicalen und herostra-
tischen Leidenschaften der Menge geschmeichelt haben, wurden nicht müde, Wagner
und seine Kunst in Couplets, Gesangsparodien und musikalischen Quodlibets zu
verhöhnen. Es mag ein Zufall gewesen sein, daß sich diese Possenschreiber meist
aus dem Judenthum rekrutirten; aber es wurde dies ein Factor mehr, welcher
die Abneigung der engern Wagnergemeinde gegen das Judenthum verstärkte.
Der Meister selbst that alles mögliche, um den Gegnern die Sache leicht zu
machen. Zu den barocken Eigenthümlichkeiten seines Wesens, welche der satirischen
Ausbeutung auf halbem Wege entgegenkommen, gesellte sich die ebenso maßlose
wie ungeschickte Selbstverherrlichung in den „Bayreuther Blättern," die Pfäffische
Intoleranz gegen Andersdenkende und Andersstrebende und der Terrorismus
gegen die Bühnenvorstände, welche sich nicht zu einer völlig intakten Ausführung
des Nibelungenriuges aus praktischen Gründen verstehen wollten. Zu den letztern
gehört auch der Intendant der königlichen Schauspiele in Berlin, der vielleicht
auch noch ans andern Ursachen dem Bayreuther Meister nicht gewogen war.


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[0455] Richard Wagner und die „nationale Bewegung" in Berlin, Lucca, Etelka Gerster und Adelina Patti sind die Objecte einer oft maßlosen Vergötterung gewesen. Aber die größern Kreise des Publicums sind diesem neuen Cultus fern geblieben, und Fanatiker, die Pferde ausspannten oder sich in den abgelegten Handschuh einer „Diva" theilten, wurden der Lächerlichkeit Preisgegeben. Eine wesentlich andre Physiognomie hat die musikalische Bewegung und Erregung angenommen, welche sich an den Namen Wagner knüpft. Obwohl Wagner auch in Wien eine große Gemeinde von Andächtigen zählt, ist Berlin von jeher der Mittelpunkt des Wagnerthums, die Hochburg der Wagnerianer ge¬ wesen. Hier hat der Meister seine erbittertsten Gegner, hier seine einflußreichsten Protectoren, seine begeistertsten Vorkämpfer gefunden. Es ist interessant, einen Blick auf dieses Parteigetriebe zu werfen, den Schleier von diesem Gewebe sich kreuzender und doch wieder in einander fließender Interessen ein wenig zu heben. In der Opposition gegen Wagner spielt das Judenthum, welches dem Meister seine Angriffe gegen Mendelssohn und Meyerbeer, seine Axiome über die Unfähigkeit der jüdischen Rasse zu künstlerischen Productionen niemals ver¬ zeihen kann, die hervorragendste Rolle. Alle Witzblätter, welche von jüdischen Journalisten geschrieben werden oder von solchen, die mit dem Fortschritt »ut infolge dessen auch mit dem Judenthum sympathisiren, haben seit der Ent¬ thronung Napoleons III. Wagner und die Wagnerianer zur hauptsächlichste» Zielscheibe ihrer satirischen Pfeile gemacht. Die Berliner Possenfabrikanten, welche seit Kalisch, dem „Vater der Berliner Posse," wie er von seinen Lob¬ rednern genannt wird, obwohl er die Stoffe zu seinen fadenscheinigen Werken ans Frankreich und Oesterreich importirt hat, stets den radicalen und herostra- tischen Leidenschaften der Menge geschmeichelt haben, wurden nicht müde, Wagner und seine Kunst in Couplets, Gesangsparodien und musikalischen Quodlibets zu verhöhnen. Es mag ein Zufall gewesen sein, daß sich diese Possenschreiber meist aus dem Judenthum rekrutirten; aber es wurde dies ein Factor mehr, welcher die Abneigung der engern Wagnergemeinde gegen das Judenthum verstärkte. Der Meister selbst that alles mögliche, um den Gegnern die Sache leicht zu machen. Zu den barocken Eigenthümlichkeiten seines Wesens, welche der satirischen Ausbeutung auf halbem Wege entgegenkommen, gesellte sich die ebenso maßlose wie ungeschickte Selbstverherrlichung in den „Bayreuther Blättern," die Pfäffische Intoleranz gegen Andersdenkende und Andersstrebende und der Terrorismus gegen die Bühnenvorstände, welche sich nicht zu einer völlig intakten Ausführung des Nibelungenriuges aus praktischen Gründen verstehen wollten. Zu den letztern gehört auch der Intendant der königlichen Schauspiele in Berlin, der vielleicht auch noch ans andern Ursachen dem Bayreuther Meister nicht gewogen war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/455>, abgerufen am 03.07.2024.