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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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zu wahren, zögerte er auch mit substcmtiirten Eröffnungen in Wien so lange,
bis seine Truppen zum Einrücken in Schlesien bereit waren. Die Adresse, an
die er sich dann zunächst in Wien wandte, war die des Großherzogs Franz
Stephan, des Gemahls der Maria Theresia, von dem er nach ihren bisherigen
freundschaftlichen Begegnungen eine ihm entgegenkommende Gesinnung voraus¬
setzen zu können glaubte. Bei beiden Unterredungen, die erst sein bisheriger
Gesandter v, Borcke und dann der außerordentliche Bevollmächtige v, Götter
mit dem Großherzog hatten, horchte Maria Theresia in einem Nebenzimmer durch
die halbgeöffnete Thür, und jedesmal, wenn ihr Gemahl sich zu irgend etwas
engagiren wollte, rief sie ihn und schnitt so die weitre Verhandlung ab. Ihr
Standpunkt war der der weiblichen Entrüstung gegen einen Aufdringlichen, der
ihr unter dem Vorwande des Beistandes gegen noch gar nicht sichtbare Feinde
eine Provinz abbringen wollte. Mit derselben Entschiedenheit ließ sie die Ab¬
tretung eines Theiles von Schlesien wie des ganzen Landes zurückweisen. Weit,
weit unterschätzte sie sammt ihren Ministern die von Preußen drohende Gefahr.
Den letztern, namentlich dem bei ihr sehr angesehenen Bartenstein, einem Convertiten
und Anhänger der französischen Allianz, schien es fast nur darauf anzukommen,
den preußischen Unterhändlern schriftlich ihre Angebote zu entlocken, um die¬
selben, ohne auch nur zum Scheine auf eine Verhandlung darüber einzugehen
-- man hatte doch sonst in Wien die dilatorische Behandlung politischer Ansprüche
vorzüglich verstanden --, dann sofort in die Öffentlichkeit zu bringen und den
König dadurch bloßzustellen.

Von einem Manne, der wie der Verfasser des vorliegenden Buches seit
2V Jahren an der Spitze des schlesischen Staatsarchivs steht und seit noch
lcingrer Zeit der schlesischen Geschichte eine eingehende und umfangreiche litcmrische
Thätigkeit gewidmet hat, darf man auch eine sorgfältige Auseinandersetzung über
die Natur und Berechtigung der schlesischen Ansprüche Preußens erwarten. Er
leitet sie mit einem vorzüglich geschriebnen Capitel über die Entwicklung und den
Zustand der öffentlichen Verhältnisse Schlesiens bis 1740 ein. Gegenüber den
namentlich in populär-patriotischen Darstellungen so häufig wiederkehrenden
Tiraden, die meist protestantischen Schlesier hätten Friedrich als Befreier be¬
grüßt und wohl geradezu herbeigerufen, kann er nur die Thatsache constatiren,
daß die Bevölkerung des Landes jeder Anhänglichkeit an die österreichische Re¬
gierung und die Habsburgische Dynastie entbehrte und gegen den Bekehrung^-
eifer derselben in mißtranensvvller Besorgniß lebte. Erst die kriegerischen Er¬
folge Friedrichs wandten die theilnahmlose Gleichgiltigkeit in hoffnungsvolle Hin¬
gabe, bei einer kleinen Minderheit freilich mich in feindseligen Groll. Was nun
die schlesischen Anspüche der Hohenzollern betrifft, so ist zu constatiren, daß


zu wahren, zögerte er auch mit substcmtiirten Eröffnungen in Wien so lange,
bis seine Truppen zum Einrücken in Schlesien bereit waren. Die Adresse, an
die er sich dann zunächst in Wien wandte, war die des Großherzogs Franz
Stephan, des Gemahls der Maria Theresia, von dem er nach ihren bisherigen
freundschaftlichen Begegnungen eine ihm entgegenkommende Gesinnung voraus¬
setzen zu können glaubte. Bei beiden Unterredungen, die erst sein bisheriger
Gesandter v, Borcke und dann der außerordentliche Bevollmächtige v, Götter
mit dem Großherzog hatten, horchte Maria Theresia in einem Nebenzimmer durch
die halbgeöffnete Thür, und jedesmal, wenn ihr Gemahl sich zu irgend etwas
engagiren wollte, rief sie ihn und schnitt so die weitre Verhandlung ab. Ihr
Standpunkt war der der weiblichen Entrüstung gegen einen Aufdringlichen, der
ihr unter dem Vorwande des Beistandes gegen noch gar nicht sichtbare Feinde
eine Provinz abbringen wollte. Mit derselben Entschiedenheit ließ sie die Ab¬
tretung eines Theiles von Schlesien wie des ganzen Landes zurückweisen. Weit,
weit unterschätzte sie sammt ihren Ministern die von Preußen drohende Gefahr.
Den letztern, namentlich dem bei ihr sehr angesehenen Bartenstein, einem Convertiten
und Anhänger der französischen Allianz, schien es fast nur darauf anzukommen,
den preußischen Unterhändlern schriftlich ihre Angebote zu entlocken, um die¬
selben, ohne auch nur zum Scheine auf eine Verhandlung darüber einzugehen
— man hatte doch sonst in Wien die dilatorische Behandlung politischer Ansprüche
vorzüglich verstanden —, dann sofort in die Öffentlichkeit zu bringen und den
König dadurch bloßzustellen.

Von einem Manne, der wie der Verfasser des vorliegenden Buches seit
2V Jahren an der Spitze des schlesischen Staatsarchivs steht und seit noch
lcingrer Zeit der schlesischen Geschichte eine eingehende und umfangreiche litcmrische
Thätigkeit gewidmet hat, darf man auch eine sorgfältige Auseinandersetzung über
die Natur und Berechtigung der schlesischen Ansprüche Preußens erwarten. Er
leitet sie mit einem vorzüglich geschriebnen Capitel über die Entwicklung und den
Zustand der öffentlichen Verhältnisse Schlesiens bis 1740 ein. Gegenüber den
namentlich in populär-patriotischen Darstellungen so häufig wiederkehrenden
Tiraden, die meist protestantischen Schlesier hätten Friedrich als Befreier be¬
grüßt und wohl geradezu herbeigerufen, kann er nur die Thatsache constatiren,
daß die Bevölkerung des Landes jeder Anhänglichkeit an die österreichische Re¬
gierung und die Habsburgische Dynastie entbehrte und gegen den Bekehrung^-
eifer derselben in mißtranensvvller Besorgniß lebte. Erst die kriegerischen Er¬
folge Friedrichs wandten die theilnahmlose Gleichgiltigkeit in hoffnungsvolle Hin¬
gabe, bei einer kleinen Minderheit freilich mich in feindseligen Groll. Was nun
die schlesischen Anspüche der Hohenzollern betrifft, so ist zu constatiren, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/440>, abgerufen am 25.08.2024.