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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Friedrichs des Großen erster Wassergang.

Ferdinand I, als böhmischer König 1546 die sogenannte Erbvcrbrüderung zwischen
dem Herzog Friedrich II. von Liegnitz-Brieg-Wohlan und dem Kurfürsten JvachimII.
von Brandenburg vom Jahre 1637 ausdrücklich cassirt hat; doch war dies ein
den Privilegien der Liegnitzer Fürsten zuwiderlaufender Act, und wenn sichs auch
der bejahrte Herzog Friedrich II. gefallen ließ, so legte wenigstens der Kurfürst
Joachim II. Protest dagegen ein. Das Fürstenthum Jägerndorf hatte Markgraf
Georg der Fromme 1523 "zu rechter Erbschaft" erkauft. Als sein Sohn 1603
kinderlos starb, nachdem er testamentarisch die Knrlinie in Brandenburg zu Erben
eingesetzt hatte, weigerte sich Kaiser Rudolf den Markgrafen Johann Georg,
dem es sein Vater, Kurfürst Joachim Friedrich gegeben hatte, als nicht lehns-
berechtigt damit zu belehren, ohne ihn thatsächlich in dem Besitze zu hindern.
Erst nach der Schlacht am Weißen Berge ward Johann Georg als Anhänger
des Winterkönigs geächtet und das Land eingezogen. Die in der Achtsurkunde
betonte Felonie tritt, weil sie von rechtswegen die Verwandten der Geächteten
nicht schädigen konnte, in den Antworten des kaiserlichen Hofes gegen die Branden¬
burgischen Proteste zurück; wie 1603, ward auch jetzt überhaupt das Nachfolge-
recht der Kurlmie bestritten, und wieder siegte die Gewalt des Stärkern.

Wiederholt hat der große Kurfürst seine Rechte auf Jägerndvrf und, seit
1675 die Liegnitz-Brieger Picisten ausgestorben waren, auch auf Liegnitz-Brieg-
Wohlau geltend gemacht; dennoch gab er sie 1686 einer antifranzösischen Allianz
mit dein Kaiserhause zu Liebe gegen eine sehr geringfügige Entschädigung, den
Schwiebuser Kreis, hin. Indem man nun österreichischerseits geradezu durch falsche
Vorspiegelungen den Kurprinzen noch vor Abschluß des Tractats zur heimlichen
Verpflichtung der Wiederherausgabe des Schwiebuser Kreises zu verlocken wußte,
den er als Kurfürst dann auch wirklich wieder abtrat, gab man Preußen trotz
der formellen rechtlichen Austragung der Sache neue Gelegenheit sich über Ver¬
gewaltigung und Uebervorthcilung zu beklagen; daher wurden von Berlin aus
die alten Ansprüche bei jedem sich bietenden Anlaß hervorgesucht und so anch
jetzt von Friedrich II., freilich erst, nachdem er das Schwert in die Hand ge¬
nommen, dann aber doch, soweit seine eignen Aeußerungen vorliegen, mit der
Ueberzeugung seines guten Rechts zur Geltung gebracht. Ob man sich nun der
Auffassung der preußischen Staatsjuristen von 1740 anschließt, wie unser Ver¬
fasser geneigt ist, und mit ihnen den Wiener Hof der 1-Wio vuorinis gegen
Brandenburg bei jenem Vertrage von 1686 anklagt oder nicht, daß Oester¬
reich 1740 von einer gerechten Nemesis ereilt worden ist, wird jeder zugeben,
der überhaupt an moralische Consequenzen in der Weltgeschichte glaubt. Hatte
Oesterreich bisher das Recht des Stärkern für sich gehabt, so war dies jetzt an
Preußen übergegangen. Zu ritterlicher Courtoisie gegen die Erbin Karls VI.


Friedrichs des Großen erster Wassergang.

Ferdinand I, als böhmischer König 1546 die sogenannte Erbvcrbrüderung zwischen
dem Herzog Friedrich II. von Liegnitz-Brieg-Wohlan und dem Kurfürsten JvachimII.
von Brandenburg vom Jahre 1637 ausdrücklich cassirt hat; doch war dies ein
den Privilegien der Liegnitzer Fürsten zuwiderlaufender Act, und wenn sichs auch
der bejahrte Herzog Friedrich II. gefallen ließ, so legte wenigstens der Kurfürst
Joachim II. Protest dagegen ein. Das Fürstenthum Jägerndorf hatte Markgraf
Georg der Fromme 1523 „zu rechter Erbschaft" erkauft. Als sein Sohn 1603
kinderlos starb, nachdem er testamentarisch die Knrlinie in Brandenburg zu Erben
eingesetzt hatte, weigerte sich Kaiser Rudolf den Markgrafen Johann Georg,
dem es sein Vater, Kurfürst Joachim Friedrich gegeben hatte, als nicht lehns-
berechtigt damit zu belehren, ohne ihn thatsächlich in dem Besitze zu hindern.
Erst nach der Schlacht am Weißen Berge ward Johann Georg als Anhänger
des Winterkönigs geächtet und das Land eingezogen. Die in der Achtsurkunde
betonte Felonie tritt, weil sie von rechtswegen die Verwandten der Geächteten
nicht schädigen konnte, in den Antworten des kaiserlichen Hofes gegen die Branden¬
burgischen Proteste zurück; wie 1603, ward auch jetzt überhaupt das Nachfolge-
recht der Kurlmie bestritten, und wieder siegte die Gewalt des Stärkern.

Wiederholt hat der große Kurfürst seine Rechte auf Jägerndvrf und, seit
1675 die Liegnitz-Brieger Picisten ausgestorben waren, auch auf Liegnitz-Brieg-
Wohlau geltend gemacht; dennoch gab er sie 1686 einer antifranzösischen Allianz
mit dein Kaiserhause zu Liebe gegen eine sehr geringfügige Entschädigung, den
Schwiebuser Kreis, hin. Indem man nun österreichischerseits geradezu durch falsche
Vorspiegelungen den Kurprinzen noch vor Abschluß des Tractats zur heimlichen
Verpflichtung der Wiederherausgabe des Schwiebuser Kreises zu verlocken wußte,
den er als Kurfürst dann auch wirklich wieder abtrat, gab man Preußen trotz
der formellen rechtlichen Austragung der Sache neue Gelegenheit sich über Ver¬
gewaltigung und Uebervorthcilung zu beklagen; daher wurden von Berlin aus
die alten Ansprüche bei jedem sich bietenden Anlaß hervorgesucht und so anch
jetzt von Friedrich II., freilich erst, nachdem er das Schwert in die Hand ge¬
nommen, dann aber doch, soweit seine eignen Aeußerungen vorliegen, mit der
Ueberzeugung seines guten Rechts zur Geltung gebracht. Ob man sich nun der
Auffassung der preußischen Staatsjuristen von 1740 anschließt, wie unser Ver¬
fasser geneigt ist, und mit ihnen den Wiener Hof der 1-Wio vuorinis gegen
Brandenburg bei jenem Vertrage von 1686 anklagt oder nicht, daß Oester¬
reich 1740 von einer gerechten Nemesis ereilt worden ist, wird jeder zugeben,
der überhaupt an moralische Consequenzen in der Weltgeschichte glaubt. Hatte
Oesterreich bisher das Recht des Stärkern für sich gehabt, so war dies jetzt an
Preußen übergegangen. Zu ritterlicher Courtoisie gegen die Erbin Karls VI.


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[0441] Friedrichs des Großen erster Wassergang. Ferdinand I, als böhmischer König 1546 die sogenannte Erbvcrbrüderung zwischen dem Herzog Friedrich II. von Liegnitz-Brieg-Wohlan und dem Kurfürsten JvachimII. von Brandenburg vom Jahre 1637 ausdrücklich cassirt hat; doch war dies ein den Privilegien der Liegnitzer Fürsten zuwiderlaufender Act, und wenn sichs auch der bejahrte Herzog Friedrich II. gefallen ließ, so legte wenigstens der Kurfürst Joachim II. Protest dagegen ein. Das Fürstenthum Jägerndorf hatte Markgraf Georg der Fromme 1523 „zu rechter Erbschaft" erkauft. Als sein Sohn 1603 kinderlos starb, nachdem er testamentarisch die Knrlinie in Brandenburg zu Erben eingesetzt hatte, weigerte sich Kaiser Rudolf den Markgrafen Johann Georg, dem es sein Vater, Kurfürst Joachim Friedrich gegeben hatte, als nicht lehns- berechtigt damit zu belehren, ohne ihn thatsächlich in dem Besitze zu hindern. Erst nach der Schlacht am Weißen Berge ward Johann Georg als Anhänger des Winterkönigs geächtet und das Land eingezogen. Die in der Achtsurkunde betonte Felonie tritt, weil sie von rechtswegen die Verwandten der Geächteten nicht schädigen konnte, in den Antworten des kaiserlichen Hofes gegen die Branden¬ burgischen Proteste zurück; wie 1603, ward auch jetzt überhaupt das Nachfolge- recht der Kurlmie bestritten, und wieder siegte die Gewalt des Stärkern. Wiederholt hat der große Kurfürst seine Rechte auf Jägerndvrf und, seit 1675 die Liegnitz-Brieger Picisten ausgestorben waren, auch auf Liegnitz-Brieg- Wohlau geltend gemacht; dennoch gab er sie 1686 einer antifranzösischen Allianz mit dein Kaiserhause zu Liebe gegen eine sehr geringfügige Entschädigung, den Schwiebuser Kreis, hin. Indem man nun österreichischerseits geradezu durch falsche Vorspiegelungen den Kurprinzen noch vor Abschluß des Tractats zur heimlichen Verpflichtung der Wiederherausgabe des Schwiebuser Kreises zu verlocken wußte, den er als Kurfürst dann auch wirklich wieder abtrat, gab man Preußen trotz der formellen rechtlichen Austragung der Sache neue Gelegenheit sich über Ver¬ gewaltigung und Uebervorthcilung zu beklagen; daher wurden von Berlin aus die alten Ansprüche bei jedem sich bietenden Anlaß hervorgesucht und so anch jetzt von Friedrich II., freilich erst, nachdem er das Schwert in die Hand ge¬ nommen, dann aber doch, soweit seine eignen Aeußerungen vorliegen, mit der Ueberzeugung seines guten Rechts zur Geltung gebracht. Ob man sich nun der Auffassung der preußischen Staatsjuristen von 1740 anschließt, wie unser Ver¬ fasser geneigt ist, und mit ihnen den Wiener Hof der 1-Wio vuorinis gegen Brandenburg bei jenem Vertrage von 1686 anklagt oder nicht, daß Oester¬ reich 1740 von einer gerechten Nemesis ereilt worden ist, wird jeder zugeben, der überhaupt an moralische Consequenzen in der Weltgeschichte glaubt. Hatte Oesterreich bisher das Recht des Stärkern für sich gehabt, so war dies jetzt an Preußen übergegangen. Zu ritterlicher Courtoisie gegen die Erbin Karls VI.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/441>, abgerufen am 23.07.2024.