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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der größte religiöse volksredncr Englands,

den Gemeinden, in denen man ihm die Kanzel nicht verschloß. Methodistischc Ge¬
sellschaften thaten sich zusammen, um eine Kirche innerhalb der Kirche zu bilden,
eine Pflanzstätte inbrünstigerer Frömmigkeit, einen Mittelpunkt strengerer Zucht
und energischerer Propaganda, als in den großen Religionsgemeinschaften zu
finden war. Die Mitglieder dieser Vereine verbrachten bisweilen fast die ganze
Nacht mit leidenschaftlichen Nudachtsübungen und unterwarfen sich völlig einer
geistlichen Tyrannei, die sie zwang, wöchentlich zusammenzukommen, um ein um¬
ständliches Bekenntniß jedes von ihnen begangnen Fehltritts abzulegen und sich
einem Verhör über alle ihre Gedanken, Worte vnd Handlungen zu unterziehen.

Von nun an wurden die Führer der Bewegung die eifrigsten Missionäre,
Ohne bestimmte Sprengel wanderten sie von Ort zu Ort, um die Welt über das,
was ihr fehlte und frommte, aufzuklären, und bald erweckten sie ebenso leiden¬
schaftliche Begeisterung als bittern Haß. Deu gewöhnlichen Geistlichen machten
sie sich durch ihr ungewöhnliches Wesen in Ton und Stil und durch das regel¬
widrige Auftrete", mit dem sie eine bis dahin fast unerhörte Auffassung deS
Christenthums vortrugen, verhaßt. Der methodistische Prediger sprach wie zu
Heiden, er bat den Geistlichen, ihm seine Kanzel einzuräumen, damit er die Pfarr¬
kinder im wahren Evangelium unterweisen könne. Die Predigten jener Zeit
wurden abgelesen und hatten eine kalte, vornehm steife Fassung, Die neuen
Prediger sprachen ans dem Stegreife und mit höchster Inbrunst in Sprache und
Geberde, und so wurde die Liebe zur Ordnung, zum Herkommen, zum Decorum,
dieses stärkste Gefühl der staatskirchlichen Pfarrer, hart angetastet. Die regel¬
mäßigen Zuhörer fanden sich dnrch eine aufgeregte Menge verdrängt, die vorher
niemals innerhalb der Kirchenmanern zu erblicken gewesen war. Der übliche
ruhige Gottesdienst wurde durch heftigen Enthusiasmus oder laute Opposition,
dnrch hysterische Ausbrüche von Reue, Angst oder Andacht gestört, und wenn
der Missionär das Kirchspiel wieder verlassen, blieben häufig Spannung, Auf¬
geregtheit und Spaltung zurück.

So kann eS nicht befremden, wenn noch vor Ende des Jahres 1738 die
Führer der Methodisten von den meisten Kanzeln nnsgeschlossen waren. Sie
ließen sich aber dadurch nicht abhalten, die Lehre von der Wiedergeburt weiter
zu verbreite"; denn ging es nicht unter dem Schalldeckel der Kanzel, so ging es
unter dem Himmelsdache auf freiem Felde, Deu Anfang damit machte White-
field, Anlaß bot der traurige Zustand der Kohlengräber von KingSwood bei
Bristol, die in brutalste Unwissenheit und Lasterhaftigkeit versunken waren, Zu
ihnen an ihren eignen AnfenthaltSstätten zu sprechen, war ein kühner Entschluß;
denn die Predigt nnter freiem Himmel war damals völlig unbekannt, und eS
bedurfte eines nicht gewöhnlichen Muthes, aller unvermeidlichen übel" Nachrede


Der größte religiöse volksredncr Englands,

den Gemeinden, in denen man ihm die Kanzel nicht verschloß. Methodistischc Ge¬
sellschaften thaten sich zusammen, um eine Kirche innerhalb der Kirche zu bilden,
eine Pflanzstätte inbrünstigerer Frömmigkeit, einen Mittelpunkt strengerer Zucht
und energischerer Propaganda, als in den großen Religionsgemeinschaften zu
finden war. Die Mitglieder dieser Vereine verbrachten bisweilen fast die ganze
Nacht mit leidenschaftlichen Nudachtsübungen und unterwarfen sich völlig einer
geistlichen Tyrannei, die sie zwang, wöchentlich zusammenzukommen, um ein um¬
ständliches Bekenntniß jedes von ihnen begangnen Fehltritts abzulegen und sich
einem Verhör über alle ihre Gedanken, Worte vnd Handlungen zu unterziehen.

Von nun an wurden die Führer der Bewegung die eifrigsten Missionäre,
Ohne bestimmte Sprengel wanderten sie von Ort zu Ort, um die Welt über das,
was ihr fehlte und frommte, aufzuklären, und bald erweckten sie ebenso leiden¬
schaftliche Begeisterung als bittern Haß. Deu gewöhnlichen Geistlichen machten
sie sich durch ihr ungewöhnliches Wesen in Ton und Stil und durch das regel¬
widrige Auftrete», mit dem sie eine bis dahin fast unerhörte Auffassung deS
Christenthums vortrugen, verhaßt. Der methodistische Prediger sprach wie zu
Heiden, er bat den Geistlichen, ihm seine Kanzel einzuräumen, damit er die Pfarr¬
kinder im wahren Evangelium unterweisen könne. Die Predigten jener Zeit
wurden abgelesen und hatten eine kalte, vornehm steife Fassung, Die neuen
Prediger sprachen ans dem Stegreife und mit höchster Inbrunst in Sprache und
Geberde, und so wurde die Liebe zur Ordnung, zum Herkommen, zum Decorum,
dieses stärkste Gefühl der staatskirchlichen Pfarrer, hart angetastet. Die regel¬
mäßigen Zuhörer fanden sich dnrch eine aufgeregte Menge verdrängt, die vorher
niemals innerhalb der Kirchenmanern zu erblicken gewesen war. Der übliche
ruhige Gottesdienst wurde durch heftigen Enthusiasmus oder laute Opposition,
dnrch hysterische Ausbrüche von Reue, Angst oder Andacht gestört, und wenn
der Missionär das Kirchspiel wieder verlassen, blieben häufig Spannung, Auf¬
geregtheit und Spaltung zurück.

So kann eS nicht befremden, wenn noch vor Ende des Jahres 1738 die
Führer der Methodisten von den meisten Kanzeln nnsgeschlossen waren. Sie
ließen sich aber dadurch nicht abhalten, die Lehre von der Wiedergeburt weiter
zu verbreite»; denn ging es nicht unter dem Schalldeckel der Kanzel, so ging es
unter dem Himmelsdache auf freiem Felde, Deu Anfang damit machte White-
field, Anlaß bot der traurige Zustand der Kohlengräber von KingSwood bei
Bristol, die in brutalste Unwissenheit und Lasterhaftigkeit versunken waren, Zu
ihnen an ihren eignen AnfenthaltSstätten zu sprechen, war ein kühner Entschluß;
denn die Predigt nnter freiem Himmel war damals völlig unbekannt, und eS
bedurfte eines nicht gewöhnlichen Muthes, aller unvermeidlichen übel» Nachrede


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[0044] Der größte religiöse volksredncr Englands, den Gemeinden, in denen man ihm die Kanzel nicht verschloß. Methodistischc Ge¬ sellschaften thaten sich zusammen, um eine Kirche innerhalb der Kirche zu bilden, eine Pflanzstätte inbrünstigerer Frömmigkeit, einen Mittelpunkt strengerer Zucht und energischerer Propaganda, als in den großen Religionsgemeinschaften zu finden war. Die Mitglieder dieser Vereine verbrachten bisweilen fast die ganze Nacht mit leidenschaftlichen Nudachtsübungen und unterwarfen sich völlig einer geistlichen Tyrannei, die sie zwang, wöchentlich zusammenzukommen, um ein um¬ ständliches Bekenntniß jedes von ihnen begangnen Fehltritts abzulegen und sich einem Verhör über alle ihre Gedanken, Worte vnd Handlungen zu unterziehen. Von nun an wurden die Führer der Bewegung die eifrigsten Missionäre, Ohne bestimmte Sprengel wanderten sie von Ort zu Ort, um die Welt über das, was ihr fehlte und frommte, aufzuklären, und bald erweckten sie ebenso leiden¬ schaftliche Begeisterung als bittern Haß. Deu gewöhnlichen Geistlichen machten sie sich durch ihr ungewöhnliches Wesen in Ton und Stil und durch das regel¬ widrige Auftrete», mit dem sie eine bis dahin fast unerhörte Auffassung deS Christenthums vortrugen, verhaßt. Der methodistische Prediger sprach wie zu Heiden, er bat den Geistlichen, ihm seine Kanzel einzuräumen, damit er die Pfarr¬ kinder im wahren Evangelium unterweisen könne. Die Predigten jener Zeit wurden abgelesen und hatten eine kalte, vornehm steife Fassung, Die neuen Prediger sprachen ans dem Stegreife und mit höchster Inbrunst in Sprache und Geberde, und so wurde die Liebe zur Ordnung, zum Herkommen, zum Decorum, dieses stärkste Gefühl der staatskirchlichen Pfarrer, hart angetastet. Die regel¬ mäßigen Zuhörer fanden sich dnrch eine aufgeregte Menge verdrängt, die vorher niemals innerhalb der Kirchenmanern zu erblicken gewesen war. Der übliche ruhige Gottesdienst wurde durch heftigen Enthusiasmus oder laute Opposition, dnrch hysterische Ausbrüche von Reue, Angst oder Andacht gestört, und wenn der Missionär das Kirchspiel wieder verlassen, blieben häufig Spannung, Auf¬ geregtheit und Spaltung zurück. So kann eS nicht befremden, wenn noch vor Ende des Jahres 1738 die Führer der Methodisten von den meisten Kanzeln nnsgeschlossen waren. Sie ließen sich aber dadurch nicht abhalten, die Lehre von der Wiedergeburt weiter zu verbreite»; denn ging es nicht unter dem Schalldeckel der Kanzel, so ging es unter dem Himmelsdache auf freiem Felde, Deu Anfang damit machte White- field, Anlaß bot der traurige Zustand der Kohlengräber von KingSwood bei Bristol, die in brutalste Unwissenheit und Lasterhaftigkeit versunken waren, Zu ihnen an ihren eignen AnfenthaltSstätten zu sprechen, war ein kühner Entschluß; denn die Predigt nnter freiem Himmel war damals völlig unbekannt, und eS bedurfte eines nicht gewöhnlichen Muthes, aller unvermeidlichen übel» Nachrede

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/44>, abgerufen am 26.08.2024.