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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der größte religiöse Volksredner Englands

Wesleh nach, daß es ihm an jenem übernatürlichen Glanben noch gebreche, und
erschütterte ihn dadurch so sehr, daß er sich des Predigens enthalten wollte,
wovon jener ihn: jedoch abriet!), indem er sagte: "Predige den Glauben, bis
du ihn hast, dann wirst dn ihn predigen, weil dn ihn hast/' Wesleh that
darnach. Er verkündete die neue Lehre mit leidenschaftlicher Gluth den Ver¬
brechern in den Gefängnissen, den Reisenden ans der Landstraße u. a,, und endlich
wich die Wolke von ihm.

Am 24. Mui 1788 in der Frühe öffnete er nach seiner Gewohnheit die
Bibel aufs Gernthcwvhl, um nach einer göttlichen Führung zu suchen, und sein
Blick fiel auf die Worte 2. Petri 1, 4: "Durch welche uns die theuren und
allergrößten Verheißungen geschenkt sind, daß ihr, , , theilhaftig werdet der gött¬
liche" Natur." Ehe er das Haus verließ, befragte er das Orakel nochmals, und
die Stelle, die er nun las, lautete: "Du bist nicht fern vom Reiche Gottes."
Ueber daS nun folgende berichte er selbst. "Am Abende ging ich sehr wider
meinen Willen in eine Gesellschaft in Aldersgate Street, wo jemand Luthers Vor¬
rede zum Römerbriefe vorlas. Etwa ein Viertel vor neun, als die Veränderung
geschildert wurde, die Gott durch den Glauben an Christum in der Seele be¬
wirkt, fühlte ich mein Herz seltsam erwärmt, empfand ich, daß ich ans Christinn
und ihn allein für mein Seelenheil vertrnnte, und es wurde mir die Zuversicht,
daß er meine Sünden hinweggenommen und mich vom Gesetze der Sünde und
des Todes errettet hatte. Ich fing an, mit aller Macht für die zu beten, die
mich besonders übel behandelt und verfolgt hatten. Sodnnn bezeugte ich offen
vor allen, was ich jetzt in meinem Herzen empfand."

Schilderungen dieser Art sind im Leben religiöser Enthusiasten nichts seltnes.
Mau darf aber behaupte", daß der hier erzählte Vorgang eine Epoche in der
englischen Geschichte bildet. Kurz vorher war Charles Wesleh, ebenfalls unter
BöhlerS Einfluß, durch eine ähnliche Wandlung hindurchgegangen, und noch früher
hatte Whitefield, der sich jetzt in Georgien befand, mit großem Eifer die Recht¬
fertigung dnrch den Glauben sowie die Wiedergeburt gepredigt, aber ohne die
gefährliche Lehre von der Vollkommenheit der Erleuchteten anzunehmen. Un¬
mittelbar nach jenem 24. Mai unternahm John Wesleh eine Pilgerfahrt nach
Herrnhut, um das, was er jetzt als den reinsten Typus der christlichen Kirche
ansah, an der Quelle zu studiren. Er kehrte mit Einwendungen gegen mancherlei
zurück, aber mehr als je von seiner Lehre überzeugt, und mehr als je entschlossen,
sein Leben ans ihre Verbreitung zu verwenden.

Im Laufe des Jahres 1738 hatten sich die Hauptelemente der Bewegung
schon zu organisiren begonnen. Whitefield ,our aus Amerika zuriickgekehrt. Charles
Wesley predigte mit außervrdcutlichciu Erfolge den Gefangnen in Newgate und


Der größte religiöse Volksredner Englands

Wesleh nach, daß es ihm an jenem übernatürlichen Glanben noch gebreche, und
erschütterte ihn dadurch so sehr, daß er sich des Predigens enthalten wollte,
wovon jener ihn: jedoch abriet!), indem er sagte: „Predige den Glauben, bis
du ihn hast, dann wirst dn ihn predigen, weil dn ihn hast/' Wesleh that
darnach. Er verkündete die neue Lehre mit leidenschaftlicher Gluth den Ver¬
brechern in den Gefängnissen, den Reisenden ans der Landstraße u. a,, und endlich
wich die Wolke von ihm.

Am 24. Mui 1788 in der Frühe öffnete er nach seiner Gewohnheit die
Bibel aufs Gernthcwvhl, um nach einer göttlichen Führung zu suchen, und sein
Blick fiel auf die Worte 2. Petri 1, 4: „Durch welche uns die theuren und
allergrößten Verheißungen geschenkt sind, daß ihr, , , theilhaftig werdet der gött¬
liche» Natur." Ehe er das Haus verließ, befragte er das Orakel nochmals, und
die Stelle, die er nun las, lautete: „Du bist nicht fern vom Reiche Gottes."
Ueber daS nun folgende berichte er selbst. „Am Abende ging ich sehr wider
meinen Willen in eine Gesellschaft in Aldersgate Street, wo jemand Luthers Vor¬
rede zum Römerbriefe vorlas. Etwa ein Viertel vor neun, als die Veränderung
geschildert wurde, die Gott durch den Glauben an Christum in der Seele be¬
wirkt, fühlte ich mein Herz seltsam erwärmt, empfand ich, daß ich ans Christinn
und ihn allein für mein Seelenheil vertrnnte, und es wurde mir die Zuversicht,
daß er meine Sünden hinweggenommen und mich vom Gesetze der Sünde und
des Todes errettet hatte. Ich fing an, mit aller Macht für die zu beten, die
mich besonders übel behandelt und verfolgt hatten. Sodnnn bezeugte ich offen
vor allen, was ich jetzt in meinem Herzen empfand."

Schilderungen dieser Art sind im Leben religiöser Enthusiasten nichts seltnes.
Mau darf aber behaupte», daß der hier erzählte Vorgang eine Epoche in der
englischen Geschichte bildet. Kurz vorher war Charles Wesleh, ebenfalls unter
BöhlerS Einfluß, durch eine ähnliche Wandlung hindurchgegangen, und noch früher
hatte Whitefield, der sich jetzt in Georgien befand, mit großem Eifer die Recht¬
fertigung dnrch den Glauben sowie die Wiedergeburt gepredigt, aber ohne die
gefährliche Lehre von der Vollkommenheit der Erleuchteten anzunehmen. Un¬
mittelbar nach jenem 24. Mai unternahm John Wesleh eine Pilgerfahrt nach
Herrnhut, um das, was er jetzt als den reinsten Typus der christlichen Kirche
ansah, an der Quelle zu studiren. Er kehrte mit Einwendungen gegen mancherlei
zurück, aber mehr als je von seiner Lehre überzeugt, und mehr als je entschlossen,
sein Leben ans ihre Verbreitung zu verwenden.

Im Laufe des Jahres 1738 hatten sich die Hauptelemente der Bewegung
schon zu organisiren begonnen. Whitefield ,our aus Amerika zuriickgekehrt. Charles
Wesley predigte mit außervrdcutlichciu Erfolge den Gefangnen in Newgate und


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[0043] Der größte religiöse Volksredner Englands Wesleh nach, daß es ihm an jenem übernatürlichen Glanben noch gebreche, und erschütterte ihn dadurch so sehr, daß er sich des Predigens enthalten wollte, wovon jener ihn: jedoch abriet!), indem er sagte: „Predige den Glauben, bis du ihn hast, dann wirst dn ihn predigen, weil dn ihn hast/' Wesleh that darnach. Er verkündete die neue Lehre mit leidenschaftlicher Gluth den Ver¬ brechern in den Gefängnissen, den Reisenden ans der Landstraße u. a,, und endlich wich die Wolke von ihm. Am 24. Mui 1788 in der Frühe öffnete er nach seiner Gewohnheit die Bibel aufs Gernthcwvhl, um nach einer göttlichen Führung zu suchen, und sein Blick fiel auf die Worte 2. Petri 1, 4: „Durch welche uns die theuren und allergrößten Verheißungen geschenkt sind, daß ihr, , , theilhaftig werdet der gött¬ liche» Natur." Ehe er das Haus verließ, befragte er das Orakel nochmals, und die Stelle, die er nun las, lautete: „Du bist nicht fern vom Reiche Gottes." Ueber daS nun folgende berichte er selbst. „Am Abende ging ich sehr wider meinen Willen in eine Gesellschaft in Aldersgate Street, wo jemand Luthers Vor¬ rede zum Römerbriefe vorlas. Etwa ein Viertel vor neun, als die Veränderung geschildert wurde, die Gott durch den Glauben an Christum in der Seele be¬ wirkt, fühlte ich mein Herz seltsam erwärmt, empfand ich, daß ich ans Christinn und ihn allein für mein Seelenheil vertrnnte, und es wurde mir die Zuversicht, daß er meine Sünden hinweggenommen und mich vom Gesetze der Sünde und des Todes errettet hatte. Ich fing an, mit aller Macht für die zu beten, die mich besonders übel behandelt und verfolgt hatten. Sodnnn bezeugte ich offen vor allen, was ich jetzt in meinem Herzen empfand." Schilderungen dieser Art sind im Leben religiöser Enthusiasten nichts seltnes. Mau darf aber behaupte», daß der hier erzählte Vorgang eine Epoche in der englischen Geschichte bildet. Kurz vorher war Charles Wesleh, ebenfalls unter BöhlerS Einfluß, durch eine ähnliche Wandlung hindurchgegangen, und noch früher hatte Whitefield, der sich jetzt in Georgien befand, mit großem Eifer die Recht¬ fertigung dnrch den Glauben sowie die Wiedergeburt gepredigt, aber ohne die gefährliche Lehre von der Vollkommenheit der Erleuchteten anzunehmen. Un¬ mittelbar nach jenem 24. Mai unternahm John Wesleh eine Pilgerfahrt nach Herrnhut, um das, was er jetzt als den reinsten Typus der christlichen Kirche ansah, an der Quelle zu studiren. Er kehrte mit Einwendungen gegen mancherlei zurück, aber mehr als je von seiner Lehre überzeugt, und mehr als je entschlossen, sein Leben ans ihre Verbreitung zu verwenden. Im Laufe des Jahres 1738 hatten sich die Hauptelemente der Bewegung schon zu organisiren begonnen. Whitefield ,our aus Amerika zuriickgekehrt. Charles Wesley predigte mit außervrdcutlichciu Erfolge den Gefangnen in Newgate und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/43>, abgerufen am 25.08.2024.