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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Umgebung das volle Gefühl seiner persönlichen Ueberlegenheit, "Allerdings be¬
ruhe sonsten, was Gott und große Könige thun wollten, immer in einiger
Ungewißheit," schreibt sein Minister Thulemeycr in den ersten Wochen seiner
Regierung.

Friedrich hatte das Glück, daß sein Vater, als er im Mai 1740 starb, ihm
nicht nur einen gefüllten Schatz und ein schlagfertiges Heer, sondern auch völlige
Freiheit in der politischen Bewegung hinterließ. Uneingeengt durch bindende
Verpflichtungen oder Allianzen konnte er sich selbständig entschließen. Er war
28 Jahr alt und voller Thatendrang. Von dem seinen Vater noch beherrschenden
Gefühl kurfürstlicher Gebundenheit gegen Kaiser und Reich hatte er nichts geerbt.
Er sah in Preußen eine europäische Macht, die die Impulse ihrer Politik aus
sich selbst und ihren Interessen empfange, und diese Ansicht war nicht etwa die
Aeußerung eines naiv rücksichtslosen Egoismus, sondern die Frucht eifrigen Nach¬
denkens und literarischer Beschäftigung mit der politischen Wissenschaft. Er er¬
kannte in Europa nur zwei wirkliche Großmächte an, England und Frankreich.
Spanien, Holland, Oesterreich und Preußen zählte er zu den Mächten zweiten
Ranges. Preußen, schreibt er in der ursprünglichen Bearbeitung seiner Me¬
moiren, scheint mir die vierte dieser Mächte, weniger formidabel als das Haus
Oesterreich, aber stark genug, um in sich die Mittel für einen Krieg zu finden,
der nicht allzuschwer und lang ist. Bei der Ausdehnung seiner Provinzen
vom Osten Europas bis in den Südwesten immer mit Unterbrechungen, ver¬
vielfältigt sich die Zahl seiner Nachbarn ins Ungemessne. Seine Politik hinsicht¬
lich der Finanzen und der Industrie ermöglicht es ihn:, eine Conjunctur zu
erfassen und schnell aus derselben Vortheil zu ziehen, aber seine Klugheit muß
dasselbe zurückhalten, wem: es sich zuweit fortreißen lassen will. Um der zu
zahlreichen Nachbarschaft und der Zerstücklung seiner Provinzen willen kann es
nicht agiren ohne die Bundesgenossenschaft Frankreichs oder Englands."

Das galt namentlich in der politischen Frage, die bereits die letzte Hälfte
der Regierung seines Vaters erfüllt und verbittert hatte, nämlich der Erwerbung
der Lande Jülich und Berg beim bevorstehenden Anssierben des Hauses Pfalz-
Neuburg. Sofort nach seiner Thronbesteigung bot Friedrich hier wie dort seine
Allianz gegen bestimmte und ausgiebige Zusicherungen in dieser Frage an; doch
scheint er mehr ans Frankreich gerechnet zu haben. Die englische Politik in Deutsch¬
land war gänzlich von dem hannöverschen Hausinteresse Georgs II. beeinflußt,
ihr Schwerpunkt lag auf dem Meere; auf dem Continent schien Friedrich doch
Frankreich die erste und ausschlaggebende Macht zu sein. Bezeichnenderweise
erklärt er es für natürlich, daß diejenigen Fürsten, die sich vergrößern wollen,
sich an Frankreich anschließen, diejenigen, die mehr Wohlstand als Ruhm suchen,


Umgebung das volle Gefühl seiner persönlichen Ueberlegenheit, „Allerdings be¬
ruhe sonsten, was Gott und große Könige thun wollten, immer in einiger
Ungewißheit," schreibt sein Minister Thulemeycr in den ersten Wochen seiner
Regierung.

Friedrich hatte das Glück, daß sein Vater, als er im Mai 1740 starb, ihm
nicht nur einen gefüllten Schatz und ein schlagfertiges Heer, sondern auch völlige
Freiheit in der politischen Bewegung hinterließ. Uneingeengt durch bindende
Verpflichtungen oder Allianzen konnte er sich selbständig entschließen. Er war
28 Jahr alt und voller Thatendrang. Von dem seinen Vater noch beherrschenden
Gefühl kurfürstlicher Gebundenheit gegen Kaiser und Reich hatte er nichts geerbt.
Er sah in Preußen eine europäische Macht, die die Impulse ihrer Politik aus
sich selbst und ihren Interessen empfange, und diese Ansicht war nicht etwa die
Aeußerung eines naiv rücksichtslosen Egoismus, sondern die Frucht eifrigen Nach¬
denkens und literarischer Beschäftigung mit der politischen Wissenschaft. Er er¬
kannte in Europa nur zwei wirkliche Großmächte an, England und Frankreich.
Spanien, Holland, Oesterreich und Preußen zählte er zu den Mächten zweiten
Ranges. Preußen, schreibt er in der ursprünglichen Bearbeitung seiner Me¬
moiren, scheint mir die vierte dieser Mächte, weniger formidabel als das Haus
Oesterreich, aber stark genug, um in sich die Mittel für einen Krieg zu finden,
der nicht allzuschwer und lang ist. Bei der Ausdehnung seiner Provinzen
vom Osten Europas bis in den Südwesten immer mit Unterbrechungen, ver¬
vielfältigt sich die Zahl seiner Nachbarn ins Ungemessne. Seine Politik hinsicht¬
lich der Finanzen und der Industrie ermöglicht es ihn:, eine Conjunctur zu
erfassen und schnell aus derselben Vortheil zu ziehen, aber seine Klugheit muß
dasselbe zurückhalten, wem: es sich zuweit fortreißen lassen will. Um der zu
zahlreichen Nachbarschaft und der Zerstücklung seiner Provinzen willen kann es
nicht agiren ohne die Bundesgenossenschaft Frankreichs oder Englands."

Das galt namentlich in der politischen Frage, die bereits die letzte Hälfte
der Regierung seines Vaters erfüllt und verbittert hatte, nämlich der Erwerbung
der Lande Jülich und Berg beim bevorstehenden Anssierben des Hauses Pfalz-
Neuburg. Sofort nach seiner Thronbesteigung bot Friedrich hier wie dort seine
Allianz gegen bestimmte und ausgiebige Zusicherungen in dieser Frage an; doch
scheint er mehr ans Frankreich gerechnet zu haben. Die englische Politik in Deutsch¬
land war gänzlich von dem hannöverschen Hausinteresse Georgs II. beeinflußt,
ihr Schwerpunkt lag auf dem Meere; auf dem Continent schien Friedrich doch
Frankreich die erste und ausschlaggebende Macht zu sein. Bezeichnenderweise
erklärt er es für natürlich, daß diejenigen Fürsten, die sich vergrößern wollen,
sich an Frankreich anschließen, diejenigen, die mehr Wohlstand als Ruhm suchen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/438>, abgerufen am 22.07.2024.