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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Bildnisse Goethes.

schadet, "die als besonders wichtig und als besonders bedeutend hervorzuheben
ist, und welche diejenigen Bildnisse enthält, die für bestimmte Lebensperioden
des Dichters als entschieden charakteristisch erscheine", und die geradezu typisch
für dieselbe" geworden sind." Dann folgen Auszüge aus einigen Zeitungsartikeln,
die über Goethcbildnisse gehandelt habe", endlich ein Verzeichnis) der Künstler,
welche Gvethebildnisse geschaffen haben, nach Techniken und Ländern geordnet.

Unter den literarischen Zeugnissen über das Aeußere Goethes haben wir
eins vermißt, das Rottele wohl nicht gekannt hat, da er es sonst schwerlich Über¬
gängen haben würde: das des Engländers Henry Crabb Robinson, ein Doppel-
zengniß, da es Eindrücke aus den Jahren 1801 und 1829 mit einander vergleicht.
Ans seiner ersten Reise in Dentschland in den Jahren 1800--1805 hatte Robinson
1801 zusammen mit Seume Goethen besucht und folgendes über ihn aufgezeichnet:
"Ich erblickte in Goethe einen ältlichen Mann von einschüchternder Würde, mit
durchdringendem, schwer auszuhaltendem Blicke, einer etwas gebognen Nase und
sehr ausdrucksfähigen Lippen, welche, wenn sie geschlossen waren, sich immerfort
in Bewegung setzen zu wollen schienen, als ob sie nnr schwer ihre verborgnen
Schätze vor dem Zutagekommen zurückzuhalten vermochten. Sein Schritt war
fest, so daß er einem sonst etwas beleibten Körper eine edle Haltung gab; seine
Geberden waren gelassen,.und er hatte eine freie und Begeisterung kündende
Miene." Als er Goethe ans seiner dritten Reise in Deutschland 1829 wiedersah,
setzte er zu jener ersten Beschreibung noch die Worte hinzu: "Jetzt sah ich
freilich dieselbe" Augen; aber die Augenbrauen Ware" dünn geworden, die Wangen
hatten Furchen bekommen, die Lippen kräuselten sich nicht mehr mit Scheu er¬
weckenden Zusammeuprcsse", und die aufrechte, stolze Haltung war einem sanften
Neigen gewichen."*) Aber was liegt an dem einzelnen Zeugniß? Die Zusammen¬
stellung Nolletts leidet eher daran, daß sie zu viel, als daran, daß sie zu wenig
enthält. Mit kindlicher Freude über die Menge seines Materials reiht der
Verfasser Zeugniß an Zeugniß, wie er sie sich im Laufe der Jahre gesammelt
haben "rag, gleichviel ob sie Werth haben oder nicht. Da erscheint z. B. mitten
zwischen Thackeray und Heinrich Heine "der noch in den letzten siebziger Jahren
unsers Jahrhunderts sein Amt zu Weimar versehende Vorzeiger dortiger Merk¬
würdigkeiten" mit den gewichtigen Worten: "Der Herr Geheimderath waren ein
unvergeßlich stattlicher Herr!"**) Eine Anzahl Stellen gehören schon deshalb nicht
her, weil sie, wiewohl aus vornehmem Munde stammend, doch nicht eine Silbe über




K. Eitncr, Ein Engländer über deutsches Geistesleben im ersten Drittel dieses Jahr¬
hunderts. Weimar, Böhlnu, 1871. S. 1S3 und 328.
Rottele schreibt "der gehcimde Rath," hält also augenscheinlich die erste Hälfte des
Wortes für ein Adjectiv.
Die Bildnisse Goethes.

schadet, „die als besonders wichtig und als besonders bedeutend hervorzuheben
ist, und welche diejenigen Bildnisse enthält, die für bestimmte Lebensperioden
des Dichters als entschieden charakteristisch erscheine», und die geradezu typisch
für dieselbe» geworden sind." Dann folgen Auszüge aus einigen Zeitungsartikeln,
die über Goethcbildnisse gehandelt habe», endlich ein Verzeichnis) der Künstler,
welche Gvethebildnisse geschaffen haben, nach Techniken und Ländern geordnet.

Unter den literarischen Zeugnissen über das Aeußere Goethes haben wir
eins vermißt, das Rottele wohl nicht gekannt hat, da er es sonst schwerlich Über¬
gängen haben würde: das des Engländers Henry Crabb Robinson, ein Doppel-
zengniß, da es Eindrücke aus den Jahren 1801 und 1829 mit einander vergleicht.
Ans seiner ersten Reise in Dentschland in den Jahren 1800—1805 hatte Robinson
1801 zusammen mit Seume Goethen besucht und folgendes über ihn aufgezeichnet:
„Ich erblickte in Goethe einen ältlichen Mann von einschüchternder Würde, mit
durchdringendem, schwer auszuhaltendem Blicke, einer etwas gebognen Nase und
sehr ausdrucksfähigen Lippen, welche, wenn sie geschlossen waren, sich immerfort
in Bewegung setzen zu wollen schienen, als ob sie nnr schwer ihre verborgnen
Schätze vor dem Zutagekommen zurückzuhalten vermochten. Sein Schritt war
fest, so daß er einem sonst etwas beleibten Körper eine edle Haltung gab; seine
Geberden waren gelassen,.und er hatte eine freie und Begeisterung kündende
Miene." Als er Goethe ans seiner dritten Reise in Deutschland 1829 wiedersah,
setzte er zu jener ersten Beschreibung noch die Worte hinzu: „Jetzt sah ich
freilich dieselbe» Augen; aber die Augenbrauen Ware» dünn geworden, die Wangen
hatten Furchen bekommen, die Lippen kräuselten sich nicht mehr mit Scheu er¬
weckenden Zusammeuprcsse», und die aufrechte, stolze Haltung war einem sanften
Neigen gewichen."*) Aber was liegt an dem einzelnen Zeugniß? Die Zusammen¬
stellung Nolletts leidet eher daran, daß sie zu viel, als daran, daß sie zu wenig
enthält. Mit kindlicher Freude über die Menge seines Materials reiht der
Verfasser Zeugniß an Zeugniß, wie er sie sich im Laufe der Jahre gesammelt
haben »rag, gleichviel ob sie Werth haben oder nicht. Da erscheint z. B. mitten
zwischen Thackeray und Heinrich Heine „der noch in den letzten siebziger Jahren
unsers Jahrhunderts sein Amt zu Weimar versehende Vorzeiger dortiger Merk¬
würdigkeiten" mit den gewichtigen Worten: „Der Herr Geheimderath waren ein
unvergeßlich stattlicher Herr!"**) Eine Anzahl Stellen gehören schon deshalb nicht
her, weil sie, wiewohl aus vornehmem Munde stammend, doch nicht eine Silbe über




K. Eitncr, Ein Engländer über deutsches Geistesleben im ersten Drittel dieses Jahr¬
hunderts. Weimar, Böhlnu, 1871. S. 1S3 und 328.
Rottele schreibt „der gehcimde Rath," hält also augenscheinlich die erste Hälfte des
Wortes für ein Adjectiv.
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[0418] Die Bildnisse Goethes. schadet, „die als besonders wichtig und als besonders bedeutend hervorzuheben ist, und welche diejenigen Bildnisse enthält, die für bestimmte Lebensperioden des Dichters als entschieden charakteristisch erscheine», und die geradezu typisch für dieselbe» geworden sind." Dann folgen Auszüge aus einigen Zeitungsartikeln, die über Goethcbildnisse gehandelt habe», endlich ein Verzeichnis) der Künstler, welche Gvethebildnisse geschaffen haben, nach Techniken und Ländern geordnet. Unter den literarischen Zeugnissen über das Aeußere Goethes haben wir eins vermißt, das Rottele wohl nicht gekannt hat, da er es sonst schwerlich Über¬ gängen haben würde: das des Engländers Henry Crabb Robinson, ein Doppel- zengniß, da es Eindrücke aus den Jahren 1801 und 1829 mit einander vergleicht. Ans seiner ersten Reise in Dentschland in den Jahren 1800—1805 hatte Robinson 1801 zusammen mit Seume Goethen besucht und folgendes über ihn aufgezeichnet: „Ich erblickte in Goethe einen ältlichen Mann von einschüchternder Würde, mit durchdringendem, schwer auszuhaltendem Blicke, einer etwas gebognen Nase und sehr ausdrucksfähigen Lippen, welche, wenn sie geschlossen waren, sich immerfort in Bewegung setzen zu wollen schienen, als ob sie nnr schwer ihre verborgnen Schätze vor dem Zutagekommen zurückzuhalten vermochten. Sein Schritt war fest, so daß er einem sonst etwas beleibten Körper eine edle Haltung gab; seine Geberden waren gelassen,.und er hatte eine freie und Begeisterung kündende Miene." Als er Goethe ans seiner dritten Reise in Deutschland 1829 wiedersah, setzte er zu jener ersten Beschreibung noch die Worte hinzu: „Jetzt sah ich freilich dieselbe» Augen; aber die Augenbrauen Ware» dünn geworden, die Wangen hatten Furchen bekommen, die Lippen kräuselten sich nicht mehr mit Scheu er¬ weckenden Zusammeuprcsse», und die aufrechte, stolze Haltung war einem sanften Neigen gewichen."*) Aber was liegt an dem einzelnen Zeugniß? Die Zusammen¬ stellung Nolletts leidet eher daran, daß sie zu viel, als daran, daß sie zu wenig enthält. Mit kindlicher Freude über die Menge seines Materials reiht der Verfasser Zeugniß an Zeugniß, wie er sie sich im Laufe der Jahre gesammelt haben »rag, gleichviel ob sie Werth haben oder nicht. Da erscheint z. B. mitten zwischen Thackeray und Heinrich Heine „der noch in den letzten siebziger Jahren unsers Jahrhunderts sein Amt zu Weimar versehende Vorzeiger dortiger Merk¬ würdigkeiten" mit den gewichtigen Worten: „Der Herr Geheimderath waren ein unvergeßlich stattlicher Herr!"**) Eine Anzahl Stellen gehören schon deshalb nicht her, weil sie, wiewohl aus vornehmem Munde stammend, doch nicht eine Silbe über K. Eitncr, Ein Engländer über deutsches Geistesleben im ersten Drittel dieses Jahr¬ hunderts. Weimar, Böhlnu, 1871. S. 1S3 und 328. Rottele schreibt „der gehcimde Rath," hält also augenscheinlich die erste Hälfte des Wortes für ein Adjectiv.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/418>, abgerufen am 23.07.2024.