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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Sie Bildnisse Goethes.

Goethes äußere Erscheinung enthalten. Kestner schreibt z. B. 1772: "Er ist
mit einem Worte ein sehr merkwürdiger Mensch , . . ich würde nicht fertig werden,
wenn ich ihn ganz schildern wollte," Fritz Jacobi 1774: "Je mehr ichs über¬
denke, je lebhafter empfinde ich die Unmöglichkeit, dem, der Goethe nicht gesehen
noch gehört hat, etwas Begreifliches über dieses außerordentliche Geschöpf Gottes
zu schreiben," Johann Georg Forster 1779: "Der junge Goethe ist ein gescheuter,
vernünftiger, schnellblickender Mann, der wenig Worte macht; gutherzig, einfach
in seinem Wesen. Männer, die sich aus dem großen Haufen auszeichnen, sind
nicht zu beschreiben; der Charakter eines Mannes vom hohem Genius ist selten
wetterleuchtend und übertrieben, er besteht in einigen wenigen Schattierungen,
die man sehen und hören muß, aber nicht beschreiben kann." Was gewinnen
nur für die Gestalt des Dichters aus solchen Zeugnissen, die es ausdrücklich
ablehnen, seine Gestalt zu zeichnen? Indessen läßt man sie sich in der Uebersicht
Rvlletts immer noch gefallen, dn sie wenigstens insofern charakteristisch sind, als
sie, ebenso wie anch noch einige andre, darin übereinstimmen, daß ein Zauber in
Goethes Persönlichkeit gewesen sei, der jeder Beschreibung Spotte. Was sollen aber
mitten zwischen den Schilderungen des jungen Goethe, die ans dem Munde von Zeit¬
genossen, von Augenzeugen herrühren, Citate aus Schriften von Heinrich Döring
(1828), August Diezmann (1860), Edmund Hoefer (1872)? Wenn diese schreibe",
daß Goethe in der Jngend "schön" gewesen, kann das irgend den Werth eines
Zeugnisses beanspruchen, das man in bunter Reihe neben die Zeugnisse von Juug-
Stilliug, Hciuse, Boie, Wieland, Schiller, Marianne Willemer u. a. stellen darf?
Das ist doch ein bloßes Aneinanderreihen von Lcsefrüchten, ohne Urtheil und Wahl.

An diesem Fehler laborirt aber die ganze Einleitung. Der Verfasser ist
nicht im Stande gewesen, sein Material gehörig zu gruppiren und zu verarbeite".
Recht bezeichnend dafür ist noch folgendes. Rottele hatte im Mai 1878 im
Wiener Goetheverein einen Theil seiner Sammlung allsgestellt und einen Vor¬
trag darüber gehalten. Hieran anknüpfend erschien in der Wiener "Deutschen
Zeitung" vom 1. Juni 1878 ein Aussatz über Goethes äußere Erscheinung, worin
auf eine höchst genaue und detnillirte Schilderung Goethes aufmerksam gemacht
war, die der Bildhauer David Veit nach einen: Besuche bei Goethe im März
1793 in einem Briefe an Nadel sandte. Jeder andre würde um den Nachweis
dieses Zeugnisses dankbarst acceptirt und es in die chronologische Folge der
übrigen suo looo, also nach Schiller (1788) eingereiht haben. Was thut
Rottele? Er übergeht das Zeugniß dort, wo es einzig hingehört, und druckt
dafür später beinahe den ganzen Artikel der Wiener Zeitung in oxtenso ab!")



Ohne übrigens einen Irrthum zu berichtige", der sich darin findet. Das bekannte
Kedichtchrn:
Sie Bildnisse Goethes.

Goethes äußere Erscheinung enthalten. Kestner schreibt z. B. 1772: „Er ist
mit einem Worte ein sehr merkwürdiger Mensch , . . ich würde nicht fertig werden,
wenn ich ihn ganz schildern wollte," Fritz Jacobi 1774: „Je mehr ichs über¬
denke, je lebhafter empfinde ich die Unmöglichkeit, dem, der Goethe nicht gesehen
noch gehört hat, etwas Begreifliches über dieses außerordentliche Geschöpf Gottes
zu schreiben," Johann Georg Forster 1779: „Der junge Goethe ist ein gescheuter,
vernünftiger, schnellblickender Mann, der wenig Worte macht; gutherzig, einfach
in seinem Wesen. Männer, die sich aus dem großen Haufen auszeichnen, sind
nicht zu beschreiben; der Charakter eines Mannes vom hohem Genius ist selten
wetterleuchtend und übertrieben, er besteht in einigen wenigen Schattierungen,
die man sehen und hören muß, aber nicht beschreiben kann." Was gewinnen
nur für die Gestalt des Dichters aus solchen Zeugnissen, die es ausdrücklich
ablehnen, seine Gestalt zu zeichnen? Indessen läßt man sie sich in der Uebersicht
Rvlletts immer noch gefallen, dn sie wenigstens insofern charakteristisch sind, als
sie, ebenso wie anch noch einige andre, darin übereinstimmen, daß ein Zauber in
Goethes Persönlichkeit gewesen sei, der jeder Beschreibung Spotte. Was sollen aber
mitten zwischen den Schilderungen des jungen Goethe, die ans dem Munde von Zeit¬
genossen, von Augenzeugen herrühren, Citate aus Schriften von Heinrich Döring
(1828), August Diezmann (1860), Edmund Hoefer (1872)? Wenn diese schreibe»,
daß Goethe in der Jngend „schön" gewesen, kann das irgend den Werth eines
Zeugnisses beanspruchen, das man in bunter Reihe neben die Zeugnisse von Juug-
Stilliug, Hciuse, Boie, Wieland, Schiller, Marianne Willemer u. a. stellen darf?
Das ist doch ein bloßes Aneinanderreihen von Lcsefrüchten, ohne Urtheil und Wahl.

An diesem Fehler laborirt aber die ganze Einleitung. Der Verfasser ist
nicht im Stande gewesen, sein Material gehörig zu gruppiren und zu verarbeite».
Recht bezeichnend dafür ist noch folgendes. Rottele hatte im Mai 1878 im
Wiener Goetheverein einen Theil seiner Sammlung allsgestellt und einen Vor¬
trag darüber gehalten. Hieran anknüpfend erschien in der Wiener „Deutschen
Zeitung" vom 1. Juni 1878 ein Aussatz über Goethes äußere Erscheinung, worin
auf eine höchst genaue und detnillirte Schilderung Goethes aufmerksam gemacht
war, die der Bildhauer David Veit nach einen: Besuche bei Goethe im März
1793 in einem Briefe an Nadel sandte. Jeder andre würde um den Nachweis
dieses Zeugnisses dankbarst acceptirt und es in die chronologische Folge der
übrigen suo looo, also nach Schiller (1788) eingereiht haben. Was thut
Rottele? Er übergeht das Zeugniß dort, wo es einzig hingehört, und druckt
dafür später beinahe den ganzen Artikel der Wiener Zeitung in oxtenso ab!")



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/419>, abgerufen am 23.07.2024.