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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Bildnisse Goethes.

Würtemberg gemalt hat. Wieland schreibt darüber am 1. August 1779 an Merck:
"Mit Göthen hab ich vergangene Woche einen gar guten Tag gehabt. Er und
ich haben uns entschließen müssen, dem Rath Mas zu sitzen, der uns sx volo
der Herzogin von Würtemberg sür Ihre Durchlaucht mahlen soll. Göthe saß
Vor- und Nachmittags und bat mich, weil Serenissimus Athous war, ihm bei
dieser leidigen Session Gesellschaft zu leisten und zur Unterhaltung der Geister
den ,Oberon' vorzulesen. Zum Glück mußte sichs treffen, daß der fast immer
wüthige Mensch diesen Tag gerade in seiner besten, reeeptivsten Laune und so
amüsable war wie ein Mädchen von sechzehn." Von diesem Bilde giebt es eine
große Anzahl von Nachbildungen in Stich, Holzschnitt, Lithographie und neuer¬
dings auch Photographie, die in geradezu lächerlicher Weise von einander ab¬
weichen. Hat man ein halbes Dutzend davon vor sich liegen, so hat man genau
den Eindruck, als befinde man sich einer Anzahl von Schülerarbeiten aus der
Copirclasse einer Kunstakademie gegenüber: jeder hat dieselbe Vorlage gehabt,
und jeder hat das Bild anders gesehen und etwas andres hineingesehen als seine
Genossen. Am bekanntesten sind wohl die beiden Lithographien Rohrbachs
von 1860 und 1373 geworden, die kleinern Holzschnitten und Photographien
wieder öfter zu Grunde gelegt worden sind. Großes Aufsehen erregte vor drei
Jahren eine von der Cottaschen Verlagshandlung selbst publicirte, angeblich nach
dem Originalgemälde hergestellte Photographie. Dies Bild ist jedenfalls die
eleganteste und bestechendste Nachbildung des Originals, die bisher in den Handel
gekommen ist; jedermann, der sie sah, ohne das Original zu kennen, war ent¬
zückt davon. Dennoch handelte sichs auch hier um nichts als eine -- gelind ge¬
sagt -- schöne Illusion. In dem vor uns hängenden Exemplare ist der ganze
Kopf und viele andre Theile des Bildes so gründlich retouchirt, daß von dem
Original fast keine Spur mehr übrig geblieben ist. Es ist ein völlig andres
Bild geworden. Und genau so sind andre Exemplare behandelt, die wir kennen.
Als wir die Photographie zum ersten Male sahen, meinten wir nicht eine Auf¬
nahme des Originals, sondern einer nach dem Original angefertigten Kohlen¬
zeichnung vor uns zu haben -- so stark hat die Retouche in dem Bilde gewüthet.

Ueber die Radirung Angers nun, die, wie es in der Unterschrift heißt, "nach
dem Oelgemüldc von Georg Oswald Mas" -- das soll doch wohl heißen: direct
darnach, nicht durch die Zwischenstufe eine Photographie? -- ausgeführt ist,
schreibt Rottele im Texte: "Eine dem Original-Gemälde vollkommen entsprechende
Nachbildung durch Künstlerhand blieb noch zu wünschen übrig, bis die Pracht-
radirung William Angers für vorliegendes Werk entstand, von welchem malerisch
wirksamen Blatte man wohl mit gutem Gewissen sagen kann, daß es den Aus¬
druck des Gemäldes erreicht." Nun, der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes


Die Bildnisse Goethes.

Würtemberg gemalt hat. Wieland schreibt darüber am 1. August 1779 an Merck:
„Mit Göthen hab ich vergangene Woche einen gar guten Tag gehabt. Er und
ich haben uns entschließen müssen, dem Rath Mas zu sitzen, der uns sx volo
der Herzogin von Würtemberg sür Ihre Durchlaucht mahlen soll. Göthe saß
Vor- und Nachmittags und bat mich, weil Serenissimus Athous war, ihm bei
dieser leidigen Session Gesellschaft zu leisten und zur Unterhaltung der Geister
den ,Oberon' vorzulesen. Zum Glück mußte sichs treffen, daß der fast immer
wüthige Mensch diesen Tag gerade in seiner besten, reeeptivsten Laune und so
amüsable war wie ein Mädchen von sechzehn." Von diesem Bilde giebt es eine
große Anzahl von Nachbildungen in Stich, Holzschnitt, Lithographie und neuer¬
dings auch Photographie, die in geradezu lächerlicher Weise von einander ab¬
weichen. Hat man ein halbes Dutzend davon vor sich liegen, so hat man genau
den Eindruck, als befinde man sich einer Anzahl von Schülerarbeiten aus der
Copirclasse einer Kunstakademie gegenüber: jeder hat dieselbe Vorlage gehabt,
und jeder hat das Bild anders gesehen und etwas andres hineingesehen als seine
Genossen. Am bekanntesten sind wohl die beiden Lithographien Rohrbachs
von 1860 und 1373 geworden, die kleinern Holzschnitten und Photographien
wieder öfter zu Grunde gelegt worden sind. Großes Aufsehen erregte vor drei
Jahren eine von der Cottaschen Verlagshandlung selbst publicirte, angeblich nach
dem Originalgemälde hergestellte Photographie. Dies Bild ist jedenfalls die
eleganteste und bestechendste Nachbildung des Originals, die bisher in den Handel
gekommen ist; jedermann, der sie sah, ohne das Original zu kennen, war ent¬
zückt davon. Dennoch handelte sichs auch hier um nichts als eine — gelind ge¬
sagt — schöne Illusion. In dem vor uns hängenden Exemplare ist der ganze
Kopf und viele andre Theile des Bildes so gründlich retouchirt, daß von dem
Original fast keine Spur mehr übrig geblieben ist. Es ist ein völlig andres
Bild geworden. Und genau so sind andre Exemplare behandelt, die wir kennen.
Als wir die Photographie zum ersten Male sahen, meinten wir nicht eine Auf¬
nahme des Originals, sondern einer nach dem Original angefertigten Kohlen¬
zeichnung vor uns zu haben — so stark hat die Retouche in dem Bilde gewüthet.

Ueber die Radirung Angers nun, die, wie es in der Unterschrift heißt, „nach
dem Oelgemüldc von Georg Oswald Mas" — das soll doch wohl heißen: direct
darnach, nicht durch die Zwischenstufe eine Photographie? — ausgeführt ist,
schreibt Rottele im Texte: „Eine dem Original-Gemälde vollkommen entsprechende
Nachbildung durch Künstlerhand blieb noch zu wünschen übrig, bis die Pracht-
radirung William Angers für vorliegendes Werk entstand, von welchem malerisch
wirksamen Blatte man wohl mit gutem Gewissen sagen kann, daß es den Aus¬
druck des Gemäldes erreicht." Nun, der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes


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[0416] Die Bildnisse Goethes. Würtemberg gemalt hat. Wieland schreibt darüber am 1. August 1779 an Merck: „Mit Göthen hab ich vergangene Woche einen gar guten Tag gehabt. Er und ich haben uns entschließen müssen, dem Rath Mas zu sitzen, der uns sx volo der Herzogin von Würtemberg sür Ihre Durchlaucht mahlen soll. Göthe saß Vor- und Nachmittags und bat mich, weil Serenissimus Athous war, ihm bei dieser leidigen Session Gesellschaft zu leisten und zur Unterhaltung der Geister den ,Oberon' vorzulesen. Zum Glück mußte sichs treffen, daß der fast immer wüthige Mensch diesen Tag gerade in seiner besten, reeeptivsten Laune und so amüsable war wie ein Mädchen von sechzehn." Von diesem Bilde giebt es eine große Anzahl von Nachbildungen in Stich, Holzschnitt, Lithographie und neuer¬ dings auch Photographie, die in geradezu lächerlicher Weise von einander ab¬ weichen. Hat man ein halbes Dutzend davon vor sich liegen, so hat man genau den Eindruck, als befinde man sich einer Anzahl von Schülerarbeiten aus der Copirclasse einer Kunstakademie gegenüber: jeder hat dieselbe Vorlage gehabt, und jeder hat das Bild anders gesehen und etwas andres hineingesehen als seine Genossen. Am bekanntesten sind wohl die beiden Lithographien Rohrbachs von 1860 und 1373 geworden, die kleinern Holzschnitten und Photographien wieder öfter zu Grunde gelegt worden sind. Großes Aufsehen erregte vor drei Jahren eine von der Cottaschen Verlagshandlung selbst publicirte, angeblich nach dem Originalgemälde hergestellte Photographie. Dies Bild ist jedenfalls die eleganteste und bestechendste Nachbildung des Originals, die bisher in den Handel gekommen ist; jedermann, der sie sah, ohne das Original zu kennen, war ent¬ zückt davon. Dennoch handelte sichs auch hier um nichts als eine — gelind ge¬ sagt — schöne Illusion. In dem vor uns hängenden Exemplare ist der ganze Kopf und viele andre Theile des Bildes so gründlich retouchirt, daß von dem Original fast keine Spur mehr übrig geblieben ist. Es ist ein völlig andres Bild geworden. Und genau so sind andre Exemplare behandelt, die wir kennen. Als wir die Photographie zum ersten Male sahen, meinten wir nicht eine Auf¬ nahme des Originals, sondern einer nach dem Original angefertigten Kohlen¬ zeichnung vor uns zu haben — so stark hat die Retouche in dem Bilde gewüthet. Ueber die Radirung Angers nun, die, wie es in der Unterschrift heißt, „nach dem Oelgemüldc von Georg Oswald Mas" — das soll doch wohl heißen: direct darnach, nicht durch die Zwischenstufe eine Photographie? — ausgeführt ist, schreibt Rottele im Texte: „Eine dem Original-Gemälde vollkommen entsprechende Nachbildung durch Künstlerhand blieb noch zu wünschen übrig, bis die Pracht- radirung William Angers für vorliegendes Werk entstand, von welchem malerisch wirksamen Blatte man wohl mit gutem Gewissen sagen kann, daß es den Aus¬ druck des Gemäldes erreicht." Nun, der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/416>, abgerufen am 23.07.2024.