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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Bildnisse Goethes.

wird mau sie vermeiden. Gerade beim Porträt aber, bei dem die geringste Ab¬
weichung vom Original imstande ist, einen fremdartigen Zug in ein Gesicht zu
bringen, würden wir der Photographie vor jeder andern Vervielfältigung deu
Vorzug geben, vorausgesetzt, daß, was gegenwärtig freilich noch ein Geheimniß
weniger photographischen Institute in Deutschland, wie F. Hanfstängls in München
und der photographischen Gesellschaft in Berlin zu sein scheint, die photographische
Aufnahme des Oelbildes ein völlig klares, scharfes und kräftiges Bild ergiebt, das
nirgends der nachhelfenden Retouche bedarf.

Die Verlagshandlung scheint andrer Ansicht gewesen zu sein. Sie hat, der
an sich höchst erfreulichen Richtung des gegenwärtigen Geschmacks folgend, welche
die Radirung wieder pflegt und welche namentlich in Wien, wo die "Gesellschaft
für vervielfältigende Kunst" ihren Sitz hat, stark entwickelt ist, bei den zehn Haupt-
bildern der Radirung den Vorzug gegeben und sich für die Ausführung dieser
Aufgabe an Professor Unger gewandt, der gegenwärtig als Radirer ja hoch
gefeiert wird. Daß sie damit aber keinen glücklichen Griff gethan, beweist bereits
die vorliegende Lieferung. Unger steht in der Geschicklichkeit, mit der er die
Nadirnadcl führt, unter den deutschen Künstlern gewiß jetzt obenan. Seine Stärke
aber liegt vor allem in der virtuosen Wiedergabe des Colorits, nicht in der Correct-
heit der Zeichnung; mit dieser darf mans bei ihm nicht allzugenau nehmen. Soll doch
einer der größten lebenden Maler, als ihm von einem seiner Bilder eine Radirung
von Angers Hand vorgelegt wurde, gesagt haben: "Das ist keine Radirung, das
ist eine Verleumdung." Speciell für das Porträt, noch specieller für das fast
ausnahmslos im Profil erscheinende, scharf umrissne Porträt des jungen Goethe,
das durch die leiseste" Mvdifieiruugeu sofort einen fremdartigen Beigeschmack
erhält, besitzt Unger nicht die nöthige pedantische Gewissenhaftigkeit. Zum Mode¬
künstler geworden, mit Aufträgen bestürmt, arbeitet er überdies in den letzten
Jahren flüchtiger als früher. So waren wir von vornherein im Zweifel, ob
gerade er die geeignete Kraft für die vorliegende Aufgabe sein würde, und die
erschienene erste Lieferung hat diesen Zweifel nur gerechtfertigt.

Ueber das erste Bild zwar haben wir kein Urtheil. Es ist eine Radirung
mich dem im Schlößchen zu Tiefurt befindlichen, 1775 von dem Bildhauer Johann
Petel Melchior angefertigten Gypsmedaillon, von Unger nach einer Photographie
des Medaillons ausgeführt. Technisch ist es unzweifelhaft eine äußerst zarte,
delicate Leistung; die Aehnlichkeit vermögen wir nicht zu controliren. Anders
verhält sichs mit dem zweiten Bilde, dem berühmtesten und populärsten Porträt
des jungen Goethe, welches überhaupt existirt. Es ist das gegenwärtig im Be¬
sitz der Cottaschen Buchhandlung befindliche Bild, welches im Sommer 1779
in Weimar der Maler Georg Oswald May im Auftrage der Herzogin von


Die Bildnisse Goethes.

wird mau sie vermeiden. Gerade beim Porträt aber, bei dem die geringste Ab¬
weichung vom Original imstande ist, einen fremdartigen Zug in ein Gesicht zu
bringen, würden wir der Photographie vor jeder andern Vervielfältigung deu
Vorzug geben, vorausgesetzt, daß, was gegenwärtig freilich noch ein Geheimniß
weniger photographischen Institute in Deutschland, wie F. Hanfstängls in München
und der photographischen Gesellschaft in Berlin zu sein scheint, die photographische
Aufnahme des Oelbildes ein völlig klares, scharfes und kräftiges Bild ergiebt, das
nirgends der nachhelfenden Retouche bedarf.

Die Verlagshandlung scheint andrer Ansicht gewesen zu sein. Sie hat, der
an sich höchst erfreulichen Richtung des gegenwärtigen Geschmacks folgend, welche
die Radirung wieder pflegt und welche namentlich in Wien, wo die „Gesellschaft
für vervielfältigende Kunst" ihren Sitz hat, stark entwickelt ist, bei den zehn Haupt-
bildern der Radirung den Vorzug gegeben und sich für die Ausführung dieser
Aufgabe an Professor Unger gewandt, der gegenwärtig als Radirer ja hoch
gefeiert wird. Daß sie damit aber keinen glücklichen Griff gethan, beweist bereits
die vorliegende Lieferung. Unger steht in der Geschicklichkeit, mit der er die
Nadirnadcl führt, unter den deutschen Künstlern gewiß jetzt obenan. Seine Stärke
aber liegt vor allem in der virtuosen Wiedergabe des Colorits, nicht in der Correct-
heit der Zeichnung; mit dieser darf mans bei ihm nicht allzugenau nehmen. Soll doch
einer der größten lebenden Maler, als ihm von einem seiner Bilder eine Radirung
von Angers Hand vorgelegt wurde, gesagt haben: „Das ist keine Radirung, das
ist eine Verleumdung." Speciell für das Porträt, noch specieller für das fast
ausnahmslos im Profil erscheinende, scharf umrissne Porträt des jungen Goethe,
das durch die leiseste» Mvdifieiruugeu sofort einen fremdartigen Beigeschmack
erhält, besitzt Unger nicht die nöthige pedantische Gewissenhaftigkeit. Zum Mode¬
künstler geworden, mit Aufträgen bestürmt, arbeitet er überdies in den letzten
Jahren flüchtiger als früher. So waren wir von vornherein im Zweifel, ob
gerade er die geeignete Kraft für die vorliegende Aufgabe sein würde, und die
erschienene erste Lieferung hat diesen Zweifel nur gerechtfertigt.

Ueber das erste Bild zwar haben wir kein Urtheil. Es ist eine Radirung
mich dem im Schlößchen zu Tiefurt befindlichen, 1775 von dem Bildhauer Johann
Petel Melchior angefertigten Gypsmedaillon, von Unger nach einer Photographie
des Medaillons ausgeführt. Technisch ist es unzweifelhaft eine äußerst zarte,
delicate Leistung; die Aehnlichkeit vermögen wir nicht zu controliren. Anders
verhält sichs mit dem zweiten Bilde, dem berühmtesten und populärsten Porträt
des jungen Goethe, welches überhaupt existirt. Es ist das gegenwärtig im Be¬
sitz der Cottaschen Buchhandlung befindliche Bild, welches im Sommer 1779
in Weimar der Maler Georg Oswald May im Auftrage der Herzogin von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/415>, abgerufen am 23.07.2024.