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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Talleyrand auf dem Iviener Longreß.

zu erlangen. Indern sich Frankreich ihrer annehme, gewinne es naturgemäß
Einfluß auf sie. Es sei also nicht gleichgültig, ob ihre Stimmen gezählt würde"
oder nicht. Die Gesandten Ludwigs XVIII. müßten sich also sür Zulassung
der Bevollmächtigten auch der kleinsten Staaten verwenden. Hierbei sollte es
keinen Unterschied machen, ob das Land erobert sei oder nicht. Die Nationen
Europas lebten uicht allein unter einem moralischen oder natürlichen Rechte,
sondern auch unter einem Gesetze, das sie sich selbst gemacht hätten und das
dem erstem erst die Sanction gebe, die ihm fehle, dies sei das Völkerrecht. In
diesem Rechte gebe es zwei fundamentale Principien. Die Souveränität, die
für das öffentliche Recht das nämliche sei, was das Eigenthum für das Privat¬
recht, könne niemals allein durch das einfache Factum der Eroberung erworben
werden; sodann sei die Souveränität nur rechtsgiltig für die Mächte, die sie
anerkannt hätten. Daher müsse auch jeder Fürst, der als Souverän allgemein
anerkannt gewesen sei und aus seine Hoheitsrechte nicht verzichtet habe, das Recht
haben, Gesandte zum Congreß zu schicken. Natürlich sei auch jeder Verzicht auf
die Souveränität ungiltig, wenn er nicht in voller Freiheit ausgesprochen werde.
Danach müsse also der König von Sachsen nicht bloß berechtigt sein, seinen Be¬
vollmächtigten zu schicken, sondern auch aus der Gefangenschaft entlassen werden.

Als Gegenstände der Berathung seien durch ,den Vertrag vom 30. Mai
ins Auge gefaßt: Die Verfügung über die von Frankreich abzutretenden Länder,
Herstellung eines dauerhaften Gleichgewichts in Europa, Organisation deS deutschen
Bundes, Garantie für die Neugestaltung der Schweiz, Rheinschifffahrt und endlich
die Abschaffung des Sklavenhandels. Die französische Regierung vermisse die
Regelung der Erbfolge in Sardinien zu Gunsten des berechtigten Hauses Ca-
rigncm. Man müsse hier den etwaigen Erbansprüchen des Hauses Oesterreich
zuvorkommen. Ferner müsse auch die Neutralität der Schweiz und der Bestand
der Pforte garantirt werden. Was die Gebietsveränderungen betreffe, so müsse
in Italien Oesterreichs dominirender Einfluß verhindert werden. Die Unab¬
hängigkeit der Halbinsel bestehe darin, daß ihre Staaten stets einander das Gleich¬
gewicht hielten. Daher solle der Usurpator Murat, oslui ani re-Ans g, Mxlss,
dem legitimen Könige Ferdinand IV. die Krone zurückgeben, Toskana der Königin
von Etrurien, die Legationen von Ravenna und Bologna an den Papst, endlich
das Fürstenthum Pivmbinv an seinen rechtmäßigen Herrn zurückfallen.

Höchst charakteristisch ist, was die Instruction über Deutschland und Preußen
sagt: "In Italien, heißt es, ist es Oesterreich, das man hindern muß zu herrschen,
indem man gegen seinen Einfluß die andern Staaten kräftigt. In Deutschland
ist es Preußen. Die natürliche Lage der Monarchie macht ihm aus dem Ehr¬
geiz eine Art von Nothwendigkeit. Jeder Vorwand ist ihm gut. Kein Bedenken


Talleyrand auf dem Iviener Longreß.

zu erlangen. Indern sich Frankreich ihrer annehme, gewinne es naturgemäß
Einfluß auf sie. Es sei also nicht gleichgültig, ob ihre Stimmen gezählt würde»
oder nicht. Die Gesandten Ludwigs XVIII. müßten sich also sür Zulassung
der Bevollmächtigten auch der kleinsten Staaten verwenden. Hierbei sollte es
keinen Unterschied machen, ob das Land erobert sei oder nicht. Die Nationen
Europas lebten uicht allein unter einem moralischen oder natürlichen Rechte,
sondern auch unter einem Gesetze, das sie sich selbst gemacht hätten und das
dem erstem erst die Sanction gebe, die ihm fehle, dies sei das Völkerrecht. In
diesem Rechte gebe es zwei fundamentale Principien. Die Souveränität, die
für das öffentliche Recht das nämliche sei, was das Eigenthum für das Privat¬
recht, könne niemals allein durch das einfache Factum der Eroberung erworben
werden; sodann sei die Souveränität nur rechtsgiltig für die Mächte, die sie
anerkannt hätten. Daher müsse auch jeder Fürst, der als Souverän allgemein
anerkannt gewesen sei und aus seine Hoheitsrechte nicht verzichtet habe, das Recht
haben, Gesandte zum Congreß zu schicken. Natürlich sei auch jeder Verzicht auf
die Souveränität ungiltig, wenn er nicht in voller Freiheit ausgesprochen werde.
Danach müsse also der König von Sachsen nicht bloß berechtigt sein, seinen Be¬
vollmächtigten zu schicken, sondern auch aus der Gefangenschaft entlassen werden.

Als Gegenstände der Berathung seien durch ,den Vertrag vom 30. Mai
ins Auge gefaßt: Die Verfügung über die von Frankreich abzutretenden Länder,
Herstellung eines dauerhaften Gleichgewichts in Europa, Organisation deS deutschen
Bundes, Garantie für die Neugestaltung der Schweiz, Rheinschifffahrt und endlich
die Abschaffung des Sklavenhandels. Die französische Regierung vermisse die
Regelung der Erbfolge in Sardinien zu Gunsten des berechtigten Hauses Ca-
rigncm. Man müsse hier den etwaigen Erbansprüchen des Hauses Oesterreich
zuvorkommen. Ferner müsse auch die Neutralität der Schweiz und der Bestand
der Pforte garantirt werden. Was die Gebietsveränderungen betreffe, so müsse
in Italien Oesterreichs dominirender Einfluß verhindert werden. Die Unab¬
hängigkeit der Halbinsel bestehe darin, daß ihre Staaten stets einander das Gleich¬
gewicht hielten. Daher solle der Usurpator Murat, oslui ani re-Ans g, Mxlss,
dem legitimen Könige Ferdinand IV. die Krone zurückgeben, Toskana der Königin
von Etrurien, die Legationen von Ravenna und Bologna an den Papst, endlich
das Fürstenthum Pivmbinv an seinen rechtmäßigen Herrn zurückfallen.

Höchst charakteristisch ist, was die Instruction über Deutschland und Preußen
sagt: „In Italien, heißt es, ist es Oesterreich, das man hindern muß zu herrschen,
indem man gegen seinen Einfluß die andern Staaten kräftigt. In Deutschland
ist es Preußen. Die natürliche Lage der Monarchie macht ihm aus dem Ehr¬
geiz eine Art von Nothwendigkeit. Jeder Vorwand ist ihm gut. Kein Bedenken


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[0401] Talleyrand auf dem Iviener Longreß. zu erlangen. Indern sich Frankreich ihrer annehme, gewinne es naturgemäß Einfluß auf sie. Es sei also nicht gleichgültig, ob ihre Stimmen gezählt würde» oder nicht. Die Gesandten Ludwigs XVIII. müßten sich also sür Zulassung der Bevollmächtigten auch der kleinsten Staaten verwenden. Hierbei sollte es keinen Unterschied machen, ob das Land erobert sei oder nicht. Die Nationen Europas lebten uicht allein unter einem moralischen oder natürlichen Rechte, sondern auch unter einem Gesetze, das sie sich selbst gemacht hätten und das dem erstem erst die Sanction gebe, die ihm fehle, dies sei das Völkerrecht. In diesem Rechte gebe es zwei fundamentale Principien. Die Souveränität, die für das öffentliche Recht das nämliche sei, was das Eigenthum für das Privat¬ recht, könne niemals allein durch das einfache Factum der Eroberung erworben werden; sodann sei die Souveränität nur rechtsgiltig für die Mächte, die sie anerkannt hätten. Daher müsse auch jeder Fürst, der als Souverän allgemein anerkannt gewesen sei und aus seine Hoheitsrechte nicht verzichtet habe, das Recht haben, Gesandte zum Congreß zu schicken. Natürlich sei auch jeder Verzicht auf die Souveränität ungiltig, wenn er nicht in voller Freiheit ausgesprochen werde. Danach müsse also der König von Sachsen nicht bloß berechtigt sein, seinen Be¬ vollmächtigten zu schicken, sondern auch aus der Gefangenschaft entlassen werden. Als Gegenstände der Berathung seien durch ,den Vertrag vom 30. Mai ins Auge gefaßt: Die Verfügung über die von Frankreich abzutretenden Länder, Herstellung eines dauerhaften Gleichgewichts in Europa, Organisation deS deutschen Bundes, Garantie für die Neugestaltung der Schweiz, Rheinschifffahrt und endlich die Abschaffung des Sklavenhandels. Die französische Regierung vermisse die Regelung der Erbfolge in Sardinien zu Gunsten des berechtigten Hauses Ca- rigncm. Man müsse hier den etwaigen Erbansprüchen des Hauses Oesterreich zuvorkommen. Ferner müsse auch die Neutralität der Schweiz und der Bestand der Pforte garantirt werden. Was die Gebietsveränderungen betreffe, so müsse in Italien Oesterreichs dominirender Einfluß verhindert werden. Die Unab¬ hängigkeit der Halbinsel bestehe darin, daß ihre Staaten stets einander das Gleich¬ gewicht hielten. Daher solle der Usurpator Murat, oslui ani re-Ans g, Mxlss, dem legitimen Könige Ferdinand IV. die Krone zurückgeben, Toskana der Königin von Etrurien, die Legationen von Ravenna und Bologna an den Papst, endlich das Fürstenthum Pivmbinv an seinen rechtmäßigen Herrn zurückfallen. Höchst charakteristisch ist, was die Instruction über Deutschland und Preußen sagt: „In Italien, heißt es, ist es Oesterreich, das man hindern muß zu herrschen, indem man gegen seinen Einfluß die andern Staaten kräftigt. In Deutschland ist es Preußen. Die natürliche Lage der Monarchie macht ihm aus dem Ehr¬ geiz eine Art von Nothwendigkeit. Jeder Vorwand ist ihm gut. Kein Bedenken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/401>, abgerufen am 03.07.2024.