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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Talleyrand auf dem Wiener Longroß.

hält es auf. Sein Nutzen ist sein Recht. So ist es gekommen, daß es binnen
63 Jahren seine Bevölkerung von weniger als 4 Millionen auf 10 Millionen
Einwohner gebracht hat. Der schreckliche Sturz, der durch seinen Ehrgeiz herbei¬
geführt wurde, hat keine Sinnesänderung bewirkt. Es würde Belgien haben wollen.
Es will alles haben, was zwischen den Grenzen Frankreichs, der Maas und dein
Rheine liegt. Es will Luxemburg. Alles ist verloren, wenn ihm nicht Mainz
gegeben wird. Es kann sich nicht sicher fühlen, wenn es nicht Sachsen besitzt.
Die Alliirten, so sagt man, haben sich verpflichtet, Preußen in der Stärke wieder
herzustellen, die es vor dem Zusmmuenbruche seiner Macht hatte, d. h. mit
X) Millivne" Unterthanen. Man lasse es mir "lachen: Bald wird es deren
2ö Millionen habe", und ganz Deutschland wird in seine Gewalt komme". Es
ist also nothwendig, seinem Ehrgeiz Zügel anzulegen." Darum soll auch Mainz
nimmermehr eine preußische Festung werden, sondern, wie Luxemburg, ein fester
Platz des deutschen Bundes; südlich von der Mosel darf sich Preußen nicht aus¬
breite". Holland muß möglichst weit auf dein linken Rheinufer vorrücken, des¬
gleichen müssen die Ansprüche Hessens, Baierns und namentlich Hannovers unter¬
stützt werden, damit das für Preußen verfügbare Ländergebiet verkleinert werde.
Die Wiederherstellung Polens wäre unter gewissen Bedingungen ein großes Glück,
lasse sich aber kaum erreichen. Dagegen müsse dem Könige von Sachsen sein
Erbland wiedergegeben werde". Das Königreich Sachsen dürfe in keinem Falle
zu bestehen aufhören. So weit die Instruction, welche Talleyrand entwarf und
König Ludwig unterzeichnete.

Will Ulan mit einem Blicke übersehen, was Tallehrand in der Hauptstadt
Oesterreichs in wenigen Monaten erreichte, so braucht man nur die von dem
Attachv der Gesandtschaft, La Besnardiere, verfaßte "Denkschrift über das Ver¬
halten der französischen Botschaft auf dem Wiener Congreß" zu lesen, wo es heißt:

Rußland hat die Hälfte seiner Ansprüche auf das Herzogthum Warschau
fallen lassen müsse", Sachsen ist wie aus dem Grabe wieder hervorgezogen, zwar
nicht vollständig, aber doch immer noch so groß wie das Königreich Hannover
und Würtemberg, und ohne Zweifel verdankt es dies Frankreich. Es war der
französischen Botschaft vorgeschrieben worden, alles anzuwenden: 1. daß die preu¬
ßische und französische Grenze einander nicht berühren: sie stoßen an keinem Punkte
zusammen; 2. daß Preußen Luxemburg und Mainz nicht erhalte: es bekommt
ivcder das eine noch das andre, beide Plätze werden Bundesfestungeu; 3. daß
sein Einfluß in Deutschland nicht ausschließend oder zu überwiegend werde: dafür
hatte man hauptsächlich durch die Bundesverfassung gesorgt, die jedoch aus Mangel
an Zeit noch nicht vollendet ist; 4. daß die Organisation der Schweiz in ihrer
frühern Form erhalten bleibe: sie ist erhalten worden; .5. daß ihre Unabhängigkeit
gesichert werde: das ist geschehen; 6. daß sie bei den dereinstigen europäische" Kriegen
beständig neutral bleibe, was für Frankreich nicht minder nützlich ist als für die
Schweiz: diese Neutralität ist ihr verbürgt worden.


Talleyrand auf dem Wiener Longroß.

hält es auf. Sein Nutzen ist sein Recht. So ist es gekommen, daß es binnen
63 Jahren seine Bevölkerung von weniger als 4 Millionen auf 10 Millionen
Einwohner gebracht hat. Der schreckliche Sturz, der durch seinen Ehrgeiz herbei¬
geführt wurde, hat keine Sinnesänderung bewirkt. Es würde Belgien haben wollen.
Es will alles haben, was zwischen den Grenzen Frankreichs, der Maas und dein
Rheine liegt. Es will Luxemburg. Alles ist verloren, wenn ihm nicht Mainz
gegeben wird. Es kann sich nicht sicher fühlen, wenn es nicht Sachsen besitzt.
Die Alliirten, so sagt man, haben sich verpflichtet, Preußen in der Stärke wieder
herzustellen, die es vor dem Zusmmuenbruche seiner Macht hatte, d. h. mit
X) Millivne» Unterthanen. Man lasse es mir »lachen: Bald wird es deren
2ö Millionen habe», und ganz Deutschland wird in seine Gewalt komme». Es
ist also nothwendig, seinem Ehrgeiz Zügel anzulegen." Darum soll auch Mainz
nimmermehr eine preußische Festung werden, sondern, wie Luxemburg, ein fester
Platz des deutschen Bundes; südlich von der Mosel darf sich Preußen nicht aus¬
breite». Holland muß möglichst weit auf dein linken Rheinufer vorrücken, des¬
gleichen müssen die Ansprüche Hessens, Baierns und namentlich Hannovers unter¬
stützt werden, damit das für Preußen verfügbare Ländergebiet verkleinert werde.
Die Wiederherstellung Polens wäre unter gewissen Bedingungen ein großes Glück,
lasse sich aber kaum erreichen. Dagegen müsse dem Könige von Sachsen sein
Erbland wiedergegeben werde». Das Königreich Sachsen dürfe in keinem Falle
zu bestehen aufhören. So weit die Instruction, welche Talleyrand entwarf und
König Ludwig unterzeichnete.

Will Ulan mit einem Blicke übersehen, was Tallehrand in der Hauptstadt
Oesterreichs in wenigen Monaten erreichte, so braucht man nur die von dem
Attachv der Gesandtschaft, La Besnardiere, verfaßte „Denkschrift über das Ver¬
halten der französischen Botschaft auf dem Wiener Congreß" zu lesen, wo es heißt:

Rußland hat die Hälfte seiner Ansprüche auf das Herzogthum Warschau
fallen lassen müsse», Sachsen ist wie aus dem Grabe wieder hervorgezogen, zwar
nicht vollständig, aber doch immer noch so groß wie das Königreich Hannover
und Würtemberg, und ohne Zweifel verdankt es dies Frankreich. Es war der
französischen Botschaft vorgeschrieben worden, alles anzuwenden: 1. daß die preu¬
ßische und französische Grenze einander nicht berühren: sie stoßen an keinem Punkte
zusammen; 2. daß Preußen Luxemburg und Mainz nicht erhalte: es bekommt
ivcder das eine noch das andre, beide Plätze werden Bundesfestungeu; 3. daß
sein Einfluß in Deutschland nicht ausschließend oder zu überwiegend werde: dafür
hatte man hauptsächlich durch die Bundesverfassung gesorgt, die jedoch aus Mangel
an Zeit noch nicht vollendet ist; 4. daß die Organisation der Schweiz in ihrer
frühern Form erhalten bleibe: sie ist erhalten worden; .5. daß ihre Unabhängigkeit
gesichert werde: das ist geschehen; 6. daß sie bei den dereinstigen europäische» Kriegen
beständig neutral bleibe, was für Frankreich nicht minder nützlich ist als für die
Schweiz: diese Neutralität ist ihr verbürgt worden.


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[0402] Talleyrand auf dem Wiener Longroß. hält es auf. Sein Nutzen ist sein Recht. So ist es gekommen, daß es binnen 63 Jahren seine Bevölkerung von weniger als 4 Millionen auf 10 Millionen Einwohner gebracht hat. Der schreckliche Sturz, der durch seinen Ehrgeiz herbei¬ geführt wurde, hat keine Sinnesänderung bewirkt. Es würde Belgien haben wollen. Es will alles haben, was zwischen den Grenzen Frankreichs, der Maas und dein Rheine liegt. Es will Luxemburg. Alles ist verloren, wenn ihm nicht Mainz gegeben wird. Es kann sich nicht sicher fühlen, wenn es nicht Sachsen besitzt. Die Alliirten, so sagt man, haben sich verpflichtet, Preußen in der Stärke wieder herzustellen, die es vor dem Zusmmuenbruche seiner Macht hatte, d. h. mit X) Millivne» Unterthanen. Man lasse es mir »lachen: Bald wird es deren 2ö Millionen habe», und ganz Deutschland wird in seine Gewalt komme». Es ist also nothwendig, seinem Ehrgeiz Zügel anzulegen." Darum soll auch Mainz nimmermehr eine preußische Festung werden, sondern, wie Luxemburg, ein fester Platz des deutschen Bundes; südlich von der Mosel darf sich Preußen nicht aus¬ breite». Holland muß möglichst weit auf dein linken Rheinufer vorrücken, des¬ gleichen müssen die Ansprüche Hessens, Baierns und namentlich Hannovers unter¬ stützt werden, damit das für Preußen verfügbare Ländergebiet verkleinert werde. Die Wiederherstellung Polens wäre unter gewissen Bedingungen ein großes Glück, lasse sich aber kaum erreichen. Dagegen müsse dem Könige von Sachsen sein Erbland wiedergegeben werde». Das Königreich Sachsen dürfe in keinem Falle zu bestehen aufhören. So weit die Instruction, welche Talleyrand entwarf und König Ludwig unterzeichnete. Will Ulan mit einem Blicke übersehen, was Tallehrand in der Hauptstadt Oesterreichs in wenigen Monaten erreichte, so braucht man nur die von dem Attachv der Gesandtschaft, La Besnardiere, verfaßte „Denkschrift über das Ver¬ halten der französischen Botschaft auf dem Wiener Congreß" zu lesen, wo es heißt: Rußland hat die Hälfte seiner Ansprüche auf das Herzogthum Warschau fallen lassen müsse», Sachsen ist wie aus dem Grabe wieder hervorgezogen, zwar nicht vollständig, aber doch immer noch so groß wie das Königreich Hannover und Würtemberg, und ohne Zweifel verdankt es dies Frankreich. Es war der französischen Botschaft vorgeschrieben worden, alles anzuwenden: 1. daß die preu¬ ßische und französische Grenze einander nicht berühren: sie stoßen an keinem Punkte zusammen; 2. daß Preußen Luxemburg und Mainz nicht erhalte: es bekommt ivcder das eine noch das andre, beide Plätze werden Bundesfestungeu; 3. daß sein Einfluß in Deutschland nicht ausschließend oder zu überwiegend werde: dafür hatte man hauptsächlich durch die Bundesverfassung gesorgt, die jedoch aus Mangel an Zeit noch nicht vollendet ist; 4. daß die Organisation der Schweiz in ihrer frühern Form erhalten bleibe: sie ist erhalten worden; .5. daß ihre Unabhängigkeit gesichert werde: das ist geschehen; 6. daß sie bei den dereinstigen europäische» Kriegen beständig neutral bleibe, was für Frankreich nicht minder nützlich ist als für die Schweiz: diese Neutralität ist ihr verbürgt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/402>, abgerufen am 22.07.2024.