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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Talleyrand ans dem wiener Longrcß.

Endlich schien es, als ob Preußen mit seinem Anspruch auf Sachsen, und
Rußland mit seinen Forderungen auf Polen durchdringen sollte. Aber während
man von einer Entscheidung noch weit entfernt war, während neben den wichtigsten
Fragen noch eine Menge andrer Schwierigkeiten zu beseitigen waren und es immer
unmöglicher wurde aus dem Gewirr der vielverschlungnen Interessen den rettenden
Ausweg zu finden, rüstete sich der niedergewvrfne Gegner zu einem diplomatischen
Feldzuge, der Frankreich eine einflußreiche Stellung wiedergeben und seinen ge¬
fährlichsten Feind Preußen um den erhofften Siegespreis betrügen sollte. Fürst
Tallehrand erschien als Bevollmächtigter desBourbvnenhvfs. An staatsmännischen
Fähigkeiten, an Einsicht in die damalige verwickelte politische Lage, vor allein
an Klarheit über das, was seine Regierung unbedingt erreichen müsse, den übrigen
Ministern überlegen, wußte er in kurzer Zeit sich aus einem nur Geduldeten zu
dem wirklichen Leiter am Congresse zu machen, und so kam es, daß der Besiegte
imstande war, selbst auf die Gestaltung der deutschen Verhältnisse, auf die Ver-
theilung deutschen Gebietes und die Organisation des Bundes Einfluß zu gewinnen.

Fürst Tallehrand hatte eine ausführliche Instruction für die Gesandtschaft
in Wien ausgearbeitet. Sie hatte den vollen Beifall Ludwigs XVIII. gefunden.
In ihrer Art ein Meisterwerk, behandelt sie mit großer Schärfe und Klarheit
die politischen Verhältnisse Europas von einem Standpunkte, der damals bei den
meisten Anhänger finden mußte, von dem der Legitimität. Stellte man sich auf
diesen Standpunkt, dann mußte Frankreich, das besiegte Frankreich, das nach der
Niederlage nichts für sich fordern dürfte und wohlfeil dazu kam, als Be¬
schützer der Schwachen und Bedrängten aufzutreten, bedeutende Vortheile davon¬
tragen können, bestanden diese auch zunächst nur darin, daß man die gefährlichsten
Gegner in der Entwicklung ihrer Macht hinderte. Heben wir aus diesem festen
Programm, mit welchen: Tallehrand nach Wien ging, die wichtigsten Punkte
heraus. Um so anschaulicher werden uns dann die Erfolge seiner Politik
werden.

In erster Linie war Tallehrand sich vollständig darüber klar, welche Staaten
in Wien Bevollmächtigte haben sollten. Der Artikel 32 des Vertrages vom
30. Mai bestimmte, daß der Congreß ein allgemeiner sei und alle Mächte, welche
an dem durch den Vertrag beendeten Kriege auf der einen oder andern Seite
betheiligt waren, ihre Bevollmächtigten nach Wien senden sollten. Tallehrand
erklärt, daß die Gerechtigkeit verlange, daß man auch die kleinen Staaten nicht
ausschließe. Vorzugsweise handele es sich um deutsche Staaten, und da dieselben
auf dem Congreß eine Organisation erhalten sollten, hätten sie um so mehr ein
Anrecht auf Betheiligung. Es liege dies, aber auch im Interesse Frankreichs.
Die kleinern Staateil suchten nämlich ihre Existenz zu retten oder Vergrößerungen


Talleyrand ans dem wiener Longrcß.

Endlich schien es, als ob Preußen mit seinem Anspruch auf Sachsen, und
Rußland mit seinen Forderungen auf Polen durchdringen sollte. Aber während
man von einer Entscheidung noch weit entfernt war, während neben den wichtigsten
Fragen noch eine Menge andrer Schwierigkeiten zu beseitigen waren und es immer
unmöglicher wurde aus dem Gewirr der vielverschlungnen Interessen den rettenden
Ausweg zu finden, rüstete sich der niedergewvrfne Gegner zu einem diplomatischen
Feldzuge, der Frankreich eine einflußreiche Stellung wiedergeben und seinen ge¬
fährlichsten Feind Preußen um den erhofften Siegespreis betrügen sollte. Fürst
Tallehrand erschien als Bevollmächtigter desBourbvnenhvfs. An staatsmännischen
Fähigkeiten, an Einsicht in die damalige verwickelte politische Lage, vor allein
an Klarheit über das, was seine Regierung unbedingt erreichen müsse, den übrigen
Ministern überlegen, wußte er in kurzer Zeit sich aus einem nur Geduldeten zu
dem wirklichen Leiter am Congresse zu machen, und so kam es, daß der Besiegte
imstande war, selbst auf die Gestaltung der deutschen Verhältnisse, auf die Ver-
theilung deutschen Gebietes und die Organisation des Bundes Einfluß zu gewinnen.

Fürst Tallehrand hatte eine ausführliche Instruction für die Gesandtschaft
in Wien ausgearbeitet. Sie hatte den vollen Beifall Ludwigs XVIII. gefunden.
In ihrer Art ein Meisterwerk, behandelt sie mit großer Schärfe und Klarheit
die politischen Verhältnisse Europas von einem Standpunkte, der damals bei den
meisten Anhänger finden mußte, von dem der Legitimität. Stellte man sich auf
diesen Standpunkt, dann mußte Frankreich, das besiegte Frankreich, das nach der
Niederlage nichts für sich fordern dürfte und wohlfeil dazu kam, als Be¬
schützer der Schwachen und Bedrängten aufzutreten, bedeutende Vortheile davon¬
tragen können, bestanden diese auch zunächst nur darin, daß man die gefährlichsten
Gegner in der Entwicklung ihrer Macht hinderte. Heben wir aus diesem festen
Programm, mit welchen: Tallehrand nach Wien ging, die wichtigsten Punkte
heraus. Um so anschaulicher werden uns dann die Erfolge seiner Politik
werden.

In erster Linie war Tallehrand sich vollständig darüber klar, welche Staaten
in Wien Bevollmächtigte haben sollten. Der Artikel 32 des Vertrages vom
30. Mai bestimmte, daß der Congreß ein allgemeiner sei und alle Mächte, welche
an dem durch den Vertrag beendeten Kriege auf der einen oder andern Seite
betheiligt waren, ihre Bevollmächtigten nach Wien senden sollten. Tallehrand
erklärt, daß die Gerechtigkeit verlange, daß man auch die kleinen Staaten nicht
ausschließe. Vorzugsweise handele es sich um deutsche Staaten, und da dieselben
auf dem Congreß eine Organisation erhalten sollten, hätten sie um so mehr ein
Anrecht auf Betheiligung. Es liege dies, aber auch im Interesse Frankreichs.
Die kleinern Staateil suchten nämlich ihre Existenz zu retten oder Vergrößerungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/400>, abgerufen am 01.07.2024.