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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Gladstones Programm und Erfolge.

mus der Landliga lind der geheimen agrarischen Gesellschaften wurde zuletzt so
unerträglich, daß Gladstone im Unterhause ein Gesetz vorzuschlagen genöthigt
war, welches weit härtere Bestimmungen enthielt als die genannte Acte seiner
Vorgänger. Dazu kam, daß der Minister den hartnäckigen Widerstand, den die
irischen Mitglieder des Hauses der Bill entgegensetzten, nur dadurch zu brechen
vermochte, daß er, der Liberale, die Volksvertretung veranlaßte, sich einer Dictatur
des Sprechers zu unterwerfen, wie man sie vorher nicht erlebt hatte.

Viel schwieriger waren die Uebelstände zu beseitigen, welche Gladstone zur
Einbringung seiner Laudbill bewogen. Es hieß hier Zustände bessern, wie sie
unsers Wissens seit Anfang dieses Jahrhunderts westlich von der russischen Grenze
nirgends mehr bestanden, ja wie sie wenigstens in Deutschland selbst früher kaum
annähernd so unnatürlich existirt hatten. Es handelte sich nicht wie bei den
Stein-Hardenbergischen Reformen des ersten Jahrzehnts unsers Säculums um die
Aufhebung der Erbunterthänigkeit und die Umwandlung eines erblichen Nutzungs¬
rechtes am Grund und Boden in freies Eigenthum. Eher ließen sich die hier
in Betracht kommenden Verhältnisse mit den Zuständen vergleichen, welche sich im
siebzehnten Jahrhunderte und bis zur Mitte des achtzehnten in einigen deutschen
Ländern entwickeln wollten, als die Rittergutsbesitzer mit dem "Legen" der Banern¬
stellen, d. h. der Einverleibung der letztern in den Complex des Ritterguts be¬
gannen. Doch hatte es dort immerhin eine Entschädigung gegeben, wenn auch
eine unzureichende. In Irland galt es, vielhundertjähriges, zum Theil bis in
die Zeit der Eroberung zurückreichendes und den größten Theil des Landes,
namentlich fast den ganzen Süden und Westen des Landes umfassendes Unrecht
wieder gilt zu machen, eine dreimal wiederholte Beraubung des irischen Volkes
um das ererbte Grundeigenthum. Die Beschlagnahme war meist ohne gesetz¬
lichen Grund, mit Bruch von Verträgen von Seiten Englands erfolgt; die jetzigen
Landherren waren aber bei weitem zum größten Theil durch Kauf und Wiederkauf
im rechtlichen Besitze des Landes, das Object der ehemaligen Confiscationen war
so ungeheuer, daß eine Ablösung und eine Restitution des Raubes an die in
Zeitvächtcr verwandelten Urenkel der ehemaligen Eigenthümer Summen erfordert
hätte, die selbst das reiche England kaum zu erschwingen imstande gewesen wäre,
und so war nur an eine Milderung zu denken.

Eine solche Milderung liegt jetzt dem britischen Unterhause in der von Glad¬
stone entworfnen irischen Laudbill zur Entscheidung vor. Dieselbe gewährt zwar
die Forderungen, welche die Landliga aufgestellt hat und festhält, nicht unbedingt,
kommt ihnen aber auf halbem Wege entgegen. Letztre verlangt Feststellung des
Pachtzinses für alle Zeit und Unvertreibbarkeit des Pächters von seiner Stelle.
Gladstones Gesetzentwurf dagegen schlägt vor, den Pachtzins für einen Zeitraum


Gladstones Programm und Erfolge.

mus der Landliga lind der geheimen agrarischen Gesellschaften wurde zuletzt so
unerträglich, daß Gladstone im Unterhause ein Gesetz vorzuschlagen genöthigt
war, welches weit härtere Bestimmungen enthielt als die genannte Acte seiner
Vorgänger. Dazu kam, daß der Minister den hartnäckigen Widerstand, den die
irischen Mitglieder des Hauses der Bill entgegensetzten, nur dadurch zu brechen
vermochte, daß er, der Liberale, die Volksvertretung veranlaßte, sich einer Dictatur
des Sprechers zu unterwerfen, wie man sie vorher nicht erlebt hatte.

Viel schwieriger waren die Uebelstände zu beseitigen, welche Gladstone zur
Einbringung seiner Laudbill bewogen. Es hieß hier Zustände bessern, wie sie
unsers Wissens seit Anfang dieses Jahrhunderts westlich von der russischen Grenze
nirgends mehr bestanden, ja wie sie wenigstens in Deutschland selbst früher kaum
annähernd so unnatürlich existirt hatten. Es handelte sich nicht wie bei den
Stein-Hardenbergischen Reformen des ersten Jahrzehnts unsers Säculums um die
Aufhebung der Erbunterthänigkeit und die Umwandlung eines erblichen Nutzungs¬
rechtes am Grund und Boden in freies Eigenthum. Eher ließen sich die hier
in Betracht kommenden Verhältnisse mit den Zuständen vergleichen, welche sich im
siebzehnten Jahrhunderte und bis zur Mitte des achtzehnten in einigen deutschen
Ländern entwickeln wollten, als die Rittergutsbesitzer mit dem „Legen" der Banern¬
stellen, d. h. der Einverleibung der letztern in den Complex des Ritterguts be¬
gannen. Doch hatte es dort immerhin eine Entschädigung gegeben, wenn auch
eine unzureichende. In Irland galt es, vielhundertjähriges, zum Theil bis in
die Zeit der Eroberung zurückreichendes und den größten Theil des Landes,
namentlich fast den ganzen Süden und Westen des Landes umfassendes Unrecht
wieder gilt zu machen, eine dreimal wiederholte Beraubung des irischen Volkes
um das ererbte Grundeigenthum. Die Beschlagnahme war meist ohne gesetz¬
lichen Grund, mit Bruch von Verträgen von Seiten Englands erfolgt; die jetzigen
Landherren waren aber bei weitem zum größten Theil durch Kauf und Wiederkauf
im rechtlichen Besitze des Landes, das Object der ehemaligen Confiscationen war
so ungeheuer, daß eine Ablösung und eine Restitution des Raubes an die in
Zeitvächtcr verwandelten Urenkel der ehemaligen Eigenthümer Summen erfordert
hätte, die selbst das reiche England kaum zu erschwingen imstande gewesen wäre,
und so war nur an eine Milderung zu denken.

Eine solche Milderung liegt jetzt dem britischen Unterhause in der von Glad¬
stone entworfnen irischen Laudbill zur Entscheidung vor. Dieselbe gewährt zwar
die Forderungen, welche die Landliga aufgestellt hat und festhält, nicht unbedingt,
kommt ihnen aber auf halbem Wege entgegen. Letztre verlangt Feststellung des
Pachtzinses für alle Zeit und Unvertreibbarkeit des Pächters von seiner Stelle.
Gladstones Gesetzentwurf dagegen schlägt vor, den Pachtzins für einen Zeitraum


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[0391] Gladstones Programm und Erfolge. mus der Landliga lind der geheimen agrarischen Gesellschaften wurde zuletzt so unerträglich, daß Gladstone im Unterhause ein Gesetz vorzuschlagen genöthigt war, welches weit härtere Bestimmungen enthielt als die genannte Acte seiner Vorgänger. Dazu kam, daß der Minister den hartnäckigen Widerstand, den die irischen Mitglieder des Hauses der Bill entgegensetzten, nur dadurch zu brechen vermochte, daß er, der Liberale, die Volksvertretung veranlaßte, sich einer Dictatur des Sprechers zu unterwerfen, wie man sie vorher nicht erlebt hatte. Viel schwieriger waren die Uebelstände zu beseitigen, welche Gladstone zur Einbringung seiner Laudbill bewogen. Es hieß hier Zustände bessern, wie sie unsers Wissens seit Anfang dieses Jahrhunderts westlich von der russischen Grenze nirgends mehr bestanden, ja wie sie wenigstens in Deutschland selbst früher kaum annähernd so unnatürlich existirt hatten. Es handelte sich nicht wie bei den Stein-Hardenbergischen Reformen des ersten Jahrzehnts unsers Säculums um die Aufhebung der Erbunterthänigkeit und die Umwandlung eines erblichen Nutzungs¬ rechtes am Grund und Boden in freies Eigenthum. Eher ließen sich die hier in Betracht kommenden Verhältnisse mit den Zuständen vergleichen, welche sich im siebzehnten Jahrhunderte und bis zur Mitte des achtzehnten in einigen deutschen Ländern entwickeln wollten, als die Rittergutsbesitzer mit dem „Legen" der Banern¬ stellen, d. h. der Einverleibung der letztern in den Complex des Ritterguts be¬ gannen. Doch hatte es dort immerhin eine Entschädigung gegeben, wenn auch eine unzureichende. In Irland galt es, vielhundertjähriges, zum Theil bis in die Zeit der Eroberung zurückreichendes und den größten Theil des Landes, namentlich fast den ganzen Süden und Westen des Landes umfassendes Unrecht wieder gilt zu machen, eine dreimal wiederholte Beraubung des irischen Volkes um das ererbte Grundeigenthum. Die Beschlagnahme war meist ohne gesetz¬ lichen Grund, mit Bruch von Verträgen von Seiten Englands erfolgt; die jetzigen Landherren waren aber bei weitem zum größten Theil durch Kauf und Wiederkauf im rechtlichen Besitze des Landes, das Object der ehemaligen Confiscationen war so ungeheuer, daß eine Ablösung und eine Restitution des Raubes an die in Zeitvächtcr verwandelten Urenkel der ehemaligen Eigenthümer Summen erfordert hätte, die selbst das reiche England kaum zu erschwingen imstande gewesen wäre, und so war nur an eine Milderung zu denken. Eine solche Milderung liegt jetzt dem britischen Unterhause in der von Glad¬ stone entworfnen irischen Laudbill zur Entscheidung vor. Dieselbe gewährt zwar die Forderungen, welche die Landliga aufgestellt hat und festhält, nicht unbedingt, kommt ihnen aber auf halbem Wege entgegen. Letztre verlangt Feststellung des Pachtzinses für alle Zeit und Unvertreibbarkeit des Pächters von seiner Stelle. Gladstones Gesetzentwurf dagegen schlägt vor, den Pachtzins für einen Zeitraum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/391>, abgerufen am 03.07.2024.