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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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und schroff verurtheilte. Nur ein Genie darf anders verfahren. Blöße Talente
erleben, wenn sie das wagen, allerlei Mißgeschick und Enttäuschung und, wenn
sie nicht noch zu rechter Zeit einlenken, über kurz oder lang einen schweren Fall,
nachdem unter allen Umständen auch die Partei, die sie vertreten, bisweilen mich
das Ansehen und Interesse des Landes, das sie regieren, von ihrem Irrthum
empfindlichen Schaden gehabt hat. Agitircn ist viel leichter als Regieren, Besscr-
mcichen schwerer als Tadeln.

Ein Beispiel hiervon, und Mir ein sehr bezeichnendes und lehrreiches, ist
der Politiker, der jetzt an der Spitze der Regierung Ihrer britischen Majestät,
der Königin Victoria steht. 1874 von der Führung der liberalen Partei zurück¬
getreten, empfand er schon drei Jahre später von neuem das lebhafte Bedürfnis,
seine politischen Ansichten und Absichten als Minister zur Geltung zu bringen,
und bald entwickelte er infolge dessen als Publicist und Redner einen solchen
Eifer in der Bekämpfung des conservativen Cabinets, daß ihm der Sturz des¬
selben gelang und er nun zur Ausführung des von ihm als Oppositionsmann
aufgestellten Programms freie Bahn vor sich sah. Untersuchen wir in der Kürze,
was er auf diesem Wege versucht und was er erreicht hat, vergleichen wir,
namentlich hinsichtlich seiner auswärtigen Politik, sein Wollen mit seinem Voll¬
bringen.

In betreff der innern Fragen sah er sich, als er die Erbschaft des Cabinets
Beacvnsficlds angetreten, vor eine Aufgabe gestellt, die außerordentlich schwer
zu bewältigen war. Es galt die endliche Befriedigung und Beruhigung des von
England arg beeinträchtigten, unaufhörlich gährenden und von doppelter Agitation
in allen seinen Schichten tief aufgeregten irischen Volkes. Die Regierung, die
ihm vorangegangen, hatte gegen diese Aufregung mir Repressivmittel angewendet,
die nach Lage der Dinge nur oberflächlich und temporär helfen konnten. Glad-
stone hatte in seineu Reden während der letzten Wählcampagne versprochen,
andre Wege einzuschlagen, und sich dadurch die Gunst der Jrländer gewonnen,
die bei der Entscheidung beitrug, die Schale für ihn sinken zu machen. Zur
Gewalt gelangt, versuchte er seine Zusagen zu erfüllen, indem er zunächst die
Zwangsmaßregeln, welche die Beaevnsfieldsche FriedensbewahrnngSacte über Ir¬
land verhängt hatte, und deren Geltung im August v. I. ablief, nicht erneuern
ließ, sodann aber eine Landbill einbrachte, welche das Loos der irischen Pächter
zu bessern bestimmt war.

In ersterer Beziehung erfreute er sich keines Erfolges; denn nach Aufhören
des Zwanges verdoppelte sich die Agitation, aufrührerische Volksversammlungen,
Bedrohungen der Gutsherren, Pachtverweigernngen, Eigenthunisbeschädigungen,
Verstümmelungen und Mordthaten gehörten zur Tagesordnung, und der Terroris-


und schroff verurtheilte. Nur ein Genie darf anders verfahren. Blöße Talente
erleben, wenn sie das wagen, allerlei Mißgeschick und Enttäuschung und, wenn
sie nicht noch zu rechter Zeit einlenken, über kurz oder lang einen schweren Fall,
nachdem unter allen Umständen auch die Partei, die sie vertreten, bisweilen mich
das Ansehen und Interesse des Landes, das sie regieren, von ihrem Irrthum
empfindlichen Schaden gehabt hat. Agitircn ist viel leichter als Regieren, Besscr-
mcichen schwerer als Tadeln.

Ein Beispiel hiervon, und Mir ein sehr bezeichnendes und lehrreiches, ist
der Politiker, der jetzt an der Spitze der Regierung Ihrer britischen Majestät,
der Königin Victoria steht. 1874 von der Führung der liberalen Partei zurück¬
getreten, empfand er schon drei Jahre später von neuem das lebhafte Bedürfnis,
seine politischen Ansichten und Absichten als Minister zur Geltung zu bringen,
und bald entwickelte er infolge dessen als Publicist und Redner einen solchen
Eifer in der Bekämpfung des conservativen Cabinets, daß ihm der Sturz des¬
selben gelang und er nun zur Ausführung des von ihm als Oppositionsmann
aufgestellten Programms freie Bahn vor sich sah. Untersuchen wir in der Kürze,
was er auf diesem Wege versucht und was er erreicht hat, vergleichen wir,
namentlich hinsichtlich seiner auswärtigen Politik, sein Wollen mit seinem Voll¬
bringen.

In betreff der innern Fragen sah er sich, als er die Erbschaft des Cabinets
Beacvnsficlds angetreten, vor eine Aufgabe gestellt, die außerordentlich schwer
zu bewältigen war. Es galt die endliche Befriedigung und Beruhigung des von
England arg beeinträchtigten, unaufhörlich gährenden und von doppelter Agitation
in allen seinen Schichten tief aufgeregten irischen Volkes. Die Regierung, die
ihm vorangegangen, hatte gegen diese Aufregung mir Repressivmittel angewendet,
die nach Lage der Dinge nur oberflächlich und temporär helfen konnten. Glad-
stone hatte in seineu Reden während der letzten Wählcampagne versprochen,
andre Wege einzuschlagen, und sich dadurch die Gunst der Jrländer gewonnen,
die bei der Entscheidung beitrug, die Schale für ihn sinken zu machen. Zur
Gewalt gelangt, versuchte er seine Zusagen zu erfüllen, indem er zunächst die
Zwangsmaßregeln, welche die Beaevnsfieldsche FriedensbewahrnngSacte über Ir¬
land verhängt hatte, und deren Geltung im August v. I. ablief, nicht erneuern
ließ, sodann aber eine Landbill einbrachte, welche das Loos der irischen Pächter
zu bessern bestimmt war.

In ersterer Beziehung erfreute er sich keines Erfolges; denn nach Aufhören
des Zwanges verdoppelte sich die Agitation, aufrührerische Volksversammlungen,
Bedrohungen der Gutsherren, Pachtverweigernngen, Eigenthunisbeschädigungen,
Verstümmelungen und Mordthaten gehörten zur Tagesordnung, und der Terroris-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/390>, abgerufen am 01.07.2024.