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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse,

sich Stimmungen anempfindet und sich in Formen übt, welche vor ihm gleichsam
als poetisch approbirt sind, konnte bei dem Verfasser der "L'Arrabiata," der
"Einsamen," bei dem jugendlichen Dramatiker, der mit dem Schauspiel "Die
Pfälzer in Irland" sich frisch und keck zur dramatischen Prosa entschloß, schon
damals in den ersten Münchner Jahren keine Rede sein. Und doch erkennt man
wohl, daß ein gewisses Abwenden von der Breite des Lebens, welche Eigenthum
des Dichters ist, eine ausgesprvchne Scheu vor den Elementen, die andrerseits
als besonders nothwendig für die "moderne Poesie" erachtet wurden, daß gewisse
Liebliugsvorstellungen, die leicht einseitig werden konnten, den jungen Dichter be¬
herrschten. Heyse war in jenen ersten Jahren nach der Revolution des Jahres
1848 emporgewachsen, in welchen eine scharfe Abrechnung mit den Tendenzphrasen
und den gestaltlosen Geistreichigkeiten der liberal-revolutionären Literatur der
dreißiger und vierziger Jahre an der Tagesordnung und geboten war. Sein
Naturell, seine Kunstüberzeugungen und die Einflüsse aller seiner Umgebungen
setzten ihn in künstlerische Opposition mit der hochfliegenden Rhetorik, der ge¬
quälten Reflexion und dem spröden unschönen Realismus, die in der Tendenz¬
dichtung überwogen. Er sprach der Poesie mit Recht die Unabhängigkeit ihrer
Stoffwahl zu und setzte mit Fug alles Vertrauen in die Belebung jedes Stoffes
durch den Dichter. Daß diese Belebung immer nur durch die Wärme, mit welcher
der Schaffende für seine Handlungen und Gestalten erfüllt ist, durch die leiden¬
schaftliche Theilnahme, das innre Mitleben, niemals aber durch das wenn auch noch
so große künstlerische Interesse am. Formellen, an der Technik einer poetischen
Aufgabe, an den Außendingen, an der Lebendigkeit und Schönheit des Vortrags
erfolgen könne, daß insofern der Dichter nicht jeden Stoff zu beseelen vermöge,
war ihm damals wohl kaum zur vollen Ueberzeugung geworden. Das Gedicht
"Die Braut von Cypern," die epische Dichtung "Thekla," in gewissem Sinne
selbst die Tragödie "Die Sabinerinnen" verriethen bei allen Schönheiten mindestens
wo unserm Dichter die Gefahr drohte. Er traute dem graziösen Spiel der plastisch
wiedergegebnen Situation oder glänzenden Schilderung, dem edeln Aufbau einer
Poetischen Handlung höchste Wirkungen auch da zu, wo keine vom Dichter mit-
empfuudne Leidenschaft, keine Gewalt innerlich vollerlcbten, dem Hörer und Leser
mitausgehenden Lebens zu solchen Wirkungen half. Dieser Dichter war nie in
Gefahr sich in Fratzen oder hohlen Bombast zu verlieren, aber die "Studien,"
die künstlerische Lust am spielenden Ueberwinden selbstgesetzter Schwierigkeiten
hätten ihm gefährlich werden können.

Sodann trat bei Heyse früh ein andres Element hinzu, welches er nur
spät und nie unbedingt besiegt hat. Es war, wie namentlich Georg Brandes in
seiner geistvollen Abhandlung über "Paul Heyse" ("Deutsche Rundschau 1876")


Paul Heyse,

sich Stimmungen anempfindet und sich in Formen übt, welche vor ihm gleichsam
als poetisch approbirt sind, konnte bei dem Verfasser der „L'Arrabiata," der
„Einsamen," bei dem jugendlichen Dramatiker, der mit dem Schauspiel „Die
Pfälzer in Irland" sich frisch und keck zur dramatischen Prosa entschloß, schon
damals in den ersten Münchner Jahren keine Rede sein. Und doch erkennt man
wohl, daß ein gewisses Abwenden von der Breite des Lebens, welche Eigenthum
des Dichters ist, eine ausgesprvchne Scheu vor den Elementen, die andrerseits
als besonders nothwendig für die „moderne Poesie" erachtet wurden, daß gewisse
Liebliugsvorstellungen, die leicht einseitig werden konnten, den jungen Dichter be¬
herrschten. Heyse war in jenen ersten Jahren nach der Revolution des Jahres
1848 emporgewachsen, in welchen eine scharfe Abrechnung mit den Tendenzphrasen
und den gestaltlosen Geistreichigkeiten der liberal-revolutionären Literatur der
dreißiger und vierziger Jahre an der Tagesordnung und geboten war. Sein
Naturell, seine Kunstüberzeugungen und die Einflüsse aller seiner Umgebungen
setzten ihn in künstlerische Opposition mit der hochfliegenden Rhetorik, der ge¬
quälten Reflexion und dem spröden unschönen Realismus, die in der Tendenz¬
dichtung überwogen. Er sprach der Poesie mit Recht die Unabhängigkeit ihrer
Stoffwahl zu und setzte mit Fug alles Vertrauen in die Belebung jedes Stoffes
durch den Dichter. Daß diese Belebung immer nur durch die Wärme, mit welcher
der Schaffende für seine Handlungen und Gestalten erfüllt ist, durch die leiden¬
schaftliche Theilnahme, das innre Mitleben, niemals aber durch das wenn auch noch
so große künstlerische Interesse am. Formellen, an der Technik einer poetischen
Aufgabe, an den Außendingen, an der Lebendigkeit und Schönheit des Vortrags
erfolgen könne, daß insofern der Dichter nicht jeden Stoff zu beseelen vermöge,
war ihm damals wohl kaum zur vollen Ueberzeugung geworden. Das Gedicht
„Die Braut von Cypern," die epische Dichtung „Thekla," in gewissem Sinne
selbst die Tragödie „Die Sabinerinnen" verriethen bei allen Schönheiten mindestens
wo unserm Dichter die Gefahr drohte. Er traute dem graziösen Spiel der plastisch
wiedergegebnen Situation oder glänzenden Schilderung, dem edeln Aufbau einer
Poetischen Handlung höchste Wirkungen auch da zu, wo keine vom Dichter mit-
empfuudne Leidenschaft, keine Gewalt innerlich vollerlcbten, dem Hörer und Leser
mitausgehenden Lebens zu solchen Wirkungen half. Dieser Dichter war nie in
Gefahr sich in Fratzen oder hohlen Bombast zu verlieren, aber die „Studien,"
die künstlerische Lust am spielenden Ueberwinden selbstgesetzter Schwierigkeiten
hätten ihm gefährlich werden können.

Sodann trat bei Heyse früh ein andres Element hinzu, welches er nur
spät und nie unbedingt besiegt hat. Es war, wie namentlich Georg Brandes in
seiner geistvollen Abhandlung über „Paul Heyse" („Deutsche Rundschau 1876")


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[0375] Paul Heyse, sich Stimmungen anempfindet und sich in Formen übt, welche vor ihm gleichsam als poetisch approbirt sind, konnte bei dem Verfasser der „L'Arrabiata," der „Einsamen," bei dem jugendlichen Dramatiker, der mit dem Schauspiel „Die Pfälzer in Irland" sich frisch und keck zur dramatischen Prosa entschloß, schon damals in den ersten Münchner Jahren keine Rede sein. Und doch erkennt man wohl, daß ein gewisses Abwenden von der Breite des Lebens, welche Eigenthum des Dichters ist, eine ausgesprvchne Scheu vor den Elementen, die andrerseits als besonders nothwendig für die „moderne Poesie" erachtet wurden, daß gewisse Liebliugsvorstellungen, die leicht einseitig werden konnten, den jungen Dichter be¬ herrschten. Heyse war in jenen ersten Jahren nach der Revolution des Jahres 1848 emporgewachsen, in welchen eine scharfe Abrechnung mit den Tendenzphrasen und den gestaltlosen Geistreichigkeiten der liberal-revolutionären Literatur der dreißiger und vierziger Jahre an der Tagesordnung und geboten war. Sein Naturell, seine Kunstüberzeugungen und die Einflüsse aller seiner Umgebungen setzten ihn in künstlerische Opposition mit der hochfliegenden Rhetorik, der ge¬ quälten Reflexion und dem spröden unschönen Realismus, die in der Tendenz¬ dichtung überwogen. Er sprach der Poesie mit Recht die Unabhängigkeit ihrer Stoffwahl zu und setzte mit Fug alles Vertrauen in die Belebung jedes Stoffes durch den Dichter. Daß diese Belebung immer nur durch die Wärme, mit welcher der Schaffende für seine Handlungen und Gestalten erfüllt ist, durch die leiden¬ schaftliche Theilnahme, das innre Mitleben, niemals aber durch das wenn auch noch so große künstlerische Interesse am. Formellen, an der Technik einer poetischen Aufgabe, an den Außendingen, an der Lebendigkeit und Schönheit des Vortrags erfolgen könne, daß insofern der Dichter nicht jeden Stoff zu beseelen vermöge, war ihm damals wohl kaum zur vollen Ueberzeugung geworden. Das Gedicht „Die Braut von Cypern," die epische Dichtung „Thekla," in gewissem Sinne selbst die Tragödie „Die Sabinerinnen" verriethen bei allen Schönheiten mindestens wo unserm Dichter die Gefahr drohte. Er traute dem graziösen Spiel der plastisch wiedergegebnen Situation oder glänzenden Schilderung, dem edeln Aufbau einer Poetischen Handlung höchste Wirkungen auch da zu, wo keine vom Dichter mit- empfuudne Leidenschaft, keine Gewalt innerlich vollerlcbten, dem Hörer und Leser mitausgehenden Lebens zu solchen Wirkungen half. Dieser Dichter war nie in Gefahr sich in Fratzen oder hohlen Bombast zu verlieren, aber die „Studien," die künstlerische Lust am spielenden Ueberwinden selbstgesetzter Schwierigkeiten hätten ihm gefährlich werden können. Sodann trat bei Heyse früh ein andres Element hinzu, welches er nur spät und nie unbedingt besiegt hat. Es war, wie namentlich Georg Brandes in seiner geistvollen Abhandlung über „Paul Heyse" („Deutsche Rundschau 1876")

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/375>, abgerufen am 23.07.2024.