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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse.

hervorgehoben hat, etwas von der Natur eines bildenden Künstlers in ihm, welcher
reine Freude und volles Genügen nur beim Anschauen der körperlichen Schön¬
heit empfindet, und welcher den Mangel derselben nicht ertragen kann. Jenes
Jugeudgedicht, in welchem der greise Michelangelo seinem getreuen Urbino die
Geschichte seiner Liebe-Nichtliebe zur Marchese von Peseara erzählt und sagt:


Da wie klar
Erkannt ich mich und ahnt' ich wer sie war!
Doch war ich recht dem Wohllaut hingegeben
Der hohen Seele, flüsterte mir zu
Ein eigensinniger Dämon: Blinder Du!
Du könntest auch den Finger meisternd heben,
Denn dies Gesicht hat Gott verpfuscht! -- Da schlug ich
Die Augen nieder und im Herzen trug ich
Ein widrig-zweifelhaft Gefühl --

drückt nicht bloß einen kecken Einfall, sondern eine tiefreicheude, beständig wieder¬
kehrende Ueberzeugung des Dichters aus. Das gleiche Problem, daß die Jncongruenz
der edlen Seele und der unedlen Erscheinung nicht versöhnt werden könne, drückt
noch viel schärfer und in ein ganz modernes Lebensbild gestellt die Novelle "Der
Kreisrichter" aus. Mit seinen Künftlergestalteu bis zu Genelli in der Novelle
"Der letzte Centaur," bis zu Jansen und Kohle, dem Bildhauer und dem Maler
des Romans: "Im Paradies," theilt der Dichter stark und entschieden den Zug
zur schimmernden, beseligenden Schönheit und fühlt alle heiligen Schauer, welche
dieselbe in der Seele wecken kann. Nun ist er aber Poet und nicht Bildhauer
oder Maler, seine Darstellung der Welt kann und darf nicht, auch wenn er hie
und da und meist mit Glück Lessings Laokoon ein Schnippchen schlägt, in der
Erfassung und Wiedergabe der äußern Schönheit aufgehen. Daraus erwächst
die starkentwickelte Neigung Heyses bei der Aufnahme des Lebens in seine Phan¬
tasie, Uebereinstimmung der äußern und innern Erscheinung vorauszusetzen, den
seelischen Reiz nicht nur im menschlichen Angesicht und in der Gestalt wieder
erkennen zu lassen, sondern, mit wenigen Ausnahmen, gewisse Vorzüge der innern
Natur, einen edlern Zug der Seele, das höhere Vermögen Menschen zu fesseln
und auf Menschen zu wirken, den schönen Menschen allein zuzutheilen. Er hat
hier unendlich feine Abstufungen und weiß sehr gut, daß Anmuth und Liebens¬
würdigkeit, hoher Sinn und Adel der Empfindung nicht nur von den leuchtend
schönen Gesichtern allein ausstrahlen. Es ist im Gegentheil eine besondre Stärke
seiner Kunst in wenigen zeichnenden Worten den stillen, oft übersehenen Reizen,
der schlichten und gleichsam versteckten Anmuth zu ihrem Recht zu verhelfen.
Und dennoch lag in dieser Neigung des Dichters allerdings eine ernstliche Ge¬
fahr für seine poetische Entwicklung. Denn die Abwehr des Unschönen, Widrigen


Paul Heyse.

hervorgehoben hat, etwas von der Natur eines bildenden Künstlers in ihm, welcher
reine Freude und volles Genügen nur beim Anschauen der körperlichen Schön¬
heit empfindet, und welcher den Mangel derselben nicht ertragen kann. Jenes
Jugeudgedicht, in welchem der greise Michelangelo seinem getreuen Urbino die
Geschichte seiner Liebe-Nichtliebe zur Marchese von Peseara erzählt und sagt:


Da wie klar
Erkannt ich mich und ahnt' ich wer sie war!
Doch war ich recht dem Wohllaut hingegeben
Der hohen Seele, flüsterte mir zu
Ein eigensinniger Dämon: Blinder Du!
Du könntest auch den Finger meisternd heben,
Denn dies Gesicht hat Gott verpfuscht! — Da schlug ich
Die Augen nieder und im Herzen trug ich
Ein widrig-zweifelhaft Gefühl —

drückt nicht bloß einen kecken Einfall, sondern eine tiefreicheude, beständig wieder¬
kehrende Ueberzeugung des Dichters aus. Das gleiche Problem, daß die Jncongruenz
der edlen Seele und der unedlen Erscheinung nicht versöhnt werden könne, drückt
noch viel schärfer und in ein ganz modernes Lebensbild gestellt die Novelle „Der
Kreisrichter" aus. Mit seinen Künftlergestalteu bis zu Genelli in der Novelle
„Der letzte Centaur," bis zu Jansen und Kohle, dem Bildhauer und dem Maler
des Romans: „Im Paradies," theilt der Dichter stark und entschieden den Zug
zur schimmernden, beseligenden Schönheit und fühlt alle heiligen Schauer, welche
dieselbe in der Seele wecken kann. Nun ist er aber Poet und nicht Bildhauer
oder Maler, seine Darstellung der Welt kann und darf nicht, auch wenn er hie
und da und meist mit Glück Lessings Laokoon ein Schnippchen schlägt, in der
Erfassung und Wiedergabe der äußern Schönheit aufgehen. Daraus erwächst
die starkentwickelte Neigung Heyses bei der Aufnahme des Lebens in seine Phan¬
tasie, Uebereinstimmung der äußern und innern Erscheinung vorauszusetzen, den
seelischen Reiz nicht nur im menschlichen Angesicht und in der Gestalt wieder
erkennen zu lassen, sondern, mit wenigen Ausnahmen, gewisse Vorzüge der innern
Natur, einen edlern Zug der Seele, das höhere Vermögen Menschen zu fesseln
und auf Menschen zu wirken, den schönen Menschen allein zuzutheilen. Er hat
hier unendlich feine Abstufungen und weiß sehr gut, daß Anmuth und Liebens¬
würdigkeit, hoher Sinn und Adel der Empfindung nicht nur von den leuchtend
schönen Gesichtern allein ausstrahlen. Es ist im Gegentheil eine besondre Stärke
seiner Kunst in wenigen zeichnenden Worten den stillen, oft übersehenen Reizen,
der schlichten und gleichsam versteckten Anmuth zu ihrem Recht zu verhelfen.
Und dennoch lag in dieser Neigung des Dichters allerdings eine ernstliche Ge¬
fahr für seine poetische Entwicklung. Denn die Abwehr des Unschönen, Widrigen


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[0376] Paul Heyse. hervorgehoben hat, etwas von der Natur eines bildenden Künstlers in ihm, welcher reine Freude und volles Genügen nur beim Anschauen der körperlichen Schön¬ heit empfindet, und welcher den Mangel derselben nicht ertragen kann. Jenes Jugeudgedicht, in welchem der greise Michelangelo seinem getreuen Urbino die Geschichte seiner Liebe-Nichtliebe zur Marchese von Peseara erzählt und sagt: Da wie klar Erkannt ich mich und ahnt' ich wer sie war! Doch war ich recht dem Wohllaut hingegeben Der hohen Seele, flüsterte mir zu Ein eigensinniger Dämon: Blinder Du! Du könntest auch den Finger meisternd heben, Denn dies Gesicht hat Gott verpfuscht! — Da schlug ich Die Augen nieder und im Herzen trug ich Ein widrig-zweifelhaft Gefühl — drückt nicht bloß einen kecken Einfall, sondern eine tiefreicheude, beständig wieder¬ kehrende Ueberzeugung des Dichters aus. Das gleiche Problem, daß die Jncongruenz der edlen Seele und der unedlen Erscheinung nicht versöhnt werden könne, drückt noch viel schärfer und in ein ganz modernes Lebensbild gestellt die Novelle „Der Kreisrichter" aus. Mit seinen Künftlergestalteu bis zu Genelli in der Novelle „Der letzte Centaur," bis zu Jansen und Kohle, dem Bildhauer und dem Maler des Romans: „Im Paradies," theilt der Dichter stark und entschieden den Zug zur schimmernden, beseligenden Schönheit und fühlt alle heiligen Schauer, welche dieselbe in der Seele wecken kann. Nun ist er aber Poet und nicht Bildhauer oder Maler, seine Darstellung der Welt kann und darf nicht, auch wenn er hie und da und meist mit Glück Lessings Laokoon ein Schnippchen schlägt, in der Erfassung und Wiedergabe der äußern Schönheit aufgehen. Daraus erwächst die starkentwickelte Neigung Heyses bei der Aufnahme des Lebens in seine Phan¬ tasie, Uebereinstimmung der äußern und innern Erscheinung vorauszusetzen, den seelischen Reiz nicht nur im menschlichen Angesicht und in der Gestalt wieder erkennen zu lassen, sondern, mit wenigen Ausnahmen, gewisse Vorzüge der innern Natur, einen edlern Zug der Seele, das höhere Vermögen Menschen zu fesseln und auf Menschen zu wirken, den schönen Menschen allein zuzutheilen. Er hat hier unendlich feine Abstufungen und weiß sehr gut, daß Anmuth und Liebens¬ würdigkeit, hoher Sinn und Adel der Empfindung nicht nur von den leuchtend schönen Gesichtern allein ausstrahlen. Es ist im Gegentheil eine besondre Stärke seiner Kunst in wenigen zeichnenden Worten den stillen, oft übersehenen Reizen, der schlichten und gleichsam versteckten Anmuth zu ihrem Recht zu verhelfen. Und dennoch lag in dieser Neigung des Dichters allerdings eine ernstliche Ge¬ fahr für seine poetische Entwicklung. Denn die Abwehr des Unschönen, Widrigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/376>, abgerufen am 25.08.2024.