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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse.

der poetischen Wirkung in sich schloß, kamen in der Tageskritik kaum zur Sprache,
und die mit Recht empfundnen Mängel und Schranken anch dieser Natur er¬
schienen in der landläufigen Vorstellung weit enger als sie sind. Gewiß, für
den echten Dichter, der sein bestes Glück doch im Genuß und der Wiedergabe
des Schönen findet, kommt nicht so viel hierauf an; ebenso gute und bessre Männer
als er haben alles das und mehr ertragen. Für die Literatur aber ist es schon
nicht so unwichtig, daß wenigstens der Versuch gemacht wird, die Totalität eines
begabten und fruchtbaren Dichters zu erfassen und dem innersten Kern seines
Schaffens nahe zu kommen. Im Verstehen und gerechten Beurtheilen eines
Schaffens, einer Individualität, wie wir es dem Leser ansinnen, erschließt sich
allmählich Verständniß auch für andre. Fruchtreich möchte sich der tiefergehende
Antheil an einem (wir meinen nicht nur an diesem!) zeitgenössischen Dichter auch
für manche erweisen, die nach dem Begreifen dieser Zeit lechzen und damit an¬
fangen!, daß sie die lebendige Dichtung, aus der allen Kneipenpolitikern und
Börscupraktikern zum Trotz mancherlei zu begreifen wäre, verächtlich bei Seite
schieben. Wird eine kommende Zeit vielleicht einen freiern Standpunkt bei der
Prüfung der Talente unsrer Zeit einnehmen, so giebt es doch ohne Frage Elemente
und Bezüge in den Werken dieser Talente, die nur wir Mitlebenden erfassen und
gerecht würdigen können. Von vornherein muß die Gesamtübersicht vou Heyses
Schaffen, die bloße Thatsache, daß der Dichter uuter uns hat erwachsen, sich ent¬
falten, sich behaupten und wirken können, den Aberglauben widerlegen, daß der
Sinn der Gegenwart nur ihren Parteileidcnschaften und Parteikämpfen zugewandt,
allen rein menschlichen Bezügen, allem, was man "Privatdasein" schelten kann,
abgewandt, das Interesse am Einzelschicksal wie an der Einzelerscheinung, das
Gefühl für alles Innenleben erstorben sei. Weit eher könnte ein unbarmherziger
und einseitiger Pessimist aus Heyses gesammelte" Schristens heraus deu Beweis
führen, daß das Menschenalter zwischen 1850 und 1880 uur zu sehr unter der
Herrschaft des Eudämonismus gestanden und in seinem Glückseligkeitsorange auch
in gewissen Schmerzen geschwelgt habe.

Diejenigen aber, welche Paul Heyse einen "unzeitgemäßer," einen akademischen
Dichter schelten, pflegen dabei zumeist an seine Anfänge, seine frühreife Form¬
vollendung, seine in junge" Jahren entwickelte Sprachvirtuosität zu denken. Als
Primaner schon hatte er ein kleines Märchenbuch "Jungbrunnen" drucken lassen,
welches ein fleißiges Studium Eicheudorffs und andrer Romantiker verrieth und
für die wirkliche selbständige Begabung so wenig eine Bürgschaft war wie die
shakespearisirende Tragödie "Francesca da Nimmt." Heyse ist in kunstfrohen,
knnstgebildeten Umgebungen aufgewachsen, und der nachahmende Trieb, in dem
sich das wahrhafte Talent und die dilettantische, rasch verfliegende Lust, die "nur


Grenzboten II. 1381. 47
Paul Heyse.

der poetischen Wirkung in sich schloß, kamen in der Tageskritik kaum zur Sprache,
und die mit Recht empfundnen Mängel und Schranken anch dieser Natur er¬
schienen in der landläufigen Vorstellung weit enger als sie sind. Gewiß, für
den echten Dichter, der sein bestes Glück doch im Genuß und der Wiedergabe
des Schönen findet, kommt nicht so viel hierauf an; ebenso gute und bessre Männer
als er haben alles das und mehr ertragen. Für die Literatur aber ist es schon
nicht so unwichtig, daß wenigstens der Versuch gemacht wird, die Totalität eines
begabten und fruchtbaren Dichters zu erfassen und dem innersten Kern seines
Schaffens nahe zu kommen. Im Verstehen und gerechten Beurtheilen eines
Schaffens, einer Individualität, wie wir es dem Leser ansinnen, erschließt sich
allmählich Verständniß auch für andre. Fruchtreich möchte sich der tiefergehende
Antheil an einem (wir meinen nicht nur an diesem!) zeitgenössischen Dichter auch
für manche erweisen, die nach dem Begreifen dieser Zeit lechzen und damit an¬
fangen!, daß sie die lebendige Dichtung, aus der allen Kneipenpolitikern und
Börscupraktikern zum Trotz mancherlei zu begreifen wäre, verächtlich bei Seite
schieben. Wird eine kommende Zeit vielleicht einen freiern Standpunkt bei der
Prüfung der Talente unsrer Zeit einnehmen, so giebt es doch ohne Frage Elemente
und Bezüge in den Werken dieser Talente, die nur wir Mitlebenden erfassen und
gerecht würdigen können. Von vornherein muß die Gesamtübersicht vou Heyses
Schaffen, die bloße Thatsache, daß der Dichter uuter uns hat erwachsen, sich ent¬
falten, sich behaupten und wirken können, den Aberglauben widerlegen, daß der
Sinn der Gegenwart nur ihren Parteileidcnschaften und Parteikämpfen zugewandt,
allen rein menschlichen Bezügen, allem, was man „Privatdasein" schelten kann,
abgewandt, das Interesse am Einzelschicksal wie an der Einzelerscheinung, das
Gefühl für alles Innenleben erstorben sei. Weit eher könnte ein unbarmherziger
und einseitiger Pessimist aus Heyses gesammelte« Schristens heraus deu Beweis
führen, daß das Menschenalter zwischen 1850 und 1880 uur zu sehr unter der
Herrschaft des Eudämonismus gestanden und in seinem Glückseligkeitsorange auch
in gewissen Schmerzen geschwelgt habe.

Diejenigen aber, welche Paul Heyse einen „unzeitgemäßer," einen akademischen
Dichter schelten, pflegen dabei zumeist an seine Anfänge, seine frühreife Form¬
vollendung, seine in junge» Jahren entwickelte Sprachvirtuosität zu denken. Als
Primaner schon hatte er ein kleines Märchenbuch „Jungbrunnen" drucken lassen,
welches ein fleißiges Studium Eicheudorffs und andrer Romantiker verrieth und
für die wirkliche selbständige Begabung so wenig eine Bürgschaft war wie die
shakespearisirende Tragödie „Francesca da Nimmt." Heyse ist in kunstfrohen,
knnstgebildeten Umgebungen aufgewachsen, und der nachahmende Trieb, in dem
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[0373] Paul Heyse. der poetischen Wirkung in sich schloß, kamen in der Tageskritik kaum zur Sprache, und die mit Recht empfundnen Mängel und Schranken anch dieser Natur er¬ schienen in der landläufigen Vorstellung weit enger als sie sind. Gewiß, für den echten Dichter, der sein bestes Glück doch im Genuß und der Wiedergabe des Schönen findet, kommt nicht so viel hierauf an; ebenso gute und bessre Männer als er haben alles das und mehr ertragen. Für die Literatur aber ist es schon nicht so unwichtig, daß wenigstens der Versuch gemacht wird, die Totalität eines begabten und fruchtbaren Dichters zu erfassen und dem innersten Kern seines Schaffens nahe zu kommen. Im Verstehen und gerechten Beurtheilen eines Schaffens, einer Individualität, wie wir es dem Leser ansinnen, erschließt sich allmählich Verständniß auch für andre. Fruchtreich möchte sich der tiefergehende Antheil an einem (wir meinen nicht nur an diesem!) zeitgenössischen Dichter auch für manche erweisen, die nach dem Begreifen dieser Zeit lechzen und damit an¬ fangen!, daß sie die lebendige Dichtung, aus der allen Kneipenpolitikern und Börscupraktikern zum Trotz mancherlei zu begreifen wäre, verächtlich bei Seite schieben. Wird eine kommende Zeit vielleicht einen freiern Standpunkt bei der Prüfung der Talente unsrer Zeit einnehmen, so giebt es doch ohne Frage Elemente und Bezüge in den Werken dieser Talente, die nur wir Mitlebenden erfassen und gerecht würdigen können. Von vornherein muß die Gesamtübersicht vou Heyses Schaffen, die bloße Thatsache, daß der Dichter uuter uns hat erwachsen, sich ent¬ falten, sich behaupten und wirken können, den Aberglauben widerlegen, daß der Sinn der Gegenwart nur ihren Parteileidcnschaften und Parteikämpfen zugewandt, allen rein menschlichen Bezügen, allem, was man „Privatdasein" schelten kann, abgewandt, das Interesse am Einzelschicksal wie an der Einzelerscheinung, das Gefühl für alles Innenleben erstorben sei. Weit eher könnte ein unbarmherziger und einseitiger Pessimist aus Heyses gesammelte« Schristens heraus deu Beweis führen, daß das Menschenalter zwischen 1850 und 1880 uur zu sehr unter der Herrschaft des Eudämonismus gestanden und in seinem Glückseligkeitsorange auch in gewissen Schmerzen geschwelgt habe. Diejenigen aber, welche Paul Heyse einen „unzeitgemäßer," einen akademischen Dichter schelten, pflegen dabei zumeist an seine Anfänge, seine frühreife Form¬ vollendung, seine in junge» Jahren entwickelte Sprachvirtuosität zu denken. Als Primaner schon hatte er ein kleines Märchenbuch „Jungbrunnen" drucken lassen, welches ein fleißiges Studium Eicheudorffs und andrer Romantiker verrieth und für die wirkliche selbständige Begabung so wenig eine Bürgschaft war wie die shakespearisirende Tragödie „Francesca da Nimmt." Heyse ist in kunstfrohen, knnstgebildeten Umgebungen aufgewachsen, und der nachahmende Trieb, in dem sich das wahrhafte Talent und die dilettantische, rasch verfliegende Lust, die „nur Grenzboten II. 1381. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/373>, abgerufen am 03.07.2024.