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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse.

läßt, im ganzen als Ganzes nicht schätzen zu müssen. Und doch ist, sobald sich
einmal die reine Freude am augenblicklich gebotnen und genossnen zum Urtheil
wandelt, wahrhafte Gerechtigkeit gegen den Dichter nur möglich, wenn man die
Totalität seines Wesens und Wollens im Bewußtsein behält.

Der Dichter der Gegenwart, der uns zu diesen Betrachtungen Anlaß giebt,
Paul Heyse wird in der Regel als Kind des Glückes angesehen, und gewiß ist
es, von allem Persönlichen abgesehen, hohes Glück, daß er ans gewissem Gebiet
ein Mvdepoet geworden und geblieben ist, ohne tiefer blickenden Naturen je einen
Augenblick für einen Modepoetcn zu gelten, daß er sich der frischen Wirkung
ans ein großes Publieum erfreuen durfte, ohne von diesem Publicum so abhängig
zu werden wie andre Lieblinge desselben. Auch das kann man Glück heißen,
daß er immer über den streitenden -- nicht Parteien, denn Parteien im höhern
Sinne giebts in der Literatur der Gegenwart kaum, sondern über den sich gegen¬
seitig herabsetzenden literarischen Cliquen der letzten Jahrzehnte eine neutrale
Stellung eingenommen hat, ohne dadurch isolirt zu werden. Die Vertreter jener zeit¬
gemäßen Literatur, in der das poetische Vermögen als überflüssig und das künstle¬
rische Naturell als hinderlich gilt, haben zwar Hesse immer als einen "Akademiker"
erachtet, aber als einen Akademiker, dessen "Stilvollendung," dessen zugleich starke
und anmuthige Beherrschung der deutschen Sprache einen entschiednen Respect
abnöthigc. Die echten und gerechten Akademiker, sowohl die "theuern Platcniden"
Heinrich Heines als die historisch und archäologisch schwer bcladnen Epiker und
Dramatiker haben über die Neigung unsres Dichters zur modernen Welt, die
hartnäckige Bevorzugung der Erotik vor der großen Haupt- und Staatsaetion, über
das gelegentliche "Virchpfcisfern" in seinen Dramen immer die Kopfe geschüttelt,
aber freilich den Adel und die Grazie seines Vortrags, die Schönheit und Rein¬
heit seiner Oktaven und Terzinen (wenn er dergleichen beliebte), die reiche Bildung,
welche nie vorgedrängt und coquett dargelegt, gleichwohl aus allen seinen Dichtungen
spricht, nur rühmen können. In diesem Sinne ist der Dichter von Glück be¬
gleitet worden. Daneben hat es ihm an den Enttäuschungen und bittern Er¬
fahrungen des echte", mit innerer Nothwendigkeit seinen Weg gehenden Künstlers
keineswegs gefehlt. Einzelne seiner großem Dichtungen, in die er seine ganze Seele
gelegt, die zu seinen besten gehören, sind völlig unbeachtet geblieben, andre sind
beifällig gelesen oder gespielt, aber in ihrem besten Kern nicht erfaßt worden,
der Dichter hat Lob erfahren, das herber kränkt als der unverständigste Tadel,
und hat den ganzen Widerspruch der modernen Bildung ausgekostet, welche nach
Frische, Natur und Unbefangenheit in der Dichtung lechzt und, wo ihr diese Eigen¬
schaften begegnen, von kindischen und müssige" Spielen zu reden beginnt. Tief¬
gehende Wandlungen in seinen Anschauungen, von denen manche mich eine Steigerung


Paul Heyse.

läßt, im ganzen als Ganzes nicht schätzen zu müssen. Und doch ist, sobald sich
einmal die reine Freude am augenblicklich gebotnen und genossnen zum Urtheil
wandelt, wahrhafte Gerechtigkeit gegen den Dichter nur möglich, wenn man die
Totalität seines Wesens und Wollens im Bewußtsein behält.

Der Dichter der Gegenwart, der uns zu diesen Betrachtungen Anlaß giebt,
Paul Heyse wird in der Regel als Kind des Glückes angesehen, und gewiß ist
es, von allem Persönlichen abgesehen, hohes Glück, daß er ans gewissem Gebiet
ein Mvdepoet geworden und geblieben ist, ohne tiefer blickenden Naturen je einen
Augenblick für einen Modepoetcn zu gelten, daß er sich der frischen Wirkung
ans ein großes Publieum erfreuen durfte, ohne von diesem Publicum so abhängig
zu werden wie andre Lieblinge desselben. Auch das kann man Glück heißen,
daß er immer über den streitenden — nicht Parteien, denn Parteien im höhern
Sinne giebts in der Literatur der Gegenwart kaum, sondern über den sich gegen¬
seitig herabsetzenden literarischen Cliquen der letzten Jahrzehnte eine neutrale
Stellung eingenommen hat, ohne dadurch isolirt zu werden. Die Vertreter jener zeit¬
gemäßen Literatur, in der das poetische Vermögen als überflüssig und das künstle¬
rische Naturell als hinderlich gilt, haben zwar Hesse immer als einen „Akademiker"
erachtet, aber als einen Akademiker, dessen „Stilvollendung," dessen zugleich starke
und anmuthige Beherrschung der deutschen Sprache einen entschiednen Respect
abnöthigc. Die echten und gerechten Akademiker, sowohl die „theuern Platcniden"
Heinrich Heines als die historisch und archäologisch schwer bcladnen Epiker und
Dramatiker haben über die Neigung unsres Dichters zur modernen Welt, die
hartnäckige Bevorzugung der Erotik vor der großen Haupt- und Staatsaetion, über
das gelegentliche „Virchpfcisfern" in seinen Dramen immer die Kopfe geschüttelt,
aber freilich den Adel und die Grazie seines Vortrags, die Schönheit und Rein¬
heit seiner Oktaven und Terzinen (wenn er dergleichen beliebte), die reiche Bildung,
welche nie vorgedrängt und coquett dargelegt, gleichwohl aus allen seinen Dichtungen
spricht, nur rühmen können. In diesem Sinne ist der Dichter von Glück be¬
gleitet worden. Daneben hat es ihm an den Enttäuschungen und bittern Er¬
fahrungen des echte«, mit innerer Nothwendigkeit seinen Weg gehenden Künstlers
keineswegs gefehlt. Einzelne seiner großem Dichtungen, in die er seine ganze Seele
gelegt, die zu seinen besten gehören, sind völlig unbeachtet geblieben, andre sind
beifällig gelesen oder gespielt, aber in ihrem besten Kern nicht erfaßt worden,
der Dichter hat Lob erfahren, das herber kränkt als der unverständigste Tadel,
und hat den ganzen Widerspruch der modernen Bildung ausgekostet, welche nach
Frische, Natur und Unbefangenheit in der Dichtung lechzt und, wo ihr diese Eigen¬
schaften begegnen, von kindischen und müssige» Spielen zu reden beginnt. Tief¬
gehende Wandlungen in seinen Anschauungen, von denen manche mich eine Steigerung


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[0372] Paul Heyse. läßt, im ganzen als Ganzes nicht schätzen zu müssen. Und doch ist, sobald sich einmal die reine Freude am augenblicklich gebotnen und genossnen zum Urtheil wandelt, wahrhafte Gerechtigkeit gegen den Dichter nur möglich, wenn man die Totalität seines Wesens und Wollens im Bewußtsein behält. Der Dichter der Gegenwart, der uns zu diesen Betrachtungen Anlaß giebt, Paul Heyse wird in der Regel als Kind des Glückes angesehen, und gewiß ist es, von allem Persönlichen abgesehen, hohes Glück, daß er ans gewissem Gebiet ein Mvdepoet geworden und geblieben ist, ohne tiefer blickenden Naturen je einen Augenblick für einen Modepoetcn zu gelten, daß er sich der frischen Wirkung ans ein großes Publieum erfreuen durfte, ohne von diesem Publicum so abhängig zu werden wie andre Lieblinge desselben. Auch das kann man Glück heißen, daß er immer über den streitenden — nicht Parteien, denn Parteien im höhern Sinne giebts in der Literatur der Gegenwart kaum, sondern über den sich gegen¬ seitig herabsetzenden literarischen Cliquen der letzten Jahrzehnte eine neutrale Stellung eingenommen hat, ohne dadurch isolirt zu werden. Die Vertreter jener zeit¬ gemäßen Literatur, in der das poetische Vermögen als überflüssig und das künstle¬ rische Naturell als hinderlich gilt, haben zwar Hesse immer als einen „Akademiker" erachtet, aber als einen Akademiker, dessen „Stilvollendung," dessen zugleich starke und anmuthige Beherrschung der deutschen Sprache einen entschiednen Respect abnöthigc. Die echten und gerechten Akademiker, sowohl die „theuern Platcniden" Heinrich Heines als die historisch und archäologisch schwer bcladnen Epiker und Dramatiker haben über die Neigung unsres Dichters zur modernen Welt, die hartnäckige Bevorzugung der Erotik vor der großen Haupt- und Staatsaetion, über das gelegentliche „Virchpfcisfern" in seinen Dramen immer die Kopfe geschüttelt, aber freilich den Adel und die Grazie seines Vortrags, die Schönheit und Rein¬ heit seiner Oktaven und Terzinen (wenn er dergleichen beliebte), die reiche Bildung, welche nie vorgedrängt und coquett dargelegt, gleichwohl aus allen seinen Dichtungen spricht, nur rühmen können. In diesem Sinne ist der Dichter von Glück be¬ gleitet worden. Daneben hat es ihm an den Enttäuschungen und bittern Er¬ fahrungen des echte«, mit innerer Nothwendigkeit seinen Weg gehenden Künstlers keineswegs gefehlt. Einzelne seiner großem Dichtungen, in die er seine ganze Seele gelegt, die zu seinen besten gehören, sind völlig unbeachtet geblieben, andre sind beifällig gelesen oder gespielt, aber in ihrem besten Kern nicht erfaßt worden, der Dichter hat Lob erfahren, das herber kränkt als der unverständigste Tadel, und hat den ganzen Widerspruch der modernen Bildung ausgekostet, welche nach Frische, Natur und Unbefangenheit in der Dichtung lechzt und, wo ihr diese Eigen¬ schaften begegnen, von kindischen und müssige» Spielen zu reden beginnt. Tief¬ gehende Wandlungen in seinen Anschauungen, von denen manche mich eine Steigerung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/372>, abgerufen am 01.07.2024.