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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Krisis in Bulgarien.

rungsfvrm und mit einer starken Einschränkung der Freiheiten, die man unbe¬
dachtsamer (oder wohlbedachter) Weise einem für die Freiheit noch nicht entfernt
gereiften Volte verliehen hatte, Abhilfe geschaffen werden konnte.

Die Gründe, welche den Fürsten Alexander zu seinem Entschlüsse, zurück¬
zutreten, bewogen haben, sind in seiner Proclamation nur ganz allgemein, nicht
im Detail angeführt. Wir finden sie in folgendem. Die Verhältnisse Bul¬
gariens boten, als der Fürst die Regierung antrat, ein höchst unerfreuliches Bild,
und zwar sowohl nach der wirthschaftlichen als nach der politischen Seite. Das
Land war durch den Krieg verwüstet und auf weite Strecken ausgesogen, und
in den Kassen herrschte tiefe Ebbe, während es mit dem Credit des neuen Staates
auch nicht besonders gut stand. In politischer Beziehung aber war alles so
zerrüttet, verworren nud verzerrt, daß nur ein begabter und willensstarker Selbst¬
herrscher, entschlossen zur Anwendung der stärksten Mittel, die Parteien bändigen
und in das Chaos Ordnung zu bringen vermocht hätte. Das von Dondukoff-
Korsatoff nach dem beliebten Muster der belgischen Verfassung entwvrfne und
von der constituirenden Versammlung der Notabeln angenommene organische
Reglement paßte zu den Zuständen Bulgariens und zu der Bildungsstufe seiner
Bevölkerung ungefähr so, wie ein Galaklcid von Brüsseler Spitzen auf den Leib
einer bulgarischen Baucrndirne. Rassischer Einfluß beherrschte die Verwaltung
und das wenig brauchbare Milizheer. Großbulgarische Ränke wirkten mit aller
Macht auf die Vereinigung Ostrnmeliens mit dem Fürstenthum hin, das in
Sofia seinen Mittelpunkt hatte. Der Fürst Alexander nahm zu diesem Treiben
und jenen Zuständen eine Stellung ein, die man nicht wohl anders als ver¬
ständig nennen kann. Er dachte nicht an Vergrößerung des Landes auf Kosten
der Pforte, sondern richtete sein Augenmerk auf dessen innere Verhältnisse, die
er zu heben und zu bessern angelegentlich bemüht war. Erfolge indeß hatte er
dabei nur sehr wenige aufzuweisen. Weder die Auflösung der obstinaten und auf
allerhand Thorheiten hinstrebenden Nationalversammlung noch ein mehrmaliger
Wechsel des Ministeriums vermochte die eingewurzelten Uebelstände zu beseitigen.
Den Ministern fehlte es an Umsicht und Organisationstalent, den übrigen Be¬
amten an Pflichtgefühl. Die verlotterten Zustände der Armee wollten sich nicht
heben und ordnen lassen. Gegen die unerhörte Frechheit der Presse ließ sich
mit den Mitteln, welche der Regierung zur Hand waren, nichts oder wenigstens
nichts hinreichendes ausrichten. So hatte der Fürst bei seiner letzten Reise durch
Deutschland und Frankreich bereits verlauten lassen, daß er mit der bestehenden
Verfassung nicht vorwärts kommen könne, und wenn er jetzt an der Spitze des
Staates verbleiben sollte, wie 1872 Fürst Karl von Rumänien, so wird es ohne
Zweifel nur unter der Bedingung sein, daß hier Wandel geschafft und die Cor-


Die Krisis in Bulgarien.

rungsfvrm und mit einer starken Einschränkung der Freiheiten, die man unbe¬
dachtsamer (oder wohlbedachter) Weise einem für die Freiheit noch nicht entfernt
gereiften Volte verliehen hatte, Abhilfe geschaffen werden konnte.

Die Gründe, welche den Fürsten Alexander zu seinem Entschlüsse, zurück¬
zutreten, bewogen haben, sind in seiner Proclamation nur ganz allgemein, nicht
im Detail angeführt. Wir finden sie in folgendem. Die Verhältnisse Bul¬
gariens boten, als der Fürst die Regierung antrat, ein höchst unerfreuliches Bild,
und zwar sowohl nach der wirthschaftlichen als nach der politischen Seite. Das
Land war durch den Krieg verwüstet und auf weite Strecken ausgesogen, und
in den Kassen herrschte tiefe Ebbe, während es mit dem Credit des neuen Staates
auch nicht besonders gut stand. In politischer Beziehung aber war alles so
zerrüttet, verworren nud verzerrt, daß nur ein begabter und willensstarker Selbst¬
herrscher, entschlossen zur Anwendung der stärksten Mittel, die Parteien bändigen
und in das Chaos Ordnung zu bringen vermocht hätte. Das von Dondukoff-
Korsatoff nach dem beliebten Muster der belgischen Verfassung entwvrfne und
von der constituirenden Versammlung der Notabeln angenommene organische
Reglement paßte zu den Zuständen Bulgariens und zu der Bildungsstufe seiner
Bevölkerung ungefähr so, wie ein Galaklcid von Brüsseler Spitzen auf den Leib
einer bulgarischen Baucrndirne. Rassischer Einfluß beherrschte die Verwaltung
und das wenig brauchbare Milizheer. Großbulgarische Ränke wirkten mit aller
Macht auf die Vereinigung Ostrnmeliens mit dem Fürstenthum hin, das in
Sofia seinen Mittelpunkt hatte. Der Fürst Alexander nahm zu diesem Treiben
und jenen Zuständen eine Stellung ein, die man nicht wohl anders als ver¬
ständig nennen kann. Er dachte nicht an Vergrößerung des Landes auf Kosten
der Pforte, sondern richtete sein Augenmerk auf dessen innere Verhältnisse, die
er zu heben und zu bessern angelegentlich bemüht war. Erfolge indeß hatte er
dabei nur sehr wenige aufzuweisen. Weder die Auflösung der obstinaten und auf
allerhand Thorheiten hinstrebenden Nationalversammlung noch ein mehrmaliger
Wechsel des Ministeriums vermochte die eingewurzelten Uebelstände zu beseitigen.
Den Ministern fehlte es an Umsicht und Organisationstalent, den übrigen Be¬
amten an Pflichtgefühl. Die verlotterten Zustände der Armee wollten sich nicht
heben und ordnen lassen. Gegen die unerhörte Frechheit der Presse ließ sich
mit den Mitteln, welche der Regierung zur Hand waren, nichts oder wenigstens
nichts hinreichendes ausrichten. So hatte der Fürst bei seiner letzten Reise durch
Deutschland und Frankreich bereits verlauten lassen, daß er mit der bestehenden
Verfassung nicht vorwärts kommen könne, und wenn er jetzt an der Spitze des
Staates verbleiben sollte, wie 1872 Fürst Karl von Rumänien, so wird es ohne
Zweifel nur unter der Bedingung sein, daß hier Wandel geschafft und die Cor-


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[0345] Die Krisis in Bulgarien. rungsfvrm und mit einer starken Einschränkung der Freiheiten, die man unbe¬ dachtsamer (oder wohlbedachter) Weise einem für die Freiheit noch nicht entfernt gereiften Volte verliehen hatte, Abhilfe geschaffen werden konnte. Die Gründe, welche den Fürsten Alexander zu seinem Entschlüsse, zurück¬ zutreten, bewogen haben, sind in seiner Proclamation nur ganz allgemein, nicht im Detail angeführt. Wir finden sie in folgendem. Die Verhältnisse Bul¬ gariens boten, als der Fürst die Regierung antrat, ein höchst unerfreuliches Bild, und zwar sowohl nach der wirthschaftlichen als nach der politischen Seite. Das Land war durch den Krieg verwüstet und auf weite Strecken ausgesogen, und in den Kassen herrschte tiefe Ebbe, während es mit dem Credit des neuen Staates auch nicht besonders gut stand. In politischer Beziehung aber war alles so zerrüttet, verworren nud verzerrt, daß nur ein begabter und willensstarker Selbst¬ herrscher, entschlossen zur Anwendung der stärksten Mittel, die Parteien bändigen und in das Chaos Ordnung zu bringen vermocht hätte. Das von Dondukoff- Korsatoff nach dem beliebten Muster der belgischen Verfassung entwvrfne und von der constituirenden Versammlung der Notabeln angenommene organische Reglement paßte zu den Zuständen Bulgariens und zu der Bildungsstufe seiner Bevölkerung ungefähr so, wie ein Galaklcid von Brüsseler Spitzen auf den Leib einer bulgarischen Baucrndirne. Rassischer Einfluß beherrschte die Verwaltung und das wenig brauchbare Milizheer. Großbulgarische Ränke wirkten mit aller Macht auf die Vereinigung Ostrnmeliens mit dem Fürstenthum hin, das in Sofia seinen Mittelpunkt hatte. Der Fürst Alexander nahm zu diesem Treiben und jenen Zuständen eine Stellung ein, die man nicht wohl anders als ver¬ ständig nennen kann. Er dachte nicht an Vergrößerung des Landes auf Kosten der Pforte, sondern richtete sein Augenmerk auf dessen innere Verhältnisse, die er zu heben und zu bessern angelegentlich bemüht war. Erfolge indeß hatte er dabei nur sehr wenige aufzuweisen. Weder die Auflösung der obstinaten und auf allerhand Thorheiten hinstrebenden Nationalversammlung noch ein mehrmaliger Wechsel des Ministeriums vermochte die eingewurzelten Uebelstände zu beseitigen. Den Ministern fehlte es an Umsicht und Organisationstalent, den übrigen Be¬ amten an Pflichtgefühl. Die verlotterten Zustände der Armee wollten sich nicht heben und ordnen lassen. Gegen die unerhörte Frechheit der Presse ließ sich mit den Mitteln, welche der Regierung zur Hand waren, nichts oder wenigstens nichts hinreichendes ausrichten. So hatte der Fürst bei seiner letzten Reise durch Deutschland und Frankreich bereits verlauten lassen, daß er mit der bestehenden Verfassung nicht vorwärts kommen könne, und wenn er jetzt an der Spitze des Staates verbleiben sollte, wie 1872 Fürst Karl von Rumänien, so wird es ohne Zweifel nur unter der Bedingung sein, daß hier Wandel geschafft und die Cor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/345>, abgerufen am 25.08.2024.