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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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stitution im Sinne einer sehr bedeutenden Stärkung der Negierung umredigirt
wird. Seine Abänderungsvorschläge werden die Macht des Parlaments nach
den gemachten Erfahrungen und im Hinblick auf zukünftige Eventualitäten ge¬
hörig beschneiden, die bisher schrankenlose und maßlos gemißbrauchte Pre߬
freiheit in Grenzen bannen, welche sie unschädlich machen, und möglicher¬
weise auch Bestimmungen über die Anstellung von Ausländern im bulgarischen
Staatsdienste enthalten. Besteht der Fürst mit Festigkeit auf der Erfüllung
daher und andrer Forderungen, so werden sie ihm von der Nationalversamm¬
lung bewilligt werden -- falls sich nicht ausländischer Einfluß dazwischen
drängt.

Das Letztre ist jetzt weniger wahrscheinlich als es früher gewesen sein würde.
Es ist ein öffentliches Geheimniß, daß die nach allen Regeln der liberalen Koch¬
kunst zubereitete Verfassung von 1879, mit welcher die russische Großmuth gegen
die bei ihr zu Hause mit gutem Rechte in dieser Beziehung festgehaltneu Grund¬
sätze des kaum für die ersten Elemente europäischen Regierens und Regiertwerdens
empfängliche Bulgarenvolk beschenkte, in der Absicht ausgearbeitet wurde, den
Parteien, namentlich den zu Nußland hinneigenden Panslavisten, möglichst viel
Einfluß auf die Negierung zu verschaffen. Rußland sollte stets imstande sein,
sich in den Hader der Fractionen zu mischen und eine geordnete Selbstregierung
des Landes zur Unmöglichkeit zu macheu. Ein Volk, das nie eine Vorstellung
von Selfgovernment und parlamentarischem Leben besessen, geschweige dem? sich
damit praktisch versucht hatte, bekam eine Constitution, bei der nur an die Freiheit,
nicht an staatliche Zucht und Ordnung gedacht worden. Heute denkt man ver-
muthlich in Petersburg anders als damals über das, was den guten Leuten in
Bulgarien frommt. Der Kaiser Alexander will, wie seiue letzte Proclamation
sagt, Selbstherrscher bleiben. Er ist ein Freund der Gerechtigkeit und Billig¬
keit, und so sollte man meinen, er könne nicht für ein mit seinen Russen ver¬
wandtes, mit der Mehrzahl dieser ans gleicher niedriger Bildungsstufe stehendes
Volk gut halten, was er als für Rußland nicht geeignet hält. Es wäre des¬
halb möglich, daß der Russe Ehreuroth, des Fürsten jetziger Berather, auserkoren
wäre, den Schaden wieder gut zu machen, den der Russe Dvndukvff-Kvrsakoff
mit seineni organischen Reglement angerichtet hat.

Ob das so kommen wird, muß sich bald zeige". Inzwischen entnehmen wir
den Vorgängen in Sofia die leider von unsern liberalen Doetrinären immer
wieder vergcssne Lehre, daß liberale Verfassungen nichts weniger als überall
unfehlbare Heil- und Förderungsmittel sind, daß mit ihnen kein Deut geleistet
und kein Hund vom Ofen gelockt wird, wenn sie nicht dem politischen BildungS-
standc des Volkes entsprechen, das mit ihnen beschenkt wird, und gewisser-


stitution im Sinne einer sehr bedeutenden Stärkung der Negierung umredigirt
wird. Seine Abänderungsvorschläge werden die Macht des Parlaments nach
den gemachten Erfahrungen und im Hinblick auf zukünftige Eventualitäten ge¬
hörig beschneiden, die bisher schrankenlose und maßlos gemißbrauchte Pre߬
freiheit in Grenzen bannen, welche sie unschädlich machen, und möglicher¬
weise auch Bestimmungen über die Anstellung von Ausländern im bulgarischen
Staatsdienste enthalten. Besteht der Fürst mit Festigkeit auf der Erfüllung
daher und andrer Forderungen, so werden sie ihm von der Nationalversamm¬
lung bewilligt werden — falls sich nicht ausländischer Einfluß dazwischen
drängt.

Das Letztre ist jetzt weniger wahrscheinlich als es früher gewesen sein würde.
Es ist ein öffentliches Geheimniß, daß die nach allen Regeln der liberalen Koch¬
kunst zubereitete Verfassung von 1879, mit welcher die russische Großmuth gegen
die bei ihr zu Hause mit gutem Rechte in dieser Beziehung festgehaltneu Grund¬
sätze des kaum für die ersten Elemente europäischen Regierens und Regiertwerdens
empfängliche Bulgarenvolk beschenkte, in der Absicht ausgearbeitet wurde, den
Parteien, namentlich den zu Nußland hinneigenden Panslavisten, möglichst viel
Einfluß auf die Negierung zu verschaffen. Rußland sollte stets imstande sein,
sich in den Hader der Fractionen zu mischen und eine geordnete Selbstregierung
des Landes zur Unmöglichkeit zu macheu. Ein Volk, das nie eine Vorstellung
von Selfgovernment und parlamentarischem Leben besessen, geschweige dem? sich
damit praktisch versucht hatte, bekam eine Constitution, bei der nur an die Freiheit,
nicht an staatliche Zucht und Ordnung gedacht worden. Heute denkt man ver-
muthlich in Petersburg anders als damals über das, was den guten Leuten in
Bulgarien frommt. Der Kaiser Alexander will, wie seiue letzte Proclamation
sagt, Selbstherrscher bleiben. Er ist ein Freund der Gerechtigkeit und Billig¬
keit, und so sollte man meinen, er könne nicht für ein mit seinen Russen ver¬
wandtes, mit der Mehrzahl dieser ans gleicher niedriger Bildungsstufe stehendes
Volk gut halten, was er als für Rußland nicht geeignet hält. Es wäre des¬
halb möglich, daß der Russe Ehreuroth, des Fürsten jetziger Berather, auserkoren
wäre, den Schaden wieder gut zu machen, den der Russe Dvndukvff-Kvrsakoff
mit seineni organischen Reglement angerichtet hat.

Ob das so kommen wird, muß sich bald zeige». Inzwischen entnehmen wir
den Vorgängen in Sofia die leider von unsern liberalen Doetrinären immer
wieder vergcssne Lehre, daß liberale Verfassungen nichts weniger als überall
unfehlbare Heil- und Förderungsmittel sind, daß mit ihnen kein Deut geleistet
und kein Hund vom Ofen gelockt wird, wenn sie nicht dem politischen BildungS-
standc des Volkes entsprechen, das mit ihnen beschenkt wird, und gewisser-


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[0346] stitution im Sinne einer sehr bedeutenden Stärkung der Negierung umredigirt wird. Seine Abänderungsvorschläge werden die Macht des Parlaments nach den gemachten Erfahrungen und im Hinblick auf zukünftige Eventualitäten ge¬ hörig beschneiden, die bisher schrankenlose und maßlos gemißbrauchte Pre߬ freiheit in Grenzen bannen, welche sie unschädlich machen, und möglicher¬ weise auch Bestimmungen über die Anstellung von Ausländern im bulgarischen Staatsdienste enthalten. Besteht der Fürst mit Festigkeit auf der Erfüllung daher und andrer Forderungen, so werden sie ihm von der Nationalversamm¬ lung bewilligt werden — falls sich nicht ausländischer Einfluß dazwischen drängt. Das Letztre ist jetzt weniger wahrscheinlich als es früher gewesen sein würde. Es ist ein öffentliches Geheimniß, daß die nach allen Regeln der liberalen Koch¬ kunst zubereitete Verfassung von 1879, mit welcher die russische Großmuth gegen die bei ihr zu Hause mit gutem Rechte in dieser Beziehung festgehaltneu Grund¬ sätze des kaum für die ersten Elemente europäischen Regierens und Regiertwerdens empfängliche Bulgarenvolk beschenkte, in der Absicht ausgearbeitet wurde, den Parteien, namentlich den zu Nußland hinneigenden Panslavisten, möglichst viel Einfluß auf die Negierung zu verschaffen. Rußland sollte stets imstande sein, sich in den Hader der Fractionen zu mischen und eine geordnete Selbstregierung des Landes zur Unmöglichkeit zu macheu. Ein Volk, das nie eine Vorstellung von Selfgovernment und parlamentarischem Leben besessen, geschweige dem? sich damit praktisch versucht hatte, bekam eine Constitution, bei der nur an die Freiheit, nicht an staatliche Zucht und Ordnung gedacht worden. Heute denkt man ver- muthlich in Petersburg anders als damals über das, was den guten Leuten in Bulgarien frommt. Der Kaiser Alexander will, wie seiue letzte Proclamation sagt, Selbstherrscher bleiben. Er ist ein Freund der Gerechtigkeit und Billig¬ keit, und so sollte man meinen, er könne nicht für ein mit seinen Russen ver¬ wandtes, mit der Mehrzahl dieser ans gleicher niedriger Bildungsstufe stehendes Volk gut halten, was er als für Rußland nicht geeignet hält. Es wäre des¬ halb möglich, daß der Russe Ehreuroth, des Fürsten jetziger Berather, auserkoren wäre, den Schaden wieder gut zu machen, den der Russe Dvndukvff-Kvrsakoff mit seineni organischen Reglement angerichtet hat. Ob das so kommen wird, muß sich bald zeige». Inzwischen entnehmen wir den Vorgängen in Sofia die leider von unsern liberalen Doetrinären immer wieder vergcssne Lehre, daß liberale Verfassungen nichts weniger als überall unfehlbare Heil- und Förderungsmittel sind, daß mit ihnen kein Deut geleistet und kein Hund vom Ofen gelockt wird, wenn sie nicht dem politischen BildungS- standc des Volkes entsprechen, das mit ihnen beschenkt wird, und gewisser-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/346>, abgerufen am 25.08.2024.