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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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als ein Gemeingut der spanischen Stücke bezeichnet,*) 1770 erschien sodann
das ^IMtrs LsxgZnol von Linguet in deutscher Uebersetzung, auf die 176")
von Scharfenstein nach einer italienischen Uebertragung gefertigte Bearbeitung
von Calderons "Leben ein Traum" folgte 1782 eine zweite von Bertrand, **>
In Weimar wirkten um dieselbe Zeit Bertuch, der Herausgeber des Magazins
der spanischen und portugiesischen Literatur, Freiherr von Seckendorf und Friedrich
von Einsiedel für die Kenntniß der spanischen Dramatik, letztrer auch als Ueber
Setzer, dem andre auf diesem Gebiete folgten. A. W, Schlegels "spanisches
Theater" erschien in den Jahren 1803--1809, Gries, der verdienstvolle Ver¬
mittler romanischer Poesie, eröffnete 1815 die Reihe seiner vorzüglichen Calderon-
übersetzungen mit der "Großen Zenobia," und Otto Freiherr von der Malsburg
ließ in dem Zeitraum von 1819--1825 6 Bände Calderonscher Stücke verdeutscht
erscheinen. Allen diesen Unternehmungen schenkte Goethe den regsten Antheil,
der sich in lebhafter Anerkennung und Aufmunterung zu weiteren Fortfahren zu
erkennen gab. Er selbst, der der spanischen Sprache nicht mächtig war, lernte
aus den Uebertmgungen Calderon allmählich kennen und hochschätzen und nannte
ihn u. a. in einem Dankschreiben an Gries einen Dichter, über den man bei
jedesmaligem Erblicken erstaune, wie über die Natur, so oft man aufmerksam an
sie Heranblicke; an Zelter schrieb er noch wenige Jahre vor seinem Tode, daß
höchste Cultur und Poesie sich niemals inniger zusammengefunden hätten als bei
Calderon; schon 1805 hatte er in den Anmerkungen zu "Rameaus Neffen" den
spanischen Dichter mit Shakespeare auf eine Stufe gestellt, indem er urtheilte,
daß beide untadlig vor dem höchsten ästhetischen Richterstuhl bestünden und wegen
ihrer vermeintlichen Fehler, indem diese ein Erzeugniß ihrer Zeit seien, neue
Lorbeern verdienten. Und so bezeugen noch manche Aeußerungen, die Woldemar
Freiherr vou Biedermann in seinen " Goethe-Forschungen" (S, 154 ff,) zu¬
sammengestellt hat, die hohe Verehrung des deutscheu Dichterfürsten für Calderons
Poesie, Indem er mehrere seiner Stücke zur Aufführung brachte***), verfolgte er,
wie er es selbst ausspricht, deu Zweck, den Geschmack des Publicums daran zu
gewöhnen, auf der Bühne die Befriedigung der höhern Forderungen der Ein¬
bildungskraft zu verlangen. Auch zu eigner Nachahmung Calderons, den er mehr¬
fach andern als Muster empfiehlt, fühlte Goethe sich angeregt, indem er den
Plan zu einem Trauerspiel ausarbeitete, in dem wie im "standhaften Prinzen"
christliches Mürthrerthum den Stoff bilden sollte; es darf über diesen Gegen-





*) 68, Stück der Hamburgischen Dramaturgie,
Sigismund und Sophronie oder Grausamkeit und Aberglauben,
***) 1811 ging "Der standhafte Prinz," 1812 "Das Leben ein Traum," 181S "Die
große Zenobia" über die Weimaraner Bühne.
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von Scharfenstein nach einer italienischen Uebertragung gefertigte Bearbeitung
von Calderons „Leben ein Traum" folgte 1782 eine zweite von Bertrand, **>
In Weimar wirkten um dieselbe Zeit Bertuch, der Herausgeber des Magazins
der spanischen und portugiesischen Literatur, Freiherr von Seckendorf und Friedrich
von Einsiedel für die Kenntniß der spanischen Dramatik, letztrer auch als Ueber
Setzer, dem andre auf diesem Gebiete folgten. A. W, Schlegels „spanisches
Theater" erschien in den Jahren 1803—1809, Gries, der verdienstvolle Ver¬
mittler romanischer Poesie, eröffnete 1815 die Reihe seiner vorzüglichen Calderon-
übersetzungen mit der „Großen Zenobia," und Otto Freiherr von der Malsburg
ließ in dem Zeitraum von 1819—1825 6 Bände Calderonscher Stücke verdeutscht
erscheinen. Allen diesen Unternehmungen schenkte Goethe den regsten Antheil,
der sich in lebhafter Anerkennung und Aufmunterung zu weiteren Fortfahren zu
erkennen gab. Er selbst, der der spanischen Sprache nicht mächtig war, lernte
aus den Uebertmgungen Calderon allmählich kennen und hochschätzen und nannte
ihn u. a. in einem Dankschreiben an Gries einen Dichter, über den man bei
jedesmaligem Erblicken erstaune, wie über die Natur, so oft man aufmerksam an
sie Heranblicke; an Zelter schrieb er noch wenige Jahre vor seinem Tode, daß
höchste Cultur und Poesie sich niemals inniger zusammengefunden hätten als bei
Calderon; schon 1805 hatte er in den Anmerkungen zu „Rameaus Neffen" den
spanischen Dichter mit Shakespeare auf eine Stufe gestellt, indem er urtheilte,
daß beide untadlig vor dem höchsten ästhetischen Richterstuhl bestünden und wegen
ihrer vermeintlichen Fehler, indem diese ein Erzeugniß ihrer Zeit seien, neue
Lorbeern verdienten. Und so bezeugen noch manche Aeußerungen, die Woldemar
Freiherr vou Biedermann in seinen „ Goethe-Forschungen" (S, 154 ff,) zu¬
sammengestellt hat, die hohe Verehrung des deutscheu Dichterfürsten für Calderons
Poesie, Indem er mehrere seiner Stücke zur Aufführung brachte***), verfolgte er,
wie er es selbst ausspricht, deu Zweck, den Geschmack des Publicums daran zu
gewöhnen, auf der Bühne die Befriedigung der höhern Forderungen der Ein¬
bildungskraft zu verlangen. Auch zu eigner Nachahmung Calderons, den er mehr¬
fach andern als Muster empfiehlt, fühlte Goethe sich angeregt, indem er den
Plan zu einem Trauerspiel ausarbeitete, in dem wie im „standhaften Prinzen"
christliches Mürthrerthum den Stoff bilden sollte; es darf über diesen Gegen-





*) 68, Stück der Hamburgischen Dramaturgie,
Sigismund und Sophronie oder Grausamkeit und Aberglauben,
***) 1811 ging „Der standhafte Prinz," 1812 „Das Leben ein Traum," 181S „Die
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[0329] <Lalderou, als ein Gemeingut der spanischen Stücke bezeichnet,*) 1770 erschien sodann das ^IMtrs LsxgZnol von Linguet in deutscher Uebersetzung, auf die 176«) von Scharfenstein nach einer italienischen Uebertragung gefertigte Bearbeitung von Calderons „Leben ein Traum" folgte 1782 eine zweite von Bertrand, **> In Weimar wirkten um dieselbe Zeit Bertuch, der Herausgeber des Magazins der spanischen und portugiesischen Literatur, Freiherr von Seckendorf und Friedrich von Einsiedel für die Kenntniß der spanischen Dramatik, letztrer auch als Ueber Setzer, dem andre auf diesem Gebiete folgten. A. W, Schlegels „spanisches Theater" erschien in den Jahren 1803—1809, Gries, der verdienstvolle Ver¬ mittler romanischer Poesie, eröffnete 1815 die Reihe seiner vorzüglichen Calderon- übersetzungen mit der „Großen Zenobia," und Otto Freiherr von der Malsburg ließ in dem Zeitraum von 1819—1825 6 Bände Calderonscher Stücke verdeutscht erscheinen. Allen diesen Unternehmungen schenkte Goethe den regsten Antheil, der sich in lebhafter Anerkennung und Aufmunterung zu weiteren Fortfahren zu erkennen gab. Er selbst, der der spanischen Sprache nicht mächtig war, lernte aus den Uebertmgungen Calderon allmählich kennen und hochschätzen und nannte ihn u. a. in einem Dankschreiben an Gries einen Dichter, über den man bei jedesmaligem Erblicken erstaune, wie über die Natur, so oft man aufmerksam an sie Heranblicke; an Zelter schrieb er noch wenige Jahre vor seinem Tode, daß höchste Cultur und Poesie sich niemals inniger zusammengefunden hätten als bei Calderon; schon 1805 hatte er in den Anmerkungen zu „Rameaus Neffen" den spanischen Dichter mit Shakespeare auf eine Stufe gestellt, indem er urtheilte, daß beide untadlig vor dem höchsten ästhetischen Richterstuhl bestünden und wegen ihrer vermeintlichen Fehler, indem diese ein Erzeugniß ihrer Zeit seien, neue Lorbeern verdienten. Und so bezeugen noch manche Aeußerungen, die Woldemar Freiherr vou Biedermann in seinen „ Goethe-Forschungen" (S, 154 ff,) zu¬ sammengestellt hat, die hohe Verehrung des deutscheu Dichterfürsten für Calderons Poesie, Indem er mehrere seiner Stücke zur Aufführung brachte***), verfolgte er, wie er es selbst ausspricht, deu Zweck, den Geschmack des Publicums daran zu gewöhnen, auf der Bühne die Befriedigung der höhern Forderungen der Ein¬ bildungskraft zu verlangen. Auch zu eigner Nachahmung Calderons, den er mehr¬ fach andern als Muster empfiehlt, fühlte Goethe sich angeregt, indem er den Plan zu einem Trauerspiel ausarbeitete, in dem wie im „standhaften Prinzen" christliches Mürthrerthum den Stoff bilden sollte; es darf über diesen Gegen- *) 68, Stück der Hamburgischen Dramaturgie, Sigismund und Sophronie oder Grausamkeit und Aberglauben, ***) 1811 ging „Der standhafte Prinz," 1812 „Das Leben ein Traum," 181S „Die große Zenobia" über die Weimaraner Bühne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/329>, abgerufen am 03.07.2024.