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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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"Laldorcm.

stand auf die eingehende Besprechung verwiesen werden, die von Biedermann
a, n, O. veröffentlicht hat; bemerkt sei "ur noch, daß auch Diction und Vers¬
bildung der vorliegenden Goethischen Fragmente unverkennbare Anklänge an das
spanische Vorbild ausweisen. Daß die Ausführung des Wertes unterblieb, ist
wohl in der That, wie von Biedermann annimmt, ein Beweis dafür, daß Goethes
dichterische Eigenart in jener Zeit zu ausgeprägt war, um sich einer andern In¬
dividualität so heterogener Art anzupassen, ^

Die an Apotheose grenzende Verehrung, welche die Romantiker für Calderon
an den Tag legten, findet in der ganzen Tendenz dieser Schule ihre Erklärung,
Ist ihr doch Calderon, wie es Friedrich Schlegel prägnant ausspricht, "unter
allen Verhältnissen und Umständen und unter allen andern dramatischen Dichtern
vorzugsweise der christliche und eben darum auch der am meisten romantische,"
Freilich können die Nachahmungen, die ans diesem Enthusiasmus hervorgingen,
ein andres als literarhistorisches Interesse nicht beanspruchen; der "Alareos"
Friedrich Schlegels ist ein in Anlage und Ausführung verfehltes Machwerk, das
aller poetischen Weihe entbehrt, Ludwig Tiecks "Genoveva" ein Versuch, dem
anßer vielem andern namentlich das, was Calderon so groß macht, die drama¬
tische Wirkung, vollkommen abgeht, und die krankhaften, kunstwidrigen Schicksals¬
tragödien der Werner, Müllner und andrer haben längst die verdiente Ver-
urtheilung gefunden. Daß aber Calderon, verständig studirt, für das moderne
Drama von hohem Nutzen werden könnte, wird niemand in Abrede stellen, der
seine großen Vorzüge zu würdigen versteht: die schöpferische Kraft, die sich nichl
allein im Umfang, sondern vor allem im Gehalte seiner Schauspiele manifestirt,
die Vielseitigkeit und Beweglichkeit seines Talents, die Vereinigung eines nie
versiegenden poetischen Reichthums mit souveräner Beherrschung der technischen
Mittel, ohne die auch das gehaltvollste Werk aus der Bühne keine Wirkung
hervorbringt. Und so wird Calderon, was man auch vom Standpunkte unsrer
Zeit und unsrer Denkweise im einzelnen an ihm aussetzen und bemängeln möge,
in seiner Totalität betrachtet als einer der Genien anerkannt werden müssen,
die das Anrecht auf einen dauernden Ehrenplatz in der Weltliteratur besitzen.




«Laldorcm.

stand auf die eingehende Besprechung verwiesen werden, die von Biedermann
a, n, O. veröffentlicht hat; bemerkt sei »ur noch, daß auch Diction und Vers¬
bildung der vorliegenden Goethischen Fragmente unverkennbare Anklänge an das
spanische Vorbild ausweisen. Daß die Ausführung des Wertes unterblieb, ist
wohl in der That, wie von Biedermann annimmt, ein Beweis dafür, daß Goethes
dichterische Eigenart in jener Zeit zu ausgeprägt war, um sich einer andern In¬
dividualität so heterogener Art anzupassen, ^

Die an Apotheose grenzende Verehrung, welche die Romantiker für Calderon
an den Tag legten, findet in der ganzen Tendenz dieser Schule ihre Erklärung,
Ist ihr doch Calderon, wie es Friedrich Schlegel prägnant ausspricht, „unter
allen Verhältnissen und Umständen und unter allen andern dramatischen Dichtern
vorzugsweise der christliche und eben darum auch der am meisten romantische,"
Freilich können die Nachahmungen, die ans diesem Enthusiasmus hervorgingen,
ein andres als literarhistorisches Interesse nicht beanspruchen; der „Alareos"
Friedrich Schlegels ist ein in Anlage und Ausführung verfehltes Machwerk, das
aller poetischen Weihe entbehrt, Ludwig Tiecks „Genoveva" ein Versuch, dem
anßer vielem andern namentlich das, was Calderon so groß macht, die drama¬
tische Wirkung, vollkommen abgeht, und die krankhaften, kunstwidrigen Schicksals¬
tragödien der Werner, Müllner und andrer haben längst die verdiente Ver-
urtheilung gefunden. Daß aber Calderon, verständig studirt, für das moderne
Drama von hohem Nutzen werden könnte, wird niemand in Abrede stellen, der
seine großen Vorzüge zu würdigen versteht: die schöpferische Kraft, die sich nichl
allein im Umfang, sondern vor allem im Gehalte seiner Schauspiele manifestirt,
die Vielseitigkeit und Beweglichkeit seines Talents, die Vereinigung eines nie
versiegenden poetischen Reichthums mit souveräner Beherrschung der technischen
Mittel, ohne die auch das gehaltvollste Werk aus der Bühne keine Wirkung
hervorbringt. Und so wird Calderon, was man auch vom Standpunkte unsrer
Zeit und unsrer Denkweise im einzelnen an ihm aussetzen und bemängeln möge,
in seiner Totalität betrachtet als einer der Genien anerkannt werden müssen,
die das Anrecht auf einen dauernden Ehrenplatz in der Weltliteratur besitzen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/330>, abgerufen am 01.07.2024.