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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Rußland und die Reform.

Correspondent läßt nun eine Anzahl von Rednern auftreten und giebt deren Aeuße¬
rungen in einer Weise wieder, nach der man annehmen muß, er sei Augen- und Ohren-
zeuge gewesen. Einige sprechen entschieden für, andre gegen den Plan, alle mit
Gründen. Zuletzt giebt es eine Abstimmung, bei der 9 von den Anwesenden (Adler¬
berg, Mclikoff, Miljutin, Walujcff, der Finanzminister Abasa, Giers, Nabokoff, Saburosf
und Solski) für und 5 (Fürst Liewen, Admiral Possict, der Eiscnbahmninister, Makoff,
Pobedonostscheff und Graf Stroganoff) gegen den Melikvffschen Vorschlag stimmen,
wahrend der Großfürst Wladimir, ebenfalls zugegen, sich der Abstimmung enthält.
"Der Kaiser," so erzählt der Correspondent weiter, "erhob sich und dankte der Ver¬
sammlung. Er sagte: Demnach hat sich die Mehrzahl der Herren in dem Sinne
ausgesprochen, daß der Vorschlag wegen Einberufung einer vorbereitenden Commission,
welche ans allen Klassen gewählt würde, im Interesse des Staates ausgeführt werden
soll. Ich stimme mit der Majorität überein und wünsche, daß der Ukas diese neue
Reform als ein Andenken an meinen seligen Vater bezeichne. Der Minister des
Innern wird den Ukas in Uebereinstimmung mit den Bemerkungen, die wir gemacht
haben, ausarbeite!:. Alle Anwesenden standen, als der Kaiser sprach. Se. Majestät
drückte dem Grafen Mclikoff warm die Hände. Er bat dann die Minister, unbe¬
deutende Angelegenheiten selbständig zu ordnen und nicht erst seine Entscheidung nach¬
zusuchen."

Dieser interessante Bericht fand in der Mehrzahl der deutschen Blätter um so
mehr Beachtung und Glauben, als die "Berliner Börsen-Zeitung" schou früher in
einem Briefe aus Petersburg die Mittheilung erhalten hatte, Melikoff habe "beim
letzten Ministerrathe vollständig gesiegt," und man werde "in kurzer Zeit eine neue
Aera betreten, die direct zur Konstitution führe", und als die "Kölnische Zeitung"
am 19. April eine Depesche aus Petersburg bekommen hatte, welche gemeldet, daß
Melikoff mit dem Kaiser ausgezeichnet stehe und dazu berufen sei, eine große Rolle
zu spielen.

Wir haben schon angedeutet, daß wir alle diese Mittheilungen von Anfang
an für Fabeleien hielten, und bis jetzt ist jedes Zeichen, daß sie ganz oder theil¬
weise begründet, ausgeblieben. Heute trifft eine Meldung ein, welche die Liberalen
befriedigt, morgen eine, welche sie verstimmt. Alle aber scheinen nichts als Ge¬
rüchte, ja bloße Erfindungen der betreffenden betriebsamen Korrespondenten zu sein.
Bald ist Melikoff um seine Entlassung eingekommen, bald ist er oben auf. Nach
den neuesten unter diesen Berichten schwankt man in den maßgebenden Kreisen in¬
folge der sich bekämpfenden Strömungen, die am Hofe herrschen. An der Spitze
der einen Partei stünde der Großfürst Wladimir, der die Anwendung von Neprcssiv-
mitteln wenigstens für den Verlauf des nächsten halben Jahres verlange. Die zweite
Richtung vertrete Abasa, der nur Verstärkung des Reichsrathes dnrch Mitglieder
wolle, die vom Lande zu wählen wären. Führer der dritten Partei sei Melikoff,
welcher alles Heil von der Einberufung einer durch Bolkswahlen zu schaffenden be¬
rathenden Versammlung erhoffe. Unterliege Melikoff, so solle er durch Jgnatieff


Rußland und die Reform.

Correspondent läßt nun eine Anzahl von Rednern auftreten und giebt deren Aeuße¬
rungen in einer Weise wieder, nach der man annehmen muß, er sei Augen- und Ohren-
zeuge gewesen. Einige sprechen entschieden für, andre gegen den Plan, alle mit
Gründen. Zuletzt giebt es eine Abstimmung, bei der 9 von den Anwesenden (Adler¬
berg, Mclikoff, Miljutin, Walujcff, der Finanzminister Abasa, Giers, Nabokoff, Saburosf
und Solski) für und 5 (Fürst Liewen, Admiral Possict, der Eiscnbahmninister, Makoff,
Pobedonostscheff und Graf Stroganoff) gegen den Melikvffschen Vorschlag stimmen,
wahrend der Großfürst Wladimir, ebenfalls zugegen, sich der Abstimmung enthält.
„Der Kaiser," so erzählt der Correspondent weiter, „erhob sich und dankte der Ver¬
sammlung. Er sagte: Demnach hat sich die Mehrzahl der Herren in dem Sinne
ausgesprochen, daß der Vorschlag wegen Einberufung einer vorbereitenden Commission,
welche ans allen Klassen gewählt würde, im Interesse des Staates ausgeführt werden
soll. Ich stimme mit der Majorität überein und wünsche, daß der Ukas diese neue
Reform als ein Andenken an meinen seligen Vater bezeichne. Der Minister des
Innern wird den Ukas in Uebereinstimmung mit den Bemerkungen, die wir gemacht
haben, ausarbeite!:. Alle Anwesenden standen, als der Kaiser sprach. Se. Majestät
drückte dem Grafen Mclikoff warm die Hände. Er bat dann die Minister, unbe¬
deutende Angelegenheiten selbständig zu ordnen und nicht erst seine Entscheidung nach¬
zusuchen."

Dieser interessante Bericht fand in der Mehrzahl der deutschen Blätter um so
mehr Beachtung und Glauben, als die „Berliner Börsen-Zeitung" schou früher in
einem Briefe aus Petersburg die Mittheilung erhalten hatte, Melikoff habe „beim
letzten Ministerrathe vollständig gesiegt," und man werde „in kurzer Zeit eine neue
Aera betreten, die direct zur Konstitution führe", und als die „Kölnische Zeitung"
am 19. April eine Depesche aus Petersburg bekommen hatte, welche gemeldet, daß
Melikoff mit dem Kaiser ausgezeichnet stehe und dazu berufen sei, eine große Rolle
zu spielen.

Wir haben schon angedeutet, daß wir alle diese Mittheilungen von Anfang
an für Fabeleien hielten, und bis jetzt ist jedes Zeichen, daß sie ganz oder theil¬
weise begründet, ausgeblieben. Heute trifft eine Meldung ein, welche die Liberalen
befriedigt, morgen eine, welche sie verstimmt. Alle aber scheinen nichts als Ge¬
rüchte, ja bloße Erfindungen der betreffenden betriebsamen Korrespondenten zu sein.
Bald ist Melikoff um seine Entlassung eingekommen, bald ist er oben auf. Nach
den neuesten unter diesen Berichten schwankt man in den maßgebenden Kreisen in¬
folge der sich bekämpfenden Strömungen, die am Hofe herrschen. An der Spitze
der einen Partei stünde der Großfürst Wladimir, der die Anwendung von Neprcssiv-
mitteln wenigstens für den Verlauf des nächsten halben Jahres verlange. Die zweite
Richtung vertrete Abasa, der nur Verstärkung des Reichsrathes dnrch Mitglieder
wolle, die vom Lande zu wählen wären. Führer der dritten Partei sei Melikoff,
welcher alles Heil von der Einberufung einer durch Bolkswahlen zu schaffenden be¬
rathenden Versammlung erhoffe. Unterliege Melikoff, so solle er durch Jgnatieff


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[0304] Rußland und die Reform. Correspondent läßt nun eine Anzahl von Rednern auftreten und giebt deren Aeuße¬ rungen in einer Weise wieder, nach der man annehmen muß, er sei Augen- und Ohren- zeuge gewesen. Einige sprechen entschieden für, andre gegen den Plan, alle mit Gründen. Zuletzt giebt es eine Abstimmung, bei der 9 von den Anwesenden (Adler¬ berg, Mclikoff, Miljutin, Walujcff, der Finanzminister Abasa, Giers, Nabokoff, Saburosf und Solski) für und 5 (Fürst Liewen, Admiral Possict, der Eiscnbahmninister, Makoff, Pobedonostscheff und Graf Stroganoff) gegen den Melikvffschen Vorschlag stimmen, wahrend der Großfürst Wladimir, ebenfalls zugegen, sich der Abstimmung enthält. „Der Kaiser," so erzählt der Correspondent weiter, „erhob sich und dankte der Ver¬ sammlung. Er sagte: Demnach hat sich die Mehrzahl der Herren in dem Sinne ausgesprochen, daß der Vorschlag wegen Einberufung einer vorbereitenden Commission, welche ans allen Klassen gewählt würde, im Interesse des Staates ausgeführt werden soll. Ich stimme mit der Majorität überein und wünsche, daß der Ukas diese neue Reform als ein Andenken an meinen seligen Vater bezeichne. Der Minister des Innern wird den Ukas in Uebereinstimmung mit den Bemerkungen, die wir gemacht haben, ausarbeite!:. Alle Anwesenden standen, als der Kaiser sprach. Se. Majestät drückte dem Grafen Mclikoff warm die Hände. Er bat dann die Minister, unbe¬ deutende Angelegenheiten selbständig zu ordnen und nicht erst seine Entscheidung nach¬ zusuchen." Dieser interessante Bericht fand in der Mehrzahl der deutschen Blätter um so mehr Beachtung und Glauben, als die „Berliner Börsen-Zeitung" schou früher in einem Briefe aus Petersburg die Mittheilung erhalten hatte, Melikoff habe „beim letzten Ministerrathe vollständig gesiegt," und man werde „in kurzer Zeit eine neue Aera betreten, die direct zur Konstitution führe", und als die „Kölnische Zeitung" am 19. April eine Depesche aus Petersburg bekommen hatte, welche gemeldet, daß Melikoff mit dem Kaiser ausgezeichnet stehe und dazu berufen sei, eine große Rolle zu spielen. Wir haben schon angedeutet, daß wir alle diese Mittheilungen von Anfang an für Fabeleien hielten, und bis jetzt ist jedes Zeichen, daß sie ganz oder theil¬ weise begründet, ausgeblieben. Heute trifft eine Meldung ein, welche die Liberalen befriedigt, morgen eine, welche sie verstimmt. Alle aber scheinen nichts als Ge¬ rüchte, ja bloße Erfindungen der betreffenden betriebsamen Korrespondenten zu sein. Bald ist Melikoff um seine Entlassung eingekommen, bald ist er oben auf. Nach den neuesten unter diesen Berichten schwankt man in den maßgebenden Kreisen in¬ folge der sich bekämpfenden Strömungen, die am Hofe herrschen. An der Spitze der einen Partei stünde der Großfürst Wladimir, der die Anwendung von Neprcssiv- mitteln wenigstens für den Verlauf des nächsten halben Jahres verlange. Die zweite Richtung vertrete Abasa, der nur Verstärkung des Reichsrathes dnrch Mitglieder wolle, die vom Lande zu wählen wären. Führer der dritten Partei sei Melikoff, welcher alles Heil von der Einberufung einer durch Bolkswahlen zu schaffenden be¬ rathenden Versammlung erhoffe. Unterliege Melikoff, so solle er durch Jgnatieff

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/304>, abgerufen am 24.07.2024.