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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zur Lhmakteristik Rarls XII. von Schweden.

und streng sachgemäßen Darstellung" den Vorzug geben werde. Doch wird man
im großen und ganzen noch heute Oxenstjcrnas Gutachten unterschreiben können.
Bei ruhiger Ueberlegung, bei gewissenhafter Berücksichtigung der, Interessen
Schwedens mußte Karl anders handeln, als er gehandelt hat. Was nützte es
ihm, August abzusetzen und die Krone einem andern zu übertragen? Sollte er
wirklich gemeint haben, daß ein König von Schwedens Gnaden das unruhige
Volk mit seinem überaus reizbaren Selbstgefühl besser zügeln könne, daß er von
einem Volke eine Unterstützung gegen Rußland zu erwarten habe, das er durch
Einsetzung eines Königs sich zum theil geradezu verfeindete? War nicht der
Kurfürst-König von Sachsen-Polen ein verächtlicher Gegner, aber kein unbe¬
deutender Bundesgenosse gegenüber Peter dem Großen? Während Karl Polen
durchzog, setzte sich Peter in den Ostseeprovinzen fest, während Karl trotzig
und unthätig in den sächsischen Winterquartieren lag, überschwemmte Peter
mit seinem Heere Polen. Und da wagt Sarauw von einem wohlüberlegten Plane
zu sprechen, den Schwedens König mit eiserner Consegueuz festhielt. Eine solche
Kriegführung ist Tollheit, die Methode können wir ihr freilich nicht streitig machen.

So müssen wir hier wie in vielen andern Fällen von einem unverzeihlicher
Starrsinn sprechen und bei aller Anerkennung der heldenmütigen Tapferkeit des
Königs doch gestehen, daß es ihm an planvoller Berechnung und strategischer
Einsicht gefehlt habe. Letzeres finden wir vor allem auch bei der wichtigsten
Unternehmung, dem Zuge in das Innere von Rußland. Unter Karls Generälen
war die Anschauung vorherrschend gewesen, daß es am richtigsten sei, geraden-
wegs nach den Ostseeprovinzen zu marschiren, die Russen aus diesen gänzlich
zu vertreiben und ihre hier gegründeten Anlagen zu zerstören. Diese Meinung,
welche die meisten Historiker sich angeeignet haben, findet bei dem Verfasser keine
Zustimmung. "Rückte Karl," so sagt er, "in die Ostseeprovinzen, so konnte er sich
allerdings mit leichter Mühe wieder in den unbestrittnen Besitz derselben setzen,
allein das, worauf es in erster Reihe ankam und wodurch allein ein nach¬
haltiger Erfolg zu erzielen war, die Schwächung der russischen Macht,
wurde dadurch nicht erreicht. Immer konnte Karl doch nicht in jenen Provinzen
stehen bleiben, und sobald er sich aus denselben entfernte, kamen die Russen
wieder, und das Spiel begann von neuem. Zur Nachgiebigkeit konnte der Zar
nur durch die Vernichtung seiner Heere oder durch eine ernstliche Bedrohung
des eignen Gebietes gezwungen werden. Das erstre hatte Karl versucht, aber
bald die große Schwierigkeit, es zu erreichen, anerkennen müssen. Denn die
Russen zogen sich überall vor ihm zurück und verwüsteten zugleich in weitem
Umkreise das eigne Land, um dem Feinde das nachrücken zu erschweren oder
gar unmöglich zu machen. Es blieb daher nur das letztre Verfahren übrig:


Zur Lhmakteristik Rarls XII. von Schweden.

und streng sachgemäßen Darstellung" den Vorzug geben werde. Doch wird man
im großen und ganzen noch heute Oxenstjcrnas Gutachten unterschreiben können.
Bei ruhiger Ueberlegung, bei gewissenhafter Berücksichtigung der, Interessen
Schwedens mußte Karl anders handeln, als er gehandelt hat. Was nützte es
ihm, August abzusetzen und die Krone einem andern zu übertragen? Sollte er
wirklich gemeint haben, daß ein König von Schwedens Gnaden das unruhige
Volk mit seinem überaus reizbaren Selbstgefühl besser zügeln könne, daß er von
einem Volke eine Unterstützung gegen Rußland zu erwarten habe, das er durch
Einsetzung eines Königs sich zum theil geradezu verfeindete? War nicht der
Kurfürst-König von Sachsen-Polen ein verächtlicher Gegner, aber kein unbe¬
deutender Bundesgenosse gegenüber Peter dem Großen? Während Karl Polen
durchzog, setzte sich Peter in den Ostseeprovinzen fest, während Karl trotzig
und unthätig in den sächsischen Winterquartieren lag, überschwemmte Peter
mit seinem Heere Polen. Und da wagt Sarauw von einem wohlüberlegten Plane
zu sprechen, den Schwedens König mit eiserner Consegueuz festhielt. Eine solche
Kriegführung ist Tollheit, die Methode können wir ihr freilich nicht streitig machen.

So müssen wir hier wie in vielen andern Fällen von einem unverzeihlicher
Starrsinn sprechen und bei aller Anerkennung der heldenmütigen Tapferkeit des
Königs doch gestehen, daß es ihm an planvoller Berechnung und strategischer
Einsicht gefehlt habe. Letzeres finden wir vor allem auch bei der wichtigsten
Unternehmung, dem Zuge in das Innere von Rußland. Unter Karls Generälen
war die Anschauung vorherrschend gewesen, daß es am richtigsten sei, geraden-
wegs nach den Ostseeprovinzen zu marschiren, die Russen aus diesen gänzlich
zu vertreiben und ihre hier gegründeten Anlagen zu zerstören. Diese Meinung,
welche die meisten Historiker sich angeeignet haben, findet bei dem Verfasser keine
Zustimmung. „Rückte Karl," so sagt er, „in die Ostseeprovinzen, so konnte er sich
allerdings mit leichter Mühe wieder in den unbestrittnen Besitz derselben setzen,
allein das, worauf es in erster Reihe ankam und wodurch allein ein nach¬
haltiger Erfolg zu erzielen war, die Schwächung der russischen Macht,
wurde dadurch nicht erreicht. Immer konnte Karl doch nicht in jenen Provinzen
stehen bleiben, und sobald er sich aus denselben entfernte, kamen die Russen
wieder, und das Spiel begann von neuem. Zur Nachgiebigkeit konnte der Zar
nur durch die Vernichtung seiner Heere oder durch eine ernstliche Bedrohung
des eignen Gebietes gezwungen werden. Das erstre hatte Karl versucht, aber
bald die große Schwierigkeit, es zu erreichen, anerkennen müssen. Denn die
Russen zogen sich überall vor ihm zurück und verwüsteten zugleich in weitem
Umkreise das eigne Land, um dem Feinde das nachrücken zu erschweren oder
gar unmöglich zu machen. Es blieb daher nur das letztre Verfahren übrig:


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[0289] Zur Lhmakteristik Rarls XII. von Schweden. und streng sachgemäßen Darstellung" den Vorzug geben werde. Doch wird man im großen und ganzen noch heute Oxenstjcrnas Gutachten unterschreiben können. Bei ruhiger Ueberlegung, bei gewissenhafter Berücksichtigung der, Interessen Schwedens mußte Karl anders handeln, als er gehandelt hat. Was nützte es ihm, August abzusetzen und die Krone einem andern zu übertragen? Sollte er wirklich gemeint haben, daß ein König von Schwedens Gnaden das unruhige Volk mit seinem überaus reizbaren Selbstgefühl besser zügeln könne, daß er von einem Volke eine Unterstützung gegen Rußland zu erwarten habe, das er durch Einsetzung eines Königs sich zum theil geradezu verfeindete? War nicht der Kurfürst-König von Sachsen-Polen ein verächtlicher Gegner, aber kein unbe¬ deutender Bundesgenosse gegenüber Peter dem Großen? Während Karl Polen durchzog, setzte sich Peter in den Ostseeprovinzen fest, während Karl trotzig und unthätig in den sächsischen Winterquartieren lag, überschwemmte Peter mit seinem Heere Polen. Und da wagt Sarauw von einem wohlüberlegten Plane zu sprechen, den Schwedens König mit eiserner Consegueuz festhielt. Eine solche Kriegführung ist Tollheit, die Methode können wir ihr freilich nicht streitig machen. So müssen wir hier wie in vielen andern Fällen von einem unverzeihlicher Starrsinn sprechen und bei aller Anerkennung der heldenmütigen Tapferkeit des Königs doch gestehen, daß es ihm an planvoller Berechnung und strategischer Einsicht gefehlt habe. Letzeres finden wir vor allem auch bei der wichtigsten Unternehmung, dem Zuge in das Innere von Rußland. Unter Karls Generälen war die Anschauung vorherrschend gewesen, daß es am richtigsten sei, geraden- wegs nach den Ostseeprovinzen zu marschiren, die Russen aus diesen gänzlich zu vertreiben und ihre hier gegründeten Anlagen zu zerstören. Diese Meinung, welche die meisten Historiker sich angeeignet haben, findet bei dem Verfasser keine Zustimmung. „Rückte Karl," so sagt er, „in die Ostseeprovinzen, so konnte er sich allerdings mit leichter Mühe wieder in den unbestrittnen Besitz derselben setzen, allein das, worauf es in erster Reihe ankam und wodurch allein ein nach¬ haltiger Erfolg zu erzielen war, die Schwächung der russischen Macht, wurde dadurch nicht erreicht. Immer konnte Karl doch nicht in jenen Provinzen stehen bleiben, und sobald er sich aus denselben entfernte, kamen die Russen wieder, und das Spiel begann von neuem. Zur Nachgiebigkeit konnte der Zar nur durch die Vernichtung seiner Heere oder durch eine ernstliche Bedrohung des eignen Gebietes gezwungen werden. Das erstre hatte Karl versucht, aber bald die große Schwierigkeit, es zu erreichen, anerkennen müssen. Denn die Russen zogen sich überall vor ihm zurück und verwüsteten zugleich in weitem Umkreise das eigne Land, um dem Feinde das nachrücken zu erschweren oder gar unmöglich zu machen. Es blieb daher nur das letztre Verfahren übrig:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/289>, abgerufen am 03.07.2024.