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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zur Charakteristik Rarls XII. von Schweden.

ein Vorrücken in das Innere des Reiches unter Mitwirkung der unzufriednen
Elemente der unter Rußlands Scepter stehenden Grenzbevölkcrung."

Sehen wir nun, wie Karl diesen Plan ausführte. Mazeppa mit seinen
Kosacken und Lewcnhaupt sollten mit dem König gegen Moskau, die lithauische
Armee nach Smolensk und die polnische Kronarmee nach Kiew vordringen,
während Lübecker die Aufgabe erhielt, in Ingermannland einzufallen und Peters¬
burg sowie die übrigen russischen Anlagen hier zu zerstören. Zugleich machte
sich auch Karl Hoffnung auf den Beistand eines zahlreichen Tatarenheeres aus
der Krim und hegte die Erwartung, daß die Türken, wenn sie sähen, wie Nu߬
land in die Enge getrieben würde, zu einem Angriff gegen dasselbe zu bewegen
sein würden. Diesen so in großen Zügen entworfnen Plan nennt der Verfasser
einen der genialsten, die je von Feldherren gefaßt worden sind. Gewiß nicht mit
Recht. Was die Hilfe von Türken, Tataren, selbst die Unterstützung Mazcppas an¬
betraf, so konnte der König kaum sicher aus sie zählen. Nicht viel anders war
es mit dem polnische,: Zuzug, da eine Stärkung des schwedischen Reiches, abge¬
sehen von der kriegerischen Untüchtigkeit des Landes, gar nicht im Interesse Polens
lag. So konnte Karl sicher nur ans die schwedischen Truppen rechne". Mit
diesen war aber wegen ihrer geringen Anzahl eine ernstliche Bedrohung des
russischen Gebiets nicht möglich, da man das eroberte nicht besetzt halten
konnte.

Peter der Große hat wohl einmal gesagt, die Siege Karls seien ohne Be¬
lang, da doch auf jeden Schweden wieder drei Russen kämen und damit hatte
er Recht. Er konnte deu Krieg in die Länge ziehen, während Karls Kräfte sich
erschöpfen mußten. Daß die Feinde gegen ihr eignes Land rücksichtslos ver¬
fahren würden, daß endlich der Widerstand ein höchst energischer war, meint
Sarauw, hätte Karl nicht voraussetzen können. Auch dies ist uicht richtig. Karl
selbst hatte schon, wie der Verfasser zugesteht, früher die russische Kampfweise
erprobt. Können wir also einen Plan, der sich nur auf Möglichkeiten und höchst
unsichere Voraussetzungen, nicht aber auf den Charakter und die Kampfweisc
des Gegners stützt, wohlüberlegt nennen? Karl mußte, wollte er die Ostsee-
provinzen seinem Lande bewahren, auf einen gefüllten Schatz und ein gut ge¬
rüstetes Heer halten und seine Gegner durch die Politik zu trennen suchen. Um¬
geben von noch nicht vollständig besiegten Feinden, das beste Heer Schwedens
im Lande eines zu verzweifelter Gegenwehr gereizten Gegners aufs Spiel zu
setzen, das ist und bleibt abenteuerliche Verwegenheit. Nutzlos hat hier Karl
die ohnehin beschränkten Mittel seines Landes vergeudet und in seinen Sturz
zugleich die Größe Schwedens unrettbar verwickelt.

Noch an andern Stellen hat Sarauw seinen Helden von dem Vorwurf


Zur Charakteristik Rarls XII. von Schweden.

ein Vorrücken in das Innere des Reiches unter Mitwirkung der unzufriednen
Elemente der unter Rußlands Scepter stehenden Grenzbevölkcrung."

Sehen wir nun, wie Karl diesen Plan ausführte. Mazeppa mit seinen
Kosacken und Lewcnhaupt sollten mit dem König gegen Moskau, die lithauische
Armee nach Smolensk und die polnische Kronarmee nach Kiew vordringen,
während Lübecker die Aufgabe erhielt, in Ingermannland einzufallen und Peters¬
burg sowie die übrigen russischen Anlagen hier zu zerstören. Zugleich machte
sich auch Karl Hoffnung auf den Beistand eines zahlreichen Tatarenheeres aus
der Krim und hegte die Erwartung, daß die Türken, wenn sie sähen, wie Nu߬
land in die Enge getrieben würde, zu einem Angriff gegen dasselbe zu bewegen
sein würden. Diesen so in großen Zügen entworfnen Plan nennt der Verfasser
einen der genialsten, die je von Feldherren gefaßt worden sind. Gewiß nicht mit
Recht. Was die Hilfe von Türken, Tataren, selbst die Unterstützung Mazcppas an¬
betraf, so konnte der König kaum sicher aus sie zählen. Nicht viel anders war
es mit dem polnische,: Zuzug, da eine Stärkung des schwedischen Reiches, abge¬
sehen von der kriegerischen Untüchtigkeit des Landes, gar nicht im Interesse Polens
lag. So konnte Karl sicher nur ans die schwedischen Truppen rechne». Mit
diesen war aber wegen ihrer geringen Anzahl eine ernstliche Bedrohung des
russischen Gebiets nicht möglich, da man das eroberte nicht besetzt halten
konnte.

Peter der Große hat wohl einmal gesagt, die Siege Karls seien ohne Be¬
lang, da doch auf jeden Schweden wieder drei Russen kämen und damit hatte
er Recht. Er konnte deu Krieg in die Länge ziehen, während Karls Kräfte sich
erschöpfen mußten. Daß die Feinde gegen ihr eignes Land rücksichtslos ver¬
fahren würden, daß endlich der Widerstand ein höchst energischer war, meint
Sarauw, hätte Karl nicht voraussetzen können. Auch dies ist uicht richtig. Karl
selbst hatte schon, wie der Verfasser zugesteht, früher die russische Kampfweise
erprobt. Können wir also einen Plan, der sich nur auf Möglichkeiten und höchst
unsichere Voraussetzungen, nicht aber auf den Charakter und die Kampfweisc
des Gegners stützt, wohlüberlegt nennen? Karl mußte, wollte er die Ostsee-
provinzen seinem Lande bewahren, auf einen gefüllten Schatz und ein gut ge¬
rüstetes Heer halten und seine Gegner durch die Politik zu trennen suchen. Um¬
geben von noch nicht vollständig besiegten Feinden, das beste Heer Schwedens
im Lande eines zu verzweifelter Gegenwehr gereizten Gegners aufs Spiel zu
setzen, das ist und bleibt abenteuerliche Verwegenheit. Nutzlos hat hier Karl
die ohnehin beschränkten Mittel seines Landes vergeudet und in seinen Sturz
zugleich die Größe Schwedens unrettbar verwickelt.

Noch an andern Stellen hat Sarauw seinen Helden von dem Vorwurf


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[0290] Zur Charakteristik Rarls XII. von Schweden. ein Vorrücken in das Innere des Reiches unter Mitwirkung der unzufriednen Elemente der unter Rußlands Scepter stehenden Grenzbevölkcrung." Sehen wir nun, wie Karl diesen Plan ausführte. Mazeppa mit seinen Kosacken und Lewcnhaupt sollten mit dem König gegen Moskau, die lithauische Armee nach Smolensk und die polnische Kronarmee nach Kiew vordringen, während Lübecker die Aufgabe erhielt, in Ingermannland einzufallen und Peters¬ burg sowie die übrigen russischen Anlagen hier zu zerstören. Zugleich machte sich auch Karl Hoffnung auf den Beistand eines zahlreichen Tatarenheeres aus der Krim und hegte die Erwartung, daß die Türken, wenn sie sähen, wie Nu߬ land in die Enge getrieben würde, zu einem Angriff gegen dasselbe zu bewegen sein würden. Diesen so in großen Zügen entworfnen Plan nennt der Verfasser einen der genialsten, die je von Feldherren gefaßt worden sind. Gewiß nicht mit Recht. Was die Hilfe von Türken, Tataren, selbst die Unterstützung Mazcppas an¬ betraf, so konnte der König kaum sicher aus sie zählen. Nicht viel anders war es mit dem polnische,: Zuzug, da eine Stärkung des schwedischen Reiches, abge¬ sehen von der kriegerischen Untüchtigkeit des Landes, gar nicht im Interesse Polens lag. So konnte Karl sicher nur ans die schwedischen Truppen rechne». Mit diesen war aber wegen ihrer geringen Anzahl eine ernstliche Bedrohung des russischen Gebiets nicht möglich, da man das eroberte nicht besetzt halten konnte. Peter der Große hat wohl einmal gesagt, die Siege Karls seien ohne Be¬ lang, da doch auf jeden Schweden wieder drei Russen kämen und damit hatte er Recht. Er konnte deu Krieg in die Länge ziehen, während Karls Kräfte sich erschöpfen mußten. Daß die Feinde gegen ihr eignes Land rücksichtslos ver¬ fahren würden, daß endlich der Widerstand ein höchst energischer war, meint Sarauw, hätte Karl nicht voraussetzen können. Auch dies ist uicht richtig. Karl selbst hatte schon, wie der Verfasser zugesteht, früher die russische Kampfweise erprobt. Können wir also einen Plan, der sich nur auf Möglichkeiten und höchst unsichere Voraussetzungen, nicht aber auf den Charakter und die Kampfweisc des Gegners stützt, wohlüberlegt nennen? Karl mußte, wollte er die Ostsee- provinzen seinem Lande bewahren, auf einen gefüllten Schatz und ein gut ge¬ rüstetes Heer halten und seine Gegner durch die Politik zu trennen suchen. Um¬ geben von noch nicht vollständig besiegten Feinden, das beste Heer Schwedens im Lande eines zu verzweifelter Gegenwehr gereizten Gegners aufs Spiel zu setzen, das ist und bleibt abenteuerliche Verwegenheit. Nutzlos hat hier Karl die ohnehin beschränkten Mittel seines Landes vergeudet und in seinen Sturz zugleich die Größe Schwedens unrettbar verwickelt. Noch an andern Stellen hat Sarauw seinen Helden von dem Vorwurf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/290>, abgerufen am 01.07.2024.