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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Calderon.

Afrika! -- und wen die Fülle reinster Poesie nicht stört, die darin aufgespeichert
ist, dem können wir verbürgen, daß ihn die Abwechslung nicht gereuen werde.

Den religiösen Dramen Calderons am nächsten verwandt ist "Das Leben
ein Traum" viäa es sueno), eines der bekanntesten Schauspiele unsers
Dichters, das in der würdigen Bearbeitung von West (Schreyvvgel) auch auf
deutschen Bühnen früher Bürgerrecht genoß. Zum ersten Male 1635 gedruckt,
stammt es aus der Frühperiode Calderons, ein Umstand, durch den unsre Be-
wundrung für diese gcdankentiefe Schöpfung gesteigert wird. Wie die Grotte,
die ein grausames Schicksal dem polnischen Prinzen von seiner Geburt an als
düstern Kerker angewiesen, in den nur spärliche Lichtstrahlen von oben dringen,
so ist auch die Erde ein Gefängniß, darin der Mensch eingekerkert ist, und die
Erscheinungen der Welt sind nichts als Schatten --- dies der symbolische Grund¬
gedanke, der einem Ausspruche des Platon entnommen, aber dadurch wesentlich
erweitert ist, daß unser Drama nachdrücklich die Pflicht betont, sich durch den
freien Willen aus dem Dunkel zu Licht und Wahrheit hindurchzuringen. Ein
Seitenstück hat dieses phantastische Schauspiel in dem gleichnamigen Auto des
Dichters, in dem der Mensch vom Fürsten der Finsterniß ins Verderben gezogen,
von der himmlischen Weisheit errettet wird.

Nicht minder treten die glänzenden Eigenschaften Calderons in einer An¬
zahl historischer oder auf historischem Hintergrunde spielender Stücke zu Tage.
Es muß erwähnt werden, daß anch Calderon wie sein großer Vorläufer Lope
de Vega weit weniger streng, als es die wissenschaftliche und leider oft zugleich
pedantische Richtung der modernen Zeit dem Dramatiker zur Pflicht macht, sich
an das geschichtliche Detail bindet, nirgends den Spanier des 17, Jahrhunderts
verleugnet und Sitten und Anschauungen seiner Zeit und seiner Nation un¬
bedenklich auf entlegne Perioden und Völker zu übertragen und Stoffe der
alten Geschichte romantisch umzubilden Pflegt. Anachronismen und geographische
Irrthümer lassen sich bei ihm ohne Mühe in gleicher Anzahl wie bei Shake¬
speare nachweisen, und es muß sehr dahinstehen, ob sie bei ihm, wie Lafond
meint,*) lediglich als ein Zugeständniß an das Publieum gelten dürfen; trotzdem
werden dieselben demjenigen, der in künstlerischen Dingen Wesentliches und Un¬
wesentliches auseinanderzuhalten weiß, den Genuß der Calderonschen Dichtungen
so wenig verkümmern wie dein Hörerkreis, für den sie entstanden.

Am glücklichsten ist Calderon ohne Frage in denjenigen historischen Stücken,
zu denen Spanien, beziehentlich Portugal ihm den Stoff lieferte. So in der
äußerst bühnenwirksamen Tragödie "Drei Vergeltungen in einer" (I^Ä8 trss ,ju-



") Dmotlwc!, vioiM ot nun't^ro, er-i-AiMs "envio an UsZioisu, ärimio ä" LMüron tradiiit
I'vsx^nyl, 201.
Calderon.

Afrika! — und wen die Fülle reinster Poesie nicht stört, die darin aufgespeichert
ist, dem können wir verbürgen, daß ihn die Abwechslung nicht gereuen werde.

Den religiösen Dramen Calderons am nächsten verwandt ist „Das Leben
ein Traum" viäa es sueno), eines der bekanntesten Schauspiele unsers
Dichters, das in der würdigen Bearbeitung von West (Schreyvvgel) auch auf
deutschen Bühnen früher Bürgerrecht genoß. Zum ersten Male 1635 gedruckt,
stammt es aus der Frühperiode Calderons, ein Umstand, durch den unsre Be-
wundrung für diese gcdankentiefe Schöpfung gesteigert wird. Wie die Grotte,
die ein grausames Schicksal dem polnischen Prinzen von seiner Geburt an als
düstern Kerker angewiesen, in den nur spärliche Lichtstrahlen von oben dringen,
so ist auch die Erde ein Gefängniß, darin der Mensch eingekerkert ist, und die
Erscheinungen der Welt sind nichts als Schatten —- dies der symbolische Grund¬
gedanke, der einem Ausspruche des Platon entnommen, aber dadurch wesentlich
erweitert ist, daß unser Drama nachdrücklich die Pflicht betont, sich durch den
freien Willen aus dem Dunkel zu Licht und Wahrheit hindurchzuringen. Ein
Seitenstück hat dieses phantastische Schauspiel in dem gleichnamigen Auto des
Dichters, in dem der Mensch vom Fürsten der Finsterniß ins Verderben gezogen,
von der himmlischen Weisheit errettet wird.

Nicht minder treten die glänzenden Eigenschaften Calderons in einer An¬
zahl historischer oder auf historischem Hintergrunde spielender Stücke zu Tage.
Es muß erwähnt werden, daß anch Calderon wie sein großer Vorläufer Lope
de Vega weit weniger streng, als es die wissenschaftliche und leider oft zugleich
pedantische Richtung der modernen Zeit dem Dramatiker zur Pflicht macht, sich
an das geschichtliche Detail bindet, nirgends den Spanier des 17, Jahrhunderts
verleugnet und Sitten und Anschauungen seiner Zeit und seiner Nation un¬
bedenklich auf entlegne Perioden und Völker zu übertragen und Stoffe der
alten Geschichte romantisch umzubilden Pflegt. Anachronismen und geographische
Irrthümer lassen sich bei ihm ohne Mühe in gleicher Anzahl wie bei Shake¬
speare nachweisen, und es muß sehr dahinstehen, ob sie bei ihm, wie Lafond
meint,*) lediglich als ein Zugeständniß an das Publieum gelten dürfen; trotzdem
werden dieselben demjenigen, der in künstlerischen Dingen Wesentliches und Un¬
wesentliches auseinanderzuhalten weiß, den Genuß der Calderonschen Dichtungen
so wenig verkümmern wie dein Hörerkreis, für den sie entstanden.

Am glücklichsten ist Calderon ohne Frage in denjenigen historischen Stücken,
zu denen Spanien, beziehentlich Portugal ihm den Stoff lieferte. So in der
äußerst bühnenwirksamen Tragödie „Drei Vergeltungen in einer" (I^Ä8 trss ,ju-



") Dmotlwc!, vioiM ot nun't^ro, er-i-AiMs »envio an UsZioisu, ärimio ä» LMüron tradiiit
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[0278] Calderon. Afrika! — und wen die Fülle reinster Poesie nicht stört, die darin aufgespeichert ist, dem können wir verbürgen, daß ihn die Abwechslung nicht gereuen werde. Den religiösen Dramen Calderons am nächsten verwandt ist „Das Leben ein Traum" viäa es sueno), eines der bekanntesten Schauspiele unsers Dichters, das in der würdigen Bearbeitung von West (Schreyvvgel) auch auf deutschen Bühnen früher Bürgerrecht genoß. Zum ersten Male 1635 gedruckt, stammt es aus der Frühperiode Calderons, ein Umstand, durch den unsre Be- wundrung für diese gcdankentiefe Schöpfung gesteigert wird. Wie die Grotte, die ein grausames Schicksal dem polnischen Prinzen von seiner Geburt an als düstern Kerker angewiesen, in den nur spärliche Lichtstrahlen von oben dringen, so ist auch die Erde ein Gefängniß, darin der Mensch eingekerkert ist, und die Erscheinungen der Welt sind nichts als Schatten —- dies der symbolische Grund¬ gedanke, der einem Ausspruche des Platon entnommen, aber dadurch wesentlich erweitert ist, daß unser Drama nachdrücklich die Pflicht betont, sich durch den freien Willen aus dem Dunkel zu Licht und Wahrheit hindurchzuringen. Ein Seitenstück hat dieses phantastische Schauspiel in dem gleichnamigen Auto des Dichters, in dem der Mensch vom Fürsten der Finsterniß ins Verderben gezogen, von der himmlischen Weisheit errettet wird. Nicht minder treten die glänzenden Eigenschaften Calderons in einer An¬ zahl historischer oder auf historischem Hintergrunde spielender Stücke zu Tage. Es muß erwähnt werden, daß anch Calderon wie sein großer Vorläufer Lope de Vega weit weniger streng, als es die wissenschaftliche und leider oft zugleich pedantische Richtung der modernen Zeit dem Dramatiker zur Pflicht macht, sich an das geschichtliche Detail bindet, nirgends den Spanier des 17, Jahrhunderts verleugnet und Sitten und Anschauungen seiner Zeit und seiner Nation un¬ bedenklich auf entlegne Perioden und Völker zu übertragen und Stoffe der alten Geschichte romantisch umzubilden Pflegt. Anachronismen und geographische Irrthümer lassen sich bei ihm ohne Mühe in gleicher Anzahl wie bei Shake¬ speare nachweisen, und es muß sehr dahinstehen, ob sie bei ihm, wie Lafond meint,*) lediglich als ein Zugeständniß an das Publieum gelten dürfen; trotzdem werden dieselben demjenigen, der in künstlerischen Dingen Wesentliches und Un¬ wesentliches auseinanderzuhalten weiß, den Genuß der Calderonschen Dichtungen so wenig verkümmern wie dein Hörerkreis, für den sie entstanden. Am glücklichsten ist Calderon ohne Frage in denjenigen historischen Stücken, zu denen Spanien, beziehentlich Portugal ihm den Stoff lieferte. So in der äußerst bühnenwirksamen Tragödie „Drei Vergeltungen in einer" (I^Ä8 trss ,ju- ") Dmotlwc!, vioiM ot nun't^ro, er-i-AiMs »envio an UsZioisu, ärimio ä» LMüron tradiiit I'vsx^nyl, 201.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/278>, abgerufen am 23.07.2024.