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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lalderon.

wir in der Schlußscene den Sarg mit Fernandos Leiche, umgeben von Don
Juan und den Christcnselaven. Alfonso, der sich der Königstochter bemächtigt
hat, fordert und erhält den Leichnam für diese, und so erfüllt sich die Prophe¬
zeiung, die Phönix zu Theil geworden, Alfonso bittet den feindlichen König,
sie Muley zur Gemahlin zu geben, "um der Freundschaft, die er pflog, wie ich
weiß, mit dem Infanten." Wiirdig des ganzen ist der erhabne Schluß, der, um
mit Schacks Worten zu reden, die ganze wunderbare Tragödie wie mit einem
Heiligenschein umleuchtet, daß sie für alle Zeit als das Höchste bestehe, was die
christliche Poesie erreicht hat.

"Welch eine Dichtung!" ruft Immermann aus; "in diesem einzigen Werke
hat sich der große katholische Dichter in eine Sphäre geschwungen, wohin der
Brite mit seinen unermeßlichen Kräften doch nicht reicht. Denn nicht um das Ge¬
schick einer großen Natur durch Schuld und Leidenschaft handelt es sich darin, sondern
um das Höchste, was es überhaupt giebt, um die Läuterung eines reinen Menschen
in das Reinste, in die Seligkeit. Diese Aufgabe ist nur einmal gelungen und
weder vor noch nach Calderon hat sich auch nur von fern eine Production dieser
Tragödie nunähern können." Wilhelm Grimm schrieb nach der Lectüre des
Dramas an seinen Bruder Jakob am 28. April 1809: "Ich bin erstaunt und
gerührt worden wie niemals von dem standhaften Prinzen: da ist ja der Mut
der griechischen Helden, die Religion der christlichen und die Herrlichkeit aller
Zeiten in einem frischlebendigen, reinmenschlichen Bilde vereinigt, das jeder Ge¬
sinnung zugehört und jedes Gemüth befriedigen muß. Es ist ordentlich abgelöst
von jeder Besonderheit und allgemein weltlich geworden. Ich setze ihn höher
als die Andacht zum Kreuz, wo uns bloß das Wunder interessirt, nicht die Menschen.
Auch die Uebersetzung ist höchst vortrefflich."*) Und Goethe, welcher das spanische
Meisterdrama 1811 auf die weimarische Bühne brachte, schrieb, nachdem er dasselbe
in Schlegels damals wohl nur erst als Manuseript vorliegender Uebertragung
gelesen, im Januar 1804 an Schiller über das Werk, das er uach Gegenstand
und Behandlung "im höchsten Grade liebenswürdig" nennt: "Ja, ich möchte
sagen: wenn die Poesie ganz von der Welt verloren ginge, so könnte man sie
aus diesem Stück wiederherstellen." Es wäre in der That sehr zu wünschen,
daß solche Urtheile aus solchem Munde zur Lectüre dieser unvergleichlichen Dich¬
tung anspornten; das deutsche Publieum unsrer Tage hat freilich sattsam zu thun,
um jede neue Dorfnovelle und jeden "ägyptischen Roman" pflichtschuldigst in
sich aufzunehmen; aber wage es den Versuch, lese es eine Novelle, einen Mode¬
roman weniger und greife einmal zu diesem Stücke -- es spielt ja auch in



*)> Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm aus der Jugendzeit, heransa,egeben
von Hera. Grimm und Gnstcw Hinrichs (Weimar, 1881) S. 157.
Grenzboten II. 1831. 35
Lalderon.

wir in der Schlußscene den Sarg mit Fernandos Leiche, umgeben von Don
Juan und den Christcnselaven. Alfonso, der sich der Königstochter bemächtigt
hat, fordert und erhält den Leichnam für diese, und so erfüllt sich die Prophe¬
zeiung, die Phönix zu Theil geworden, Alfonso bittet den feindlichen König,
sie Muley zur Gemahlin zu geben, „um der Freundschaft, die er pflog, wie ich
weiß, mit dem Infanten." Wiirdig des ganzen ist der erhabne Schluß, der, um
mit Schacks Worten zu reden, die ganze wunderbare Tragödie wie mit einem
Heiligenschein umleuchtet, daß sie für alle Zeit als das Höchste bestehe, was die
christliche Poesie erreicht hat.

„Welch eine Dichtung!" ruft Immermann aus; „in diesem einzigen Werke
hat sich der große katholische Dichter in eine Sphäre geschwungen, wohin der
Brite mit seinen unermeßlichen Kräften doch nicht reicht. Denn nicht um das Ge¬
schick einer großen Natur durch Schuld und Leidenschaft handelt es sich darin, sondern
um das Höchste, was es überhaupt giebt, um die Läuterung eines reinen Menschen
in das Reinste, in die Seligkeit. Diese Aufgabe ist nur einmal gelungen und
weder vor noch nach Calderon hat sich auch nur von fern eine Production dieser
Tragödie nunähern können." Wilhelm Grimm schrieb nach der Lectüre des
Dramas an seinen Bruder Jakob am 28. April 1809: „Ich bin erstaunt und
gerührt worden wie niemals von dem standhaften Prinzen: da ist ja der Mut
der griechischen Helden, die Religion der christlichen und die Herrlichkeit aller
Zeiten in einem frischlebendigen, reinmenschlichen Bilde vereinigt, das jeder Ge¬
sinnung zugehört und jedes Gemüth befriedigen muß. Es ist ordentlich abgelöst
von jeder Besonderheit und allgemein weltlich geworden. Ich setze ihn höher
als die Andacht zum Kreuz, wo uns bloß das Wunder interessirt, nicht die Menschen.
Auch die Uebersetzung ist höchst vortrefflich."*) Und Goethe, welcher das spanische
Meisterdrama 1811 auf die weimarische Bühne brachte, schrieb, nachdem er dasselbe
in Schlegels damals wohl nur erst als Manuseript vorliegender Uebertragung
gelesen, im Januar 1804 an Schiller über das Werk, das er uach Gegenstand
und Behandlung „im höchsten Grade liebenswürdig" nennt: „Ja, ich möchte
sagen: wenn die Poesie ganz von der Welt verloren ginge, so könnte man sie
aus diesem Stück wiederherstellen." Es wäre in der That sehr zu wünschen,
daß solche Urtheile aus solchem Munde zur Lectüre dieser unvergleichlichen Dich¬
tung anspornten; das deutsche Publieum unsrer Tage hat freilich sattsam zu thun,
um jede neue Dorfnovelle und jeden „ägyptischen Roman" pflichtschuldigst in
sich aufzunehmen; aber wage es den Versuch, lese es eine Novelle, einen Mode¬
roman weniger und greife einmal zu diesem Stücke — es spielt ja auch in



*)> Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm aus der Jugendzeit, heransa,egeben
von Hera. Grimm und Gnstcw Hinrichs (Weimar, 1881) S. 157.
Grenzboten II. 1831. 35
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[0277] Lalderon. wir in der Schlußscene den Sarg mit Fernandos Leiche, umgeben von Don Juan und den Christcnselaven. Alfonso, der sich der Königstochter bemächtigt hat, fordert und erhält den Leichnam für diese, und so erfüllt sich die Prophe¬ zeiung, die Phönix zu Theil geworden, Alfonso bittet den feindlichen König, sie Muley zur Gemahlin zu geben, „um der Freundschaft, die er pflog, wie ich weiß, mit dem Infanten." Wiirdig des ganzen ist der erhabne Schluß, der, um mit Schacks Worten zu reden, die ganze wunderbare Tragödie wie mit einem Heiligenschein umleuchtet, daß sie für alle Zeit als das Höchste bestehe, was die christliche Poesie erreicht hat. „Welch eine Dichtung!" ruft Immermann aus; „in diesem einzigen Werke hat sich der große katholische Dichter in eine Sphäre geschwungen, wohin der Brite mit seinen unermeßlichen Kräften doch nicht reicht. Denn nicht um das Ge¬ schick einer großen Natur durch Schuld und Leidenschaft handelt es sich darin, sondern um das Höchste, was es überhaupt giebt, um die Läuterung eines reinen Menschen in das Reinste, in die Seligkeit. Diese Aufgabe ist nur einmal gelungen und weder vor noch nach Calderon hat sich auch nur von fern eine Production dieser Tragödie nunähern können." Wilhelm Grimm schrieb nach der Lectüre des Dramas an seinen Bruder Jakob am 28. April 1809: „Ich bin erstaunt und gerührt worden wie niemals von dem standhaften Prinzen: da ist ja der Mut der griechischen Helden, die Religion der christlichen und die Herrlichkeit aller Zeiten in einem frischlebendigen, reinmenschlichen Bilde vereinigt, das jeder Ge¬ sinnung zugehört und jedes Gemüth befriedigen muß. Es ist ordentlich abgelöst von jeder Besonderheit und allgemein weltlich geworden. Ich setze ihn höher als die Andacht zum Kreuz, wo uns bloß das Wunder interessirt, nicht die Menschen. Auch die Uebersetzung ist höchst vortrefflich."*) Und Goethe, welcher das spanische Meisterdrama 1811 auf die weimarische Bühne brachte, schrieb, nachdem er dasselbe in Schlegels damals wohl nur erst als Manuseript vorliegender Uebertragung gelesen, im Januar 1804 an Schiller über das Werk, das er uach Gegenstand und Behandlung „im höchsten Grade liebenswürdig" nennt: „Ja, ich möchte sagen: wenn die Poesie ganz von der Welt verloren ginge, so könnte man sie aus diesem Stück wiederherstellen." Es wäre in der That sehr zu wünschen, daß solche Urtheile aus solchem Munde zur Lectüre dieser unvergleichlichen Dich¬ tung anspornten; das deutsche Publieum unsrer Tage hat freilich sattsam zu thun, um jede neue Dorfnovelle und jeden „ägyptischen Roman" pflichtschuldigst in sich aufzunehmen; aber wage es den Versuch, lese es eine Novelle, einen Mode¬ roman weniger und greife einmal zu diesem Stücke — es spielt ja auch in *)> Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm aus der Jugendzeit, heransa,egeben von Hera. Grimm und Gnstcw Hinrichs (Weimar, 1881) S. 157. Grenzboten II. 1831. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/277>, abgerufen am 23.07.2024.