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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der Streit um Tunis.

öffentlichen Gebäuden sind der Palast des Bey, die neue Kaserne, die Börse,
das von der französischen Regierung unterstützte Gymnasium, einige Bäder und
die große Wasserleitung zu nennen, welche die ganze Stadt mit Wasser versorgt.
Ueber die Zahl der Einwohner ist man wie in allen orientalischen Städten im
Ungewissen. Während einige Reisende sie auf 100 000, ja auf 150 000 angeben,
schätzt der französische Consul Pellissier sie nur auf etwa 70 000. Fast ein
Viertel davon kommt auf die Juden. Unter den 6000 Europäern befinden sich
4000 Malteser, die hauptsächlich vom Fuhrwerk und vom Schmuggel leben. Die
Sprache der Börse und der kaufmännischen Comptoire ist die italienische. Der
größte Theil der Einwohner ist in den Sammet-, Seiden-, Tuch- und Fez-Fabriken,
der Rest meist mit dem Handel beschäftigt, der von hier aus mit den Mittcl-
mecrhäfen, besonders mit Genua und Marseille, Alexandrien und Konstantinopel
sowie mit Jnnerafrika betrieben wird.

Der Bey besucht nur selten seinen Palast in der Stadt. Seine amtliche
Residenz ist das Bardo, ein Schloß, das etwa eine Meile westlich von Tunis
liegt und ein Bild orientalischen Glanzes, aber auch orientalischen Verfalles
bietet. Der schmale Canal der Goletta, von den Arabern Bogaz genannt, welcher
sich westlich von Tunis bis an den Golf erstreckt, ist so flach, daß selbst kleine
Fahrzeuge häufig im Schlamme stecken bleiben, und da alle Abzugsschleußen in
ihn münden, so wird er im Juli und August, der Zeit der größten Hitze, nicht
selten zum übelriechenden und tödtliche Miasmen aushauchenden Sumpfe. Zwischen
dieser Salzlagune und dem Golfe liegt die befestigte Stadt Goletta, arabisch Alk
El Wad, der Hafenplatz von Tunis, der mit der Hauptstadt durch eine Eisen-
bahn verbunden ist, mehrere Werften hat und etwa 6000 Einwohner zählt. Die
Europäer wohnen in den untern Quartieren, wo in der nassen Jahreszeit, unserm
Winter, der Schmutz, in der trocknen der Staub eine große Rolle spielt. Die
Umgegend von Tunis und Goletta ist dürr und schattenlos, nur einige Gruppen
von Olivenbäumen vertreten die Pflanzenwelt. Mit tüchtigen Dampfbaggcrn und
einigen Molen ließe sich wieder ein guter Hafen, ja ein Kriegshafen herstellen.
Die Küste wird durch eine Reihe von Batterien, die in ziemlich ordentlichem
Zustande sind, und durch ein Fort mit einer Besatzung von regulären Truppen
vertheidigt. Unter dem Fort zieht sich ein Dorf mit europäischen Schenken, den
Magazinen für die Marine, der Mauth und einem Bagno für Galeerensträf¬
linge hin. Die größern Kauffahrteischiffe ankern außerhalb des Canals im Golfe
unter den Festungswerken, die Kriegsschiffe auf der Rhede draußen, fast der Stelle
gegenüber, wo einst Kathago lag, die alte Beherrscherin des Mittelmeeres. Sie
sind bei starken Ost- und Nordvstwindeu in steter Gefahr, auf den Strand zu
treiben.


Der Streit um Tunis.

öffentlichen Gebäuden sind der Palast des Bey, die neue Kaserne, die Börse,
das von der französischen Regierung unterstützte Gymnasium, einige Bäder und
die große Wasserleitung zu nennen, welche die ganze Stadt mit Wasser versorgt.
Ueber die Zahl der Einwohner ist man wie in allen orientalischen Städten im
Ungewissen. Während einige Reisende sie auf 100 000, ja auf 150 000 angeben,
schätzt der französische Consul Pellissier sie nur auf etwa 70 000. Fast ein
Viertel davon kommt auf die Juden. Unter den 6000 Europäern befinden sich
4000 Malteser, die hauptsächlich vom Fuhrwerk und vom Schmuggel leben. Die
Sprache der Börse und der kaufmännischen Comptoire ist die italienische. Der
größte Theil der Einwohner ist in den Sammet-, Seiden-, Tuch- und Fez-Fabriken,
der Rest meist mit dem Handel beschäftigt, der von hier aus mit den Mittcl-
mecrhäfen, besonders mit Genua und Marseille, Alexandrien und Konstantinopel
sowie mit Jnnerafrika betrieben wird.

Der Bey besucht nur selten seinen Palast in der Stadt. Seine amtliche
Residenz ist das Bardo, ein Schloß, das etwa eine Meile westlich von Tunis
liegt und ein Bild orientalischen Glanzes, aber auch orientalischen Verfalles
bietet. Der schmale Canal der Goletta, von den Arabern Bogaz genannt, welcher
sich westlich von Tunis bis an den Golf erstreckt, ist so flach, daß selbst kleine
Fahrzeuge häufig im Schlamme stecken bleiben, und da alle Abzugsschleußen in
ihn münden, so wird er im Juli und August, der Zeit der größten Hitze, nicht
selten zum übelriechenden und tödtliche Miasmen aushauchenden Sumpfe. Zwischen
dieser Salzlagune und dem Golfe liegt die befestigte Stadt Goletta, arabisch Alk
El Wad, der Hafenplatz von Tunis, der mit der Hauptstadt durch eine Eisen-
bahn verbunden ist, mehrere Werften hat und etwa 6000 Einwohner zählt. Die
Europäer wohnen in den untern Quartieren, wo in der nassen Jahreszeit, unserm
Winter, der Schmutz, in der trocknen der Staub eine große Rolle spielt. Die
Umgegend von Tunis und Goletta ist dürr und schattenlos, nur einige Gruppen
von Olivenbäumen vertreten die Pflanzenwelt. Mit tüchtigen Dampfbaggcrn und
einigen Molen ließe sich wieder ein guter Hafen, ja ein Kriegshafen herstellen.
Die Küste wird durch eine Reihe von Batterien, die in ziemlich ordentlichem
Zustande sind, und durch ein Fort mit einer Besatzung von regulären Truppen
vertheidigt. Unter dem Fort zieht sich ein Dorf mit europäischen Schenken, den
Magazinen für die Marine, der Mauth und einem Bagno für Galeerensträf¬
linge hin. Die größern Kauffahrteischiffe ankern außerhalb des Canals im Golfe
unter den Festungswerken, die Kriegsschiffe auf der Rhede draußen, fast der Stelle
gegenüber, wo einst Kathago lag, die alte Beherrscherin des Mittelmeeres. Sie
sind bei starken Ost- und Nordvstwindeu in steter Gefahr, auf den Strand zu
treiben.


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[0262] Der Streit um Tunis. öffentlichen Gebäuden sind der Palast des Bey, die neue Kaserne, die Börse, das von der französischen Regierung unterstützte Gymnasium, einige Bäder und die große Wasserleitung zu nennen, welche die ganze Stadt mit Wasser versorgt. Ueber die Zahl der Einwohner ist man wie in allen orientalischen Städten im Ungewissen. Während einige Reisende sie auf 100 000, ja auf 150 000 angeben, schätzt der französische Consul Pellissier sie nur auf etwa 70 000. Fast ein Viertel davon kommt auf die Juden. Unter den 6000 Europäern befinden sich 4000 Malteser, die hauptsächlich vom Fuhrwerk und vom Schmuggel leben. Die Sprache der Börse und der kaufmännischen Comptoire ist die italienische. Der größte Theil der Einwohner ist in den Sammet-, Seiden-, Tuch- und Fez-Fabriken, der Rest meist mit dem Handel beschäftigt, der von hier aus mit den Mittcl- mecrhäfen, besonders mit Genua und Marseille, Alexandrien und Konstantinopel sowie mit Jnnerafrika betrieben wird. Der Bey besucht nur selten seinen Palast in der Stadt. Seine amtliche Residenz ist das Bardo, ein Schloß, das etwa eine Meile westlich von Tunis liegt und ein Bild orientalischen Glanzes, aber auch orientalischen Verfalles bietet. Der schmale Canal der Goletta, von den Arabern Bogaz genannt, welcher sich westlich von Tunis bis an den Golf erstreckt, ist so flach, daß selbst kleine Fahrzeuge häufig im Schlamme stecken bleiben, und da alle Abzugsschleußen in ihn münden, so wird er im Juli und August, der Zeit der größten Hitze, nicht selten zum übelriechenden und tödtliche Miasmen aushauchenden Sumpfe. Zwischen dieser Salzlagune und dem Golfe liegt die befestigte Stadt Goletta, arabisch Alk El Wad, der Hafenplatz von Tunis, der mit der Hauptstadt durch eine Eisen- bahn verbunden ist, mehrere Werften hat und etwa 6000 Einwohner zählt. Die Europäer wohnen in den untern Quartieren, wo in der nassen Jahreszeit, unserm Winter, der Schmutz, in der trocknen der Staub eine große Rolle spielt. Die Umgegend von Tunis und Goletta ist dürr und schattenlos, nur einige Gruppen von Olivenbäumen vertreten die Pflanzenwelt. Mit tüchtigen Dampfbaggcrn und einigen Molen ließe sich wieder ein guter Hafen, ja ein Kriegshafen herstellen. Die Küste wird durch eine Reihe von Batterien, die in ziemlich ordentlichem Zustande sind, und durch ein Fort mit einer Besatzung von regulären Truppen vertheidigt. Unter dem Fort zieht sich ein Dorf mit europäischen Schenken, den Magazinen für die Marine, der Mauth und einem Bagno für Galeerensträf¬ linge hin. Die größern Kauffahrteischiffe ankern außerhalb des Canals im Golfe unter den Festungswerken, die Kriegsschiffe auf der Rhede draußen, fast der Stelle gegenüber, wo einst Kathago lag, die alte Beherrscherin des Mittelmeeres. Sie sind bei starken Ost- und Nordvstwindeu in steter Gefahr, auf den Strand zu treiben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/262>, abgerufen am 01.10.2024.