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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der Streit um Tunis.

Von andern Städten Tnnesiens nennen wir kurz noch folgende: Susa an
der Küste im Süden mit 8000 Einwohnern, die vorzüglich Oel aus den Oliven-
gärtei: der Umgebung ausführen, Mistir oder Mvnastir am Golfe von Hammamat
mit 12 000 Einwohnern, die einen lebhaften Handel mit Landesproducten treiben,
Sfales, ebenfalls eine Seestadt, mit 18000 Einwohnern und bedeutendem Handel,
Bizerta, Kabes, das alte Talaza, dessen Ruinen für seine ehemalige Große sprechen,
ferner Kairunn, das einst die Hauptstadt der Muslime in Nordafrika war und
noch jetzt mit seinen 20- bis 30 000 Einwohnern nächst Tunis der wichtigste
Ort des Veyliks ist. Kaiman ist einer der Hauptstapelplätze der Karawanen,
die den Verkehr mit dem Innern von Afrika vermitteln, und gilt für einen
heiligen Ort, weshalb Juden und Christen hier nicht wohnen dürfen. Stark
befestigt, hat es breite Straßen und wohlgebaute Häuser. Die mit einem un¬
gewöhnlich hohen Minaret geschmückte Hauptmoschee hat eine Decke, die von
300 Granitsäulen getragen wird. Der Hauptort im Süden des Landes ist das
wenig bekannte Tozer oder Tuzer, das so groß wie Algier sein soll und vor¬
züglich Wollenwaaren und Datteln ausführt. Endlich mag noch der kleinen
Stadt El Kef gedacht werden, weil sie das nächste Operationsobjeet der in
Tunesien eingerückten Franzosen bildete und einer der religiösen und militärischen
Knotenpunkte des Landes ist. Es liegt auf der Hälfte des Thalwegs zwischen
der Grenze von Algerien und dem Medjerda-Becken, am Djebel El Achmesa,
galt den Eingebornen bisher als nnneinnehmbare Festung und wird als heilig
betrachtet. Der Glaube an seine Uneinnehmbarkeit wird jetzt geschwunden sein,
da die Stadt sich dem General Lorgerot ohne Gegenwehr ergeben hat; er stand
aber überhaupt auf schwachen Füßen. Die Stadt liegt zwar auf einem Felsen,
hat eine dicke Mauer mit Bastionen und wird von einer Citadelle vertheidigt.
Aber die Mauer ist verfallen, zeigt breite Lücken, indem die Steine herabgebröckelt
sind, und würde, da Vorwerke fehlen, von europäischer Artillerie in wenigen
Stunden zusammengeschossen worden sein. Ueberdies aber wird die Stadt, ob¬
wohl sie hoch liegt, von dem benachbarten Berge Kaßr Er Rula beherrscht, der
nicht befestigt war, so daß die Franzosen dort leicht Fuß hätten fassen können.

Die Geschichte von Tunis geht bis zum Jahre 1575 in der Geschichte der
Berberei auf. Bekannt ist der Kreuzzug Ludwigs IX. von Frankreich und die
Eroberung des Landes durch Kaiser Karl V. 1575 nahm der türkische Admiral
Sinan Pascha dasselbe für die Pforte in Besitz, behielt es aber als deren Lehns¬
mann. Die weitre Geschichte des kleinen Staates war eine Reihe von Militär¬
aufständen und Palastrevolutionen, die meist mit Ermordung des obersten Ge¬
walthabers endigten. Ein Dei, der ganz in den Händen des aus hohen Offizieren
zusammengesetzten Divans war, und neben dein sich allmählich der Bey, Ursprung-


Der Streit um Tunis.

Von andern Städten Tnnesiens nennen wir kurz noch folgende: Susa an
der Küste im Süden mit 8000 Einwohnern, die vorzüglich Oel aus den Oliven-
gärtei: der Umgebung ausführen, Mistir oder Mvnastir am Golfe von Hammamat
mit 12 000 Einwohnern, die einen lebhaften Handel mit Landesproducten treiben,
Sfales, ebenfalls eine Seestadt, mit 18000 Einwohnern und bedeutendem Handel,
Bizerta, Kabes, das alte Talaza, dessen Ruinen für seine ehemalige Große sprechen,
ferner Kairunn, das einst die Hauptstadt der Muslime in Nordafrika war und
noch jetzt mit seinen 20- bis 30 000 Einwohnern nächst Tunis der wichtigste
Ort des Veyliks ist. Kaiman ist einer der Hauptstapelplätze der Karawanen,
die den Verkehr mit dem Innern von Afrika vermitteln, und gilt für einen
heiligen Ort, weshalb Juden und Christen hier nicht wohnen dürfen. Stark
befestigt, hat es breite Straßen und wohlgebaute Häuser. Die mit einem un¬
gewöhnlich hohen Minaret geschmückte Hauptmoschee hat eine Decke, die von
300 Granitsäulen getragen wird. Der Hauptort im Süden des Landes ist das
wenig bekannte Tozer oder Tuzer, das so groß wie Algier sein soll und vor¬
züglich Wollenwaaren und Datteln ausführt. Endlich mag noch der kleinen
Stadt El Kef gedacht werden, weil sie das nächste Operationsobjeet der in
Tunesien eingerückten Franzosen bildete und einer der religiösen und militärischen
Knotenpunkte des Landes ist. Es liegt auf der Hälfte des Thalwegs zwischen
der Grenze von Algerien und dem Medjerda-Becken, am Djebel El Achmesa,
galt den Eingebornen bisher als nnneinnehmbare Festung und wird als heilig
betrachtet. Der Glaube an seine Uneinnehmbarkeit wird jetzt geschwunden sein,
da die Stadt sich dem General Lorgerot ohne Gegenwehr ergeben hat; er stand
aber überhaupt auf schwachen Füßen. Die Stadt liegt zwar auf einem Felsen,
hat eine dicke Mauer mit Bastionen und wird von einer Citadelle vertheidigt.
Aber die Mauer ist verfallen, zeigt breite Lücken, indem die Steine herabgebröckelt
sind, und würde, da Vorwerke fehlen, von europäischer Artillerie in wenigen
Stunden zusammengeschossen worden sein. Ueberdies aber wird die Stadt, ob¬
wohl sie hoch liegt, von dem benachbarten Berge Kaßr Er Rula beherrscht, der
nicht befestigt war, so daß die Franzosen dort leicht Fuß hätten fassen können.

Die Geschichte von Tunis geht bis zum Jahre 1575 in der Geschichte der
Berberei auf. Bekannt ist der Kreuzzug Ludwigs IX. von Frankreich und die
Eroberung des Landes durch Kaiser Karl V. 1575 nahm der türkische Admiral
Sinan Pascha dasselbe für die Pforte in Besitz, behielt es aber als deren Lehns¬
mann. Die weitre Geschichte des kleinen Staates war eine Reihe von Militär¬
aufständen und Palastrevolutionen, die meist mit Ermordung des obersten Ge¬
walthabers endigten. Ein Dei, der ganz in den Händen des aus hohen Offizieren
zusammengesetzten Divans war, und neben dein sich allmählich der Bey, Ursprung-


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[0263] Der Streit um Tunis. Von andern Städten Tnnesiens nennen wir kurz noch folgende: Susa an der Küste im Süden mit 8000 Einwohnern, die vorzüglich Oel aus den Oliven- gärtei: der Umgebung ausführen, Mistir oder Mvnastir am Golfe von Hammamat mit 12 000 Einwohnern, die einen lebhaften Handel mit Landesproducten treiben, Sfales, ebenfalls eine Seestadt, mit 18000 Einwohnern und bedeutendem Handel, Bizerta, Kabes, das alte Talaza, dessen Ruinen für seine ehemalige Große sprechen, ferner Kairunn, das einst die Hauptstadt der Muslime in Nordafrika war und noch jetzt mit seinen 20- bis 30 000 Einwohnern nächst Tunis der wichtigste Ort des Veyliks ist. Kaiman ist einer der Hauptstapelplätze der Karawanen, die den Verkehr mit dem Innern von Afrika vermitteln, und gilt für einen heiligen Ort, weshalb Juden und Christen hier nicht wohnen dürfen. Stark befestigt, hat es breite Straßen und wohlgebaute Häuser. Die mit einem un¬ gewöhnlich hohen Minaret geschmückte Hauptmoschee hat eine Decke, die von 300 Granitsäulen getragen wird. Der Hauptort im Süden des Landes ist das wenig bekannte Tozer oder Tuzer, das so groß wie Algier sein soll und vor¬ züglich Wollenwaaren und Datteln ausführt. Endlich mag noch der kleinen Stadt El Kef gedacht werden, weil sie das nächste Operationsobjeet der in Tunesien eingerückten Franzosen bildete und einer der religiösen und militärischen Knotenpunkte des Landes ist. Es liegt auf der Hälfte des Thalwegs zwischen der Grenze von Algerien und dem Medjerda-Becken, am Djebel El Achmesa, galt den Eingebornen bisher als nnneinnehmbare Festung und wird als heilig betrachtet. Der Glaube an seine Uneinnehmbarkeit wird jetzt geschwunden sein, da die Stadt sich dem General Lorgerot ohne Gegenwehr ergeben hat; er stand aber überhaupt auf schwachen Füßen. Die Stadt liegt zwar auf einem Felsen, hat eine dicke Mauer mit Bastionen und wird von einer Citadelle vertheidigt. Aber die Mauer ist verfallen, zeigt breite Lücken, indem die Steine herabgebröckelt sind, und würde, da Vorwerke fehlen, von europäischer Artillerie in wenigen Stunden zusammengeschossen worden sein. Ueberdies aber wird die Stadt, ob¬ wohl sie hoch liegt, von dem benachbarten Berge Kaßr Er Rula beherrscht, der nicht befestigt war, so daß die Franzosen dort leicht Fuß hätten fassen können. Die Geschichte von Tunis geht bis zum Jahre 1575 in der Geschichte der Berberei auf. Bekannt ist der Kreuzzug Ludwigs IX. von Frankreich und die Eroberung des Landes durch Kaiser Karl V. 1575 nahm der türkische Admiral Sinan Pascha dasselbe für die Pforte in Besitz, behielt es aber als deren Lehns¬ mann. Die weitre Geschichte des kleinen Staates war eine Reihe von Militär¬ aufständen und Palastrevolutionen, die meist mit Ermordung des obersten Ge¬ walthabers endigten. Ein Dei, der ganz in den Händen des aus hohen Offizieren zusammengesetzten Divans war, und neben dein sich allmählich der Bey, Ursprung-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/263>, abgerufen am 29.09.2024.