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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Erinnerungen an Heinrich Leo.

noch zweier charakteristischer Schreiben aus den letzten Jahren gedacht. Am
28. März 1863 schrieb er:

Ich gehöre zwar nicht zu den Leuten, die gleich die Seekrankheit bekommen,
sobald das Auge uicht in irgend einer Hinsicht feste Anhaltspunkte sieht; aber hübsch
und wohlthuend ist es auch für mich, wenn ich noch einige Menschen erblicke, die
etwas von mir wissen wollen, nur dürfen Sie gerade mir gegenüber nicht so be¬
sondern Werth auf mein Leisten legen. Was ich in meinem Leben geleistet oder
nicht geleistet habe, ist, da ich ein Mensch von mehr unmittelbaren Trieben bin,
so wenig mein Verdienst oder mein Versehen, als es der Blume Verdienst oder
Verschen ist, wenn sie gut oder schlecht riecht, oder des Holzes, wenn es brüchig
oder fest ist. Ich führe mein Leben als ein geistig strömendes, -- daß es vom
Herrn kommt, weiß ich, -- daß es zum Herrn führt, hoffe ich, aber wenn das sein
soll, muß es für meinen Tod meinen Glauben als Filtrircmstalt wirken lassen,
was sich unterwegens sehr nngöttliches in großer Menge der strömenden Seele auch
eingemischt hat. In diesem Winter habe ich innerlichst in großem Jubel, obwohl
bei beginnender Anlage zur Kränklichkeit, verlebt; denn daß, wenn aus uns Preußen
etwas ordentliches werden soll, die 1843 oder eigentlich schon 1815 eingebrockte
liberale Suppe bis auf den letzen Tropfen ausgelöffelt werden muß, war mir längst
klar. Jede gewaltsame einseitige Abmachung treibt nur momentan das Uebel zurück
und verstärkt es für wiederkehrenden Kampf, der 1843 und 49 viel zu früh ab¬
gebrochen worden ist. Und nun sind wir mitten in diesem entscheidenden Kampf,
den Preußen ganz allein in innerster Tiefe führt, während ringsum alle Nachbarn
das Uebel ohne Bewußtsein darüber immer tiefer fressen lassen. Besteht Preußen
diesen Kampf ehrlich und bis in die tiefste Tiefe zum Siege, denn ist es in hundert
Jahren Herrin der Erde. Denn daß alle politischen, mercantilen, natur- und Historien-
wissenschaftlichen Strömungen auf größere Bildungen und Solidaritäten hindrängen,
muß dem blödesten Auge klar sein. Schon jetzt ist Europa fast ein Status -- die
Grundlagen eines christlichen Weltreichs wachsen unbewußt in diesen Dingen, eines
christlichen Weltreichs, wie unsre größten Kaiser es träumten und mit dem Schwerte
gründen wollten, was aber nur im Geiste, nur im wahrhaft christlichen Geiste und
mit Achtung vor den Völkerindividualitätcn erwachsen kann. Siegen wir in diesem
Kampfe, so freut es mich bewußt, den Anfang desselben geschaut zu haben; machen
wir in demselben bankerutt, so danke ich wenigstens Gott, daß er mich die letzten
Zeiten Reste und Trümmer des alten römischen Reichs deutscher Nation hat sehen
lassen, welches ein tausendjähriges heiliges war, weil es wenigstens dem Namen
Christi allzeit die Ehre gegeben hat, als in dem allein Heil zu finden ist.

Ueber eine im Jahre 1870 erschienene Schrift "Für die kleinen Universitäten"
äußerte er:

Dieselbe wird einigermaßen zur Besinnung bringen, doch schwerlich zu Aende¬
rung des Abscheus im Ganzen, was ja darauf auszugehen scheint, wie überall in


Erinnerungen an Heinrich Leo.

noch zweier charakteristischer Schreiben aus den letzten Jahren gedacht. Am
28. März 1863 schrieb er:

Ich gehöre zwar nicht zu den Leuten, die gleich die Seekrankheit bekommen,
sobald das Auge uicht in irgend einer Hinsicht feste Anhaltspunkte sieht; aber hübsch
und wohlthuend ist es auch für mich, wenn ich noch einige Menschen erblicke, die
etwas von mir wissen wollen, nur dürfen Sie gerade mir gegenüber nicht so be¬
sondern Werth auf mein Leisten legen. Was ich in meinem Leben geleistet oder
nicht geleistet habe, ist, da ich ein Mensch von mehr unmittelbaren Trieben bin,
so wenig mein Verdienst oder mein Versehen, als es der Blume Verdienst oder
Verschen ist, wenn sie gut oder schlecht riecht, oder des Holzes, wenn es brüchig
oder fest ist. Ich führe mein Leben als ein geistig strömendes, — daß es vom
Herrn kommt, weiß ich, — daß es zum Herrn führt, hoffe ich, aber wenn das sein
soll, muß es für meinen Tod meinen Glauben als Filtrircmstalt wirken lassen,
was sich unterwegens sehr nngöttliches in großer Menge der strömenden Seele auch
eingemischt hat. In diesem Winter habe ich innerlichst in großem Jubel, obwohl
bei beginnender Anlage zur Kränklichkeit, verlebt; denn daß, wenn aus uns Preußen
etwas ordentliches werden soll, die 1843 oder eigentlich schon 1815 eingebrockte
liberale Suppe bis auf den letzen Tropfen ausgelöffelt werden muß, war mir längst
klar. Jede gewaltsame einseitige Abmachung treibt nur momentan das Uebel zurück
und verstärkt es für wiederkehrenden Kampf, der 1843 und 49 viel zu früh ab¬
gebrochen worden ist. Und nun sind wir mitten in diesem entscheidenden Kampf,
den Preußen ganz allein in innerster Tiefe führt, während ringsum alle Nachbarn
das Uebel ohne Bewußtsein darüber immer tiefer fressen lassen. Besteht Preußen
diesen Kampf ehrlich und bis in die tiefste Tiefe zum Siege, denn ist es in hundert
Jahren Herrin der Erde. Denn daß alle politischen, mercantilen, natur- und Historien-
wissenschaftlichen Strömungen auf größere Bildungen und Solidaritäten hindrängen,
muß dem blödesten Auge klar sein. Schon jetzt ist Europa fast ein Status — die
Grundlagen eines christlichen Weltreichs wachsen unbewußt in diesen Dingen, eines
christlichen Weltreichs, wie unsre größten Kaiser es träumten und mit dem Schwerte
gründen wollten, was aber nur im Geiste, nur im wahrhaft christlichen Geiste und
mit Achtung vor den Völkerindividualitätcn erwachsen kann. Siegen wir in diesem
Kampfe, so freut es mich bewußt, den Anfang desselben geschaut zu haben; machen
wir in demselben bankerutt, so danke ich wenigstens Gott, daß er mich die letzten
Zeiten Reste und Trümmer des alten römischen Reichs deutscher Nation hat sehen
lassen, welches ein tausendjähriges heiliges war, weil es wenigstens dem Namen
Christi allzeit die Ehre gegeben hat, als in dem allein Heil zu finden ist.

Ueber eine im Jahre 1870 erschienene Schrift „Für die kleinen Universitäten"
äußerte er:

Dieselbe wird einigermaßen zur Besinnung bringen, doch schwerlich zu Aende¬
rung des Abscheus im Ganzen, was ja darauf auszugehen scheint, wie überall in


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[0225] Erinnerungen an Heinrich Leo. noch zweier charakteristischer Schreiben aus den letzten Jahren gedacht. Am 28. März 1863 schrieb er: Ich gehöre zwar nicht zu den Leuten, die gleich die Seekrankheit bekommen, sobald das Auge uicht in irgend einer Hinsicht feste Anhaltspunkte sieht; aber hübsch und wohlthuend ist es auch für mich, wenn ich noch einige Menschen erblicke, die etwas von mir wissen wollen, nur dürfen Sie gerade mir gegenüber nicht so be¬ sondern Werth auf mein Leisten legen. Was ich in meinem Leben geleistet oder nicht geleistet habe, ist, da ich ein Mensch von mehr unmittelbaren Trieben bin, so wenig mein Verdienst oder mein Versehen, als es der Blume Verdienst oder Verschen ist, wenn sie gut oder schlecht riecht, oder des Holzes, wenn es brüchig oder fest ist. Ich führe mein Leben als ein geistig strömendes, — daß es vom Herrn kommt, weiß ich, — daß es zum Herrn führt, hoffe ich, aber wenn das sein soll, muß es für meinen Tod meinen Glauben als Filtrircmstalt wirken lassen, was sich unterwegens sehr nngöttliches in großer Menge der strömenden Seele auch eingemischt hat. In diesem Winter habe ich innerlichst in großem Jubel, obwohl bei beginnender Anlage zur Kränklichkeit, verlebt; denn daß, wenn aus uns Preußen etwas ordentliches werden soll, die 1843 oder eigentlich schon 1815 eingebrockte liberale Suppe bis auf den letzen Tropfen ausgelöffelt werden muß, war mir längst klar. Jede gewaltsame einseitige Abmachung treibt nur momentan das Uebel zurück und verstärkt es für wiederkehrenden Kampf, der 1843 und 49 viel zu früh ab¬ gebrochen worden ist. Und nun sind wir mitten in diesem entscheidenden Kampf, den Preußen ganz allein in innerster Tiefe führt, während ringsum alle Nachbarn das Uebel ohne Bewußtsein darüber immer tiefer fressen lassen. Besteht Preußen diesen Kampf ehrlich und bis in die tiefste Tiefe zum Siege, denn ist es in hundert Jahren Herrin der Erde. Denn daß alle politischen, mercantilen, natur- und Historien- wissenschaftlichen Strömungen auf größere Bildungen und Solidaritäten hindrängen, muß dem blödesten Auge klar sein. Schon jetzt ist Europa fast ein Status — die Grundlagen eines christlichen Weltreichs wachsen unbewußt in diesen Dingen, eines christlichen Weltreichs, wie unsre größten Kaiser es träumten und mit dem Schwerte gründen wollten, was aber nur im Geiste, nur im wahrhaft christlichen Geiste und mit Achtung vor den Völkerindividualitätcn erwachsen kann. Siegen wir in diesem Kampfe, so freut es mich bewußt, den Anfang desselben geschaut zu haben; machen wir in demselben bankerutt, so danke ich wenigstens Gott, daß er mich die letzten Zeiten Reste und Trümmer des alten römischen Reichs deutscher Nation hat sehen lassen, welches ein tausendjähriges heiliges war, weil es wenigstens dem Namen Christi allzeit die Ehre gegeben hat, als in dem allein Heil zu finden ist. Ueber eine im Jahre 1870 erschienene Schrift „Für die kleinen Universitäten" äußerte er: Dieselbe wird einigermaßen zur Besinnung bringen, doch schwerlich zu Aende¬ rung des Abscheus im Ganzen, was ja darauf auszugehen scheint, wie überall in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/225>, abgerufen am 03.07.2024.