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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Erinnerungen an Heinrich Leo.

neuerer Zeit den Großbürgern zu Gefallen zu leben und in Folge davon die Uni¬
versitäten in polytechnische Schulen zu verwandeln. Die Hanptcinderung müßte in
einer Umwandlung der Anstellungsverhältnisse für den Staatsdienst liegen, denn
dieser ungeheure Unterschied zwischen den Universitäten im sogenannten Reiche und
den Universitäten in Preußen ist nur schon vor 54 Jahren, als ich nach Breslau
kam, wo ich zu studiren anfing, aufgefallen. Im Reiche waren noch ans vielen
Gymnasien keine Abiturienten-Examina, während sie in Preußen bestanden und nicht
nur das, sondern die Ueberzeugung allgemein eingelebt war, wer die Reihe seiner
Examina glücklich nach einander durchgemacht habe, müsse vom Staate eine Ver¬
sorgung erhalten. In meiner Heimat war davon nur eine schwache Hoffnung vor¬
handen, denn nur die Theologen wurden nach der Reihe ihrer Anciennetät im
Candidaten-Examen angestellt, und dies konnte sich damals oft so sehr verzögern,
daß ein Candidat schon einige vierzig Jahre alt wurde, wenn er nicht früher eine
Versorgung durch Berufung eines Patrons erhielt. Im Schwarzburgischeu waren
solche Patrone sehr wenig, sie mußten also in Folge von Hauslehrerstellcn in Mecklen¬
burg und in der Provinz Preußen oder in Kur- oder Livland gesucht werden.
Niemand war demnach in seinem Leben einer Anstellung sicher oder sie wurde ihm
in der Heimat oft erst geboten, wenn er anderswo bereits eine bessere gefunden.
Auch bei den Theologen war die Persönlichkeit die Hauptsache, auf die jemand
seine Hoffnung zu setzen hatte. Unter den Juristen waren die Edelleute in der
Regel auf keinem Gymnasiuni, sondern wurden durch Privatunterricht vorbereitet,
und auch wenn sie ein Gymnasium besuchten, fiel es ihnen nicht ein, das Abiturienten-
Examen zu machen; wenn sie ein Jahr lang studirt hatten, wurden sie daheim bei
Hofe präsentirt, erhielten ein Assessorpatent und Besoldung, von der sie weiter
studirten. Bürgerliche machten nach drei Jahren ein Examen und wurden entweder
Advocaten oder, wenn sie Regiernngsanstellnng suchten, Accessisten. Dann wurden
sie uach der Ancieunetät versorgt, d. h. nach allen Edelleuten, die inzwischen ihr
Assessorpatent erhalten hatten, sie konnten grane Haare haben, ehe sie Assessoren
wurden, und eine Rathsstelle erhielt einer fast nie, bevor er graue Haare hatte.
Schulmänner waren fast ganz auf den Eindruck ihrer Persönlichkeit verwiesen, denn
davon hing ihre Berufung ab und das konnte anch Theologen zuweilen eine frühere
Versorgung verschaffen. Mediciner waren durch ihre Promotion fertig, aber ihre
Praxis hing dann wieder ganz von ihrer Persönlichkeit ab. Kurz! Persönlich¬
keit war alles, und da das so war, machte sich auch keiner viel aus einer Relegation
auf der Universität. Bekanntschaften mit Reichsrittersöhnen, Patriziersöhnen u. s. w.
ans der Universität waren weit sicherere Versorgungs-Aussichten als die heimische
Regierung und diese kümmerte sich auch nur zuweilen um die Relegationen auf
der Universität, sicher fast nnr bei Theologen, die aber auch schou durch eine Narbe
im Gesicht oder dnrch das Gerücht eines unehrlichen Kerls unter Umständen die
Aussicht auf Anstellung in der Heimat verloren. Kurz, die Persönlichkeit war viel
und deshalb die größte Freiheitslust und Freiheitsgefühl, während bei uns nur


Erinnerungen an Heinrich Leo.

neuerer Zeit den Großbürgern zu Gefallen zu leben und in Folge davon die Uni¬
versitäten in polytechnische Schulen zu verwandeln. Die Hanptcinderung müßte in
einer Umwandlung der Anstellungsverhältnisse für den Staatsdienst liegen, denn
dieser ungeheure Unterschied zwischen den Universitäten im sogenannten Reiche und
den Universitäten in Preußen ist nur schon vor 54 Jahren, als ich nach Breslau
kam, wo ich zu studiren anfing, aufgefallen. Im Reiche waren noch ans vielen
Gymnasien keine Abiturienten-Examina, während sie in Preußen bestanden und nicht
nur das, sondern die Ueberzeugung allgemein eingelebt war, wer die Reihe seiner
Examina glücklich nach einander durchgemacht habe, müsse vom Staate eine Ver¬
sorgung erhalten. In meiner Heimat war davon nur eine schwache Hoffnung vor¬
handen, denn nur die Theologen wurden nach der Reihe ihrer Anciennetät im
Candidaten-Examen angestellt, und dies konnte sich damals oft so sehr verzögern,
daß ein Candidat schon einige vierzig Jahre alt wurde, wenn er nicht früher eine
Versorgung durch Berufung eines Patrons erhielt. Im Schwarzburgischeu waren
solche Patrone sehr wenig, sie mußten also in Folge von Hauslehrerstellcn in Mecklen¬
burg und in der Provinz Preußen oder in Kur- oder Livland gesucht werden.
Niemand war demnach in seinem Leben einer Anstellung sicher oder sie wurde ihm
in der Heimat oft erst geboten, wenn er anderswo bereits eine bessere gefunden.
Auch bei den Theologen war die Persönlichkeit die Hauptsache, auf die jemand
seine Hoffnung zu setzen hatte. Unter den Juristen waren die Edelleute in der
Regel auf keinem Gymnasiuni, sondern wurden durch Privatunterricht vorbereitet,
und auch wenn sie ein Gymnasium besuchten, fiel es ihnen nicht ein, das Abiturienten-
Examen zu machen; wenn sie ein Jahr lang studirt hatten, wurden sie daheim bei
Hofe präsentirt, erhielten ein Assessorpatent und Besoldung, von der sie weiter
studirten. Bürgerliche machten nach drei Jahren ein Examen und wurden entweder
Advocaten oder, wenn sie Regiernngsanstellnng suchten, Accessisten. Dann wurden
sie uach der Ancieunetät versorgt, d. h. nach allen Edelleuten, die inzwischen ihr
Assessorpatent erhalten hatten, sie konnten grane Haare haben, ehe sie Assessoren
wurden, und eine Rathsstelle erhielt einer fast nie, bevor er graue Haare hatte.
Schulmänner waren fast ganz auf den Eindruck ihrer Persönlichkeit verwiesen, denn
davon hing ihre Berufung ab und das konnte anch Theologen zuweilen eine frühere
Versorgung verschaffen. Mediciner waren durch ihre Promotion fertig, aber ihre
Praxis hing dann wieder ganz von ihrer Persönlichkeit ab. Kurz! Persönlich¬
keit war alles, und da das so war, machte sich auch keiner viel aus einer Relegation
auf der Universität. Bekanntschaften mit Reichsrittersöhnen, Patriziersöhnen u. s. w.
ans der Universität waren weit sicherere Versorgungs-Aussichten als die heimische
Regierung und diese kümmerte sich auch nur zuweilen um die Relegationen auf
der Universität, sicher fast nnr bei Theologen, die aber auch schou durch eine Narbe
im Gesicht oder dnrch das Gerücht eines unehrlichen Kerls unter Umständen die
Aussicht auf Anstellung in der Heimat verloren. Kurz, die Persönlichkeit war viel
und deshalb die größte Freiheitslust und Freiheitsgefühl, während bei uns nur


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[0226] Erinnerungen an Heinrich Leo. neuerer Zeit den Großbürgern zu Gefallen zu leben und in Folge davon die Uni¬ versitäten in polytechnische Schulen zu verwandeln. Die Hanptcinderung müßte in einer Umwandlung der Anstellungsverhältnisse für den Staatsdienst liegen, denn dieser ungeheure Unterschied zwischen den Universitäten im sogenannten Reiche und den Universitäten in Preußen ist nur schon vor 54 Jahren, als ich nach Breslau kam, wo ich zu studiren anfing, aufgefallen. Im Reiche waren noch ans vielen Gymnasien keine Abiturienten-Examina, während sie in Preußen bestanden und nicht nur das, sondern die Ueberzeugung allgemein eingelebt war, wer die Reihe seiner Examina glücklich nach einander durchgemacht habe, müsse vom Staate eine Ver¬ sorgung erhalten. In meiner Heimat war davon nur eine schwache Hoffnung vor¬ handen, denn nur die Theologen wurden nach der Reihe ihrer Anciennetät im Candidaten-Examen angestellt, und dies konnte sich damals oft so sehr verzögern, daß ein Candidat schon einige vierzig Jahre alt wurde, wenn er nicht früher eine Versorgung durch Berufung eines Patrons erhielt. Im Schwarzburgischeu waren solche Patrone sehr wenig, sie mußten also in Folge von Hauslehrerstellcn in Mecklen¬ burg und in der Provinz Preußen oder in Kur- oder Livland gesucht werden. Niemand war demnach in seinem Leben einer Anstellung sicher oder sie wurde ihm in der Heimat oft erst geboten, wenn er anderswo bereits eine bessere gefunden. Auch bei den Theologen war die Persönlichkeit die Hauptsache, auf die jemand seine Hoffnung zu setzen hatte. Unter den Juristen waren die Edelleute in der Regel auf keinem Gymnasiuni, sondern wurden durch Privatunterricht vorbereitet, und auch wenn sie ein Gymnasium besuchten, fiel es ihnen nicht ein, das Abiturienten- Examen zu machen; wenn sie ein Jahr lang studirt hatten, wurden sie daheim bei Hofe präsentirt, erhielten ein Assessorpatent und Besoldung, von der sie weiter studirten. Bürgerliche machten nach drei Jahren ein Examen und wurden entweder Advocaten oder, wenn sie Regiernngsanstellnng suchten, Accessisten. Dann wurden sie uach der Ancieunetät versorgt, d. h. nach allen Edelleuten, die inzwischen ihr Assessorpatent erhalten hatten, sie konnten grane Haare haben, ehe sie Assessoren wurden, und eine Rathsstelle erhielt einer fast nie, bevor er graue Haare hatte. Schulmänner waren fast ganz auf den Eindruck ihrer Persönlichkeit verwiesen, denn davon hing ihre Berufung ab und das konnte anch Theologen zuweilen eine frühere Versorgung verschaffen. Mediciner waren durch ihre Promotion fertig, aber ihre Praxis hing dann wieder ganz von ihrer Persönlichkeit ab. Kurz! Persönlich¬ keit war alles, und da das so war, machte sich auch keiner viel aus einer Relegation auf der Universität. Bekanntschaften mit Reichsrittersöhnen, Patriziersöhnen u. s. w. ans der Universität waren weit sicherere Versorgungs-Aussichten als die heimische Regierung und diese kümmerte sich auch nur zuweilen um die Relegationen auf der Universität, sicher fast nnr bei Theologen, die aber auch schou durch eine Narbe im Gesicht oder dnrch das Gerücht eines unehrlichen Kerls unter Umständen die Aussicht auf Anstellung in der Heimat verloren. Kurz, die Persönlichkeit war viel und deshalb die größte Freiheitslust und Freiheitsgefühl, während bei uns nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/226>, abgerufen am 01.07.2024.