Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

lieber Jammer. Diese Unbefriedigtheit des Heidenthums wird freilich ganz in den
Hintergrund gestellt durch die Befriedigung, die man aus der Anschauung von
Grimms großartiger geistvoller, nach allen Seiten in Maß und richtiger Contour
gehaltener Arbeit schöpft. Ich beneide ihn allein in Deutschland. Er hat nun drei
Werke geschrieben, vou denen jedes geradezu eine Wissenschaft fundirt. Das vierte
verheißt er und mit ihm den Abschluß eines wissenschaftlichen Gesammtgebictes, zu
welchem die drei schon fertigen Werke mit gehören.

Unter mehreren eingeschickten Arbeiten aus der römischen Geschichte befand
sich auch eine über das römische Colonat. Leo antwortete:

Ihre dritte Abhandlung hat mich insonderheit gefreut; ich hänge um allem
Bauernwesen, und wenn ich mich auch nicht selbständig gerade um das Gütcrwcsen,
was Sie so besonders und mit Recht in dem römischen Staat hervorheben, be¬
kümmert, sondern nur Niebuhr und Walter in diesen Dingen nachgeschürft habe,
so hat mich doch immer alles dahin einschlagende sehr interessirt und beschäftigt;
die eigentlich praktische und gemüthliche Seite des römischen Bauerlebens und Land-
edclmannlcbcns, wenn ich so reden soll, hat mich mehrfach zur Lectüre der svrixtoio"
rsi rusticÄö, selbst zu Bekümmerniß um das darin enthaltene Technische getrieben,
obwohl ich nie, wenn ich es that, einen Anfang gemacht habe für die Darstellung
politischer Lebensbeziehungen aus dieser Lectüre zu sammeln. An die Bearbeitung
der Agrimensoren bin ich einmal durch Herrn von Rumohr gekommen, der niir
seine Urkunden über die bäuerlichen Verhältnisse in Toscana früher zur Heraus¬
gabe überlassen hatte und zu denen ich als Einleitung eine Geschichte der Entstehung
und Entwicklung des römischen Colonats im Kaiserreich geben wollte, wofür Savigny
schon eine so tüchtige Grundlage gelegt hat. Ich war eben bei diesen Studien,
als ich in Folge andrer mich persönlich angehender Entwicklungen Berlin zunächst
mit dem Vorsatze verließ, Soldat zu werden und die gelehrten Bestrebungen völlig
an den Nagel zu hängen. Als ich mich umwenden ließ, lag die Förderung der
italienischen Geschichte, vou der ich in Berlin nur zwei Bände ausgearbeitet hatte
und welche Perthes dringend wünschte, so hart auf den Schultern, daß ich seitdem
an die Agrimensoren nicht mehr gedacht habe. Rumohr hat die ihm zurückgestellte"
Urkunden dann später selbst herausgegeben."

Den zu bestellenden Gruß an einen in Göttingen studirenden Theologen
begleitete er mit folgenden Worten:

Es freut sains, wenn er in Göttingen seine Rechnung findet und ganz be¬
sonders, wenn er Sie bei Bcnnecke findet. Denn ich habe den alten Herrn sehr
lieb und meine Studienzeit in Göttingen ist mir selbst eine der werthesten Er¬
innerungen.

Unser Briefwechsel ist dann jahrelang fortgesetzt worden. Leos Briefe waren
immer unterrichtend, belehrend, ermahnend. Hier sei aus der laugen Reihe nur


lieber Jammer. Diese Unbefriedigtheit des Heidenthums wird freilich ganz in den
Hintergrund gestellt durch die Befriedigung, die man aus der Anschauung von
Grimms großartiger geistvoller, nach allen Seiten in Maß und richtiger Contour
gehaltener Arbeit schöpft. Ich beneide ihn allein in Deutschland. Er hat nun drei
Werke geschrieben, vou denen jedes geradezu eine Wissenschaft fundirt. Das vierte
verheißt er und mit ihm den Abschluß eines wissenschaftlichen Gesammtgebictes, zu
welchem die drei schon fertigen Werke mit gehören.

Unter mehreren eingeschickten Arbeiten aus der römischen Geschichte befand
sich auch eine über das römische Colonat. Leo antwortete:

Ihre dritte Abhandlung hat mich insonderheit gefreut; ich hänge um allem
Bauernwesen, und wenn ich mich auch nicht selbständig gerade um das Gütcrwcsen,
was Sie so besonders und mit Recht in dem römischen Staat hervorheben, be¬
kümmert, sondern nur Niebuhr und Walter in diesen Dingen nachgeschürft habe,
so hat mich doch immer alles dahin einschlagende sehr interessirt und beschäftigt;
die eigentlich praktische und gemüthliche Seite des römischen Bauerlebens und Land-
edclmannlcbcns, wenn ich so reden soll, hat mich mehrfach zur Lectüre der svrixtoio«
rsi rusticÄö, selbst zu Bekümmerniß um das darin enthaltene Technische getrieben,
obwohl ich nie, wenn ich es that, einen Anfang gemacht habe für die Darstellung
politischer Lebensbeziehungen aus dieser Lectüre zu sammeln. An die Bearbeitung
der Agrimensoren bin ich einmal durch Herrn von Rumohr gekommen, der niir
seine Urkunden über die bäuerlichen Verhältnisse in Toscana früher zur Heraus¬
gabe überlassen hatte und zu denen ich als Einleitung eine Geschichte der Entstehung
und Entwicklung des römischen Colonats im Kaiserreich geben wollte, wofür Savigny
schon eine so tüchtige Grundlage gelegt hat. Ich war eben bei diesen Studien,
als ich in Folge andrer mich persönlich angehender Entwicklungen Berlin zunächst
mit dem Vorsatze verließ, Soldat zu werden und die gelehrten Bestrebungen völlig
an den Nagel zu hängen. Als ich mich umwenden ließ, lag die Förderung der
italienischen Geschichte, vou der ich in Berlin nur zwei Bände ausgearbeitet hatte
und welche Perthes dringend wünschte, so hart auf den Schultern, daß ich seitdem
an die Agrimensoren nicht mehr gedacht habe. Rumohr hat die ihm zurückgestellte»
Urkunden dann später selbst herausgegeben."

Den zu bestellenden Gruß an einen in Göttingen studirenden Theologen
begleitete er mit folgenden Worten:

Es freut sains, wenn er in Göttingen seine Rechnung findet und ganz be¬
sonders, wenn er Sie bei Bcnnecke findet. Denn ich habe den alten Herrn sehr
lieb und meine Studienzeit in Göttingen ist mir selbst eine der werthesten Er¬
innerungen.

Unser Briefwechsel ist dann jahrelang fortgesetzt worden. Leos Briefe waren
immer unterrichtend, belehrend, ermahnend. Hier sei aus der laugen Reihe nur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0224" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149796"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_788" prev="#ID_787"> lieber Jammer. Diese Unbefriedigtheit des Heidenthums wird freilich ganz in den<lb/>
Hintergrund gestellt durch die Befriedigung, die man aus der Anschauung von<lb/>
Grimms großartiger geistvoller, nach allen Seiten in Maß und richtiger Contour<lb/>
gehaltener Arbeit schöpft. Ich beneide ihn allein in Deutschland. Er hat nun drei<lb/>
Werke geschrieben, vou denen jedes geradezu eine Wissenschaft fundirt. Das vierte<lb/>
verheißt er und mit ihm den Abschluß eines wissenschaftlichen Gesammtgebictes, zu<lb/>
welchem die drei schon fertigen Werke mit gehören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_789"> Unter mehreren eingeschickten Arbeiten aus der römischen Geschichte befand<lb/>
sich auch eine über das römische Colonat. Leo antwortete:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_790"> Ihre dritte Abhandlung hat mich insonderheit gefreut; ich hänge um allem<lb/>
Bauernwesen, und wenn ich mich auch nicht selbständig gerade um das Gütcrwcsen,<lb/>
was Sie so besonders und mit Recht in dem römischen Staat hervorheben, be¬<lb/>
kümmert, sondern nur Niebuhr und Walter in diesen Dingen nachgeschürft habe,<lb/>
so hat mich doch immer alles dahin einschlagende sehr interessirt und beschäftigt;<lb/>
die eigentlich praktische und gemüthliche Seite des römischen Bauerlebens und Land-<lb/>
edclmannlcbcns, wenn ich so reden soll, hat mich mehrfach zur Lectüre der svrixtoio«<lb/>
rsi rusticÄö, selbst zu Bekümmerniß um das darin enthaltene Technische getrieben,<lb/>
obwohl ich nie, wenn ich es that, einen Anfang gemacht habe für die Darstellung<lb/>
politischer Lebensbeziehungen aus dieser Lectüre zu sammeln. An die Bearbeitung<lb/>
der Agrimensoren bin ich einmal durch Herrn von Rumohr gekommen, der niir<lb/>
seine Urkunden über die bäuerlichen Verhältnisse in Toscana früher zur Heraus¬<lb/>
gabe überlassen hatte und zu denen ich als Einleitung eine Geschichte der Entstehung<lb/>
und Entwicklung des römischen Colonats im Kaiserreich geben wollte, wofür Savigny<lb/>
schon eine so tüchtige Grundlage gelegt hat. Ich war eben bei diesen Studien,<lb/>
als ich in Folge andrer mich persönlich angehender Entwicklungen Berlin zunächst<lb/>
mit dem Vorsatze verließ, Soldat zu werden und die gelehrten Bestrebungen völlig<lb/>
an den Nagel zu hängen. Als ich mich umwenden ließ, lag die Förderung der<lb/>
italienischen Geschichte, vou der ich in Berlin nur zwei Bände ausgearbeitet hatte<lb/>
und welche Perthes dringend wünschte, so hart auf den Schultern, daß ich seitdem<lb/>
an die Agrimensoren nicht mehr gedacht habe. Rumohr hat die ihm zurückgestellte»<lb/>
Urkunden dann später selbst herausgegeben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_791"> Den zu bestellenden Gruß an einen in Göttingen studirenden Theologen<lb/>
begleitete er mit folgenden Worten:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_792"> Es freut sains, wenn er in Göttingen seine Rechnung findet und ganz be¬<lb/>
sonders, wenn er Sie bei Bcnnecke findet. Denn ich habe den alten Herrn sehr<lb/>
lieb und meine Studienzeit in Göttingen ist mir selbst eine der werthesten Er¬<lb/>
innerungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_793" next="#ID_794"> Unser Briefwechsel ist dann jahrelang fortgesetzt worden. Leos Briefe waren<lb/>
immer unterrichtend, belehrend, ermahnend. Hier sei aus der laugen Reihe nur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0224] lieber Jammer. Diese Unbefriedigtheit des Heidenthums wird freilich ganz in den Hintergrund gestellt durch die Befriedigung, die man aus der Anschauung von Grimms großartiger geistvoller, nach allen Seiten in Maß und richtiger Contour gehaltener Arbeit schöpft. Ich beneide ihn allein in Deutschland. Er hat nun drei Werke geschrieben, vou denen jedes geradezu eine Wissenschaft fundirt. Das vierte verheißt er und mit ihm den Abschluß eines wissenschaftlichen Gesammtgebictes, zu welchem die drei schon fertigen Werke mit gehören. Unter mehreren eingeschickten Arbeiten aus der römischen Geschichte befand sich auch eine über das römische Colonat. Leo antwortete: Ihre dritte Abhandlung hat mich insonderheit gefreut; ich hänge um allem Bauernwesen, und wenn ich mich auch nicht selbständig gerade um das Gütcrwcsen, was Sie so besonders und mit Recht in dem römischen Staat hervorheben, be¬ kümmert, sondern nur Niebuhr und Walter in diesen Dingen nachgeschürft habe, so hat mich doch immer alles dahin einschlagende sehr interessirt und beschäftigt; die eigentlich praktische und gemüthliche Seite des römischen Bauerlebens und Land- edclmannlcbcns, wenn ich so reden soll, hat mich mehrfach zur Lectüre der svrixtoio« rsi rusticÄö, selbst zu Bekümmerniß um das darin enthaltene Technische getrieben, obwohl ich nie, wenn ich es that, einen Anfang gemacht habe für die Darstellung politischer Lebensbeziehungen aus dieser Lectüre zu sammeln. An die Bearbeitung der Agrimensoren bin ich einmal durch Herrn von Rumohr gekommen, der niir seine Urkunden über die bäuerlichen Verhältnisse in Toscana früher zur Heraus¬ gabe überlassen hatte und zu denen ich als Einleitung eine Geschichte der Entstehung und Entwicklung des römischen Colonats im Kaiserreich geben wollte, wofür Savigny schon eine so tüchtige Grundlage gelegt hat. Ich war eben bei diesen Studien, als ich in Folge andrer mich persönlich angehender Entwicklungen Berlin zunächst mit dem Vorsatze verließ, Soldat zu werden und die gelehrten Bestrebungen völlig an den Nagel zu hängen. Als ich mich umwenden ließ, lag die Förderung der italienischen Geschichte, vou der ich in Berlin nur zwei Bände ausgearbeitet hatte und welche Perthes dringend wünschte, so hart auf den Schultern, daß ich seitdem an die Agrimensoren nicht mehr gedacht habe. Rumohr hat die ihm zurückgestellte» Urkunden dann später selbst herausgegeben." Den zu bestellenden Gruß an einen in Göttingen studirenden Theologen begleitete er mit folgenden Worten: Es freut sains, wenn er in Göttingen seine Rechnung findet und ganz be¬ sonders, wenn er Sie bei Bcnnecke findet. Denn ich habe den alten Herrn sehr lieb und meine Studienzeit in Göttingen ist mir selbst eine der werthesten Er¬ innerungen. Unser Briefwechsel ist dann jahrelang fortgesetzt worden. Leos Briefe waren immer unterrichtend, belehrend, ermahnend. Hier sei aus der laugen Reihe nur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/224
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/224>, abgerufen am 03.07.2024.