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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Erinnerungen an Heinrich Leo.

Fleiß und mit einigem Eifer obgelegen habe, bin noch ein ganz andres Wesen,
als alle meine eignen Bücher zusammengenommen."

Sein sittlicher Muth, sein gewissenhafter Ernst ließen ihn jeder Zeit rück¬
haltlos und rücksichtslos die einmal erkannte Wahrheit heraussagen. Ihn schreckte
nicht das Toben und der drohende Blick der Studenten, kühn und muthig ver¬
trat er seine Grundsätze. Ueberzeugte er nicht gleich seine Gegner, so gewann
er doch wenigstens deren Achtung. Denn wer seinen heftigen Widerspruch je
mit anhörte, war gewiß überzeugt, daß alle Empfindungen aus der Tiefe seiner
Seele hervorgingen.

Es galt ihm immer nur das eigne Bekenntniß der streng conservativen,
religiösen und politischen Ueberzeugung. So las er aus inneren Bedürfniß die
Bibel und Luthers Predigten, und in der Einleitung zum ersten Bande des
Lehrbuchs der Universalgeschichte (Dritte Auflage. Halle, 1849, S. 56) mahnt
er, "vor dem seichtliberalen Standpunkte unsrer Zeit sich nicht sowohl seiner
positiven Gefährlichkeit wegen, als vielmehr als vor einer geistlosen als auch geist¬
schwächenden Nahrung zu hüten."

Viel Feinde, viel Ehre, war sein Grundsatz; gegen Pöbelhohn hatte er sich
von Jugend auf das "dickste Fell" erworben. Dennoch war er im gewissen Sinne
populär. Denn selbst die Gegner führten die im "Volksblatt für Stadt und
Land" zuerst veröffentlichten Sätze öfter als geflügelte Worte an: "Gott schenke
uns einen frischen, fröhlichen Krieg, der das scrophulöse Gesindel zertritt, was
jetzt den Raum zu eng, macht, um noch ein ordentliches Menschenleben in der
Stickluft führen zu können," und das andre: "Napoleon III. als Haupthecht
in den Karpfenteich gesetzt." Denen, die ihm mit Verehrung und Dankbarkeit
näher traten, hat er eine dauernde Anhänglichkeit bewahrt. Er lebte gemäß dem
wahren Berufe eines akademischen Lehrers in: persönlichen Austausch mit strebenden
Jünglingen. Von dem liebenswürdigen Eingehen ans deren Bedürfnisse und der
einsichtsvollen Förderung ihrer Studien zeugen die unten mitgetheilten, bisher
ungedruckten Briefe.

Andrerseits war Leo auch eine scharf gespannte Natur, ein Eisenkopf von
Kindesbeinen an. Er äußerte später selbst, er habe in seinem Wesen etwas von
"einem übermüthigen Husaren gehabt," in der Meinung, daß sein jngendtrotziges
Gemüth allem in der Welt mit Entschlossenheit entgegentreten müsse. Die über¬
raschende Wildheit durchbrechender Aeußerungen hat die Menschen eher scheu ge¬
macht als gewonnen. Er war einer der Extremsten unter den Extremen der
deutschen Burschenschaft. Den mit schwarzem Sammet besetzten deutschen Rock,
leinene Hose, einen großen in der Weise eines Weiberkragens gestickten Musselin-
Hemdumschlag und ein geschlitztes Barret hat er während der Studienzeit nicht


Erinnerungen an Heinrich Leo.

Fleiß und mit einigem Eifer obgelegen habe, bin noch ein ganz andres Wesen,
als alle meine eignen Bücher zusammengenommen."

Sein sittlicher Muth, sein gewissenhafter Ernst ließen ihn jeder Zeit rück¬
haltlos und rücksichtslos die einmal erkannte Wahrheit heraussagen. Ihn schreckte
nicht das Toben und der drohende Blick der Studenten, kühn und muthig ver¬
trat er seine Grundsätze. Ueberzeugte er nicht gleich seine Gegner, so gewann
er doch wenigstens deren Achtung. Denn wer seinen heftigen Widerspruch je
mit anhörte, war gewiß überzeugt, daß alle Empfindungen aus der Tiefe seiner
Seele hervorgingen.

Es galt ihm immer nur das eigne Bekenntniß der streng conservativen,
religiösen und politischen Ueberzeugung. So las er aus inneren Bedürfniß die
Bibel und Luthers Predigten, und in der Einleitung zum ersten Bande des
Lehrbuchs der Universalgeschichte (Dritte Auflage. Halle, 1849, S. 56) mahnt
er, „vor dem seichtliberalen Standpunkte unsrer Zeit sich nicht sowohl seiner
positiven Gefährlichkeit wegen, als vielmehr als vor einer geistlosen als auch geist¬
schwächenden Nahrung zu hüten."

Viel Feinde, viel Ehre, war sein Grundsatz; gegen Pöbelhohn hatte er sich
von Jugend auf das „dickste Fell" erworben. Dennoch war er im gewissen Sinne
populär. Denn selbst die Gegner führten die im „Volksblatt für Stadt und
Land" zuerst veröffentlichten Sätze öfter als geflügelte Worte an: „Gott schenke
uns einen frischen, fröhlichen Krieg, der das scrophulöse Gesindel zertritt, was
jetzt den Raum zu eng, macht, um noch ein ordentliches Menschenleben in der
Stickluft führen zu können," und das andre: „Napoleon III. als Haupthecht
in den Karpfenteich gesetzt." Denen, die ihm mit Verehrung und Dankbarkeit
näher traten, hat er eine dauernde Anhänglichkeit bewahrt. Er lebte gemäß dem
wahren Berufe eines akademischen Lehrers in: persönlichen Austausch mit strebenden
Jünglingen. Von dem liebenswürdigen Eingehen ans deren Bedürfnisse und der
einsichtsvollen Förderung ihrer Studien zeugen die unten mitgetheilten, bisher
ungedruckten Briefe.

Andrerseits war Leo auch eine scharf gespannte Natur, ein Eisenkopf von
Kindesbeinen an. Er äußerte später selbst, er habe in seinem Wesen etwas von
„einem übermüthigen Husaren gehabt," in der Meinung, daß sein jngendtrotziges
Gemüth allem in der Welt mit Entschlossenheit entgegentreten müsse. Die über¬
raschende Wildheit durchbrechender Aeußerungen hat die Menschen eher scheu ge¬
macht als gewonnen. Er war einer der Extremsten unter den Extremen der
deutschen Burschenschaft. Den mit schwarzem Sammet besetzten deutschen Rock,
leinene Hose, einen großen in der Weise eines Weiberkragens gestickten Musselin-
Hemdumschlag und ein geschlitztes Barret hat er während der Studienzeit nicht


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[0214] Erinnerungen an Heinrich Leo. Fleiß und mit einigem Eifer obgelegen habe, bin noch ein ganz andres Wesen, als alle meine eignen Bücher zusammengenommen." Sein sittlicher Muth, sein gewissenhafter Ernst ließen ihn jeder Zeit rück¬ haltlos und rücksichtslos die einmal erkannte Wahrheit heraussagen. Ihn schreckte nicht das Toben und der drohende Blick der Studenten, kühn und muthig ver¬ trat er seine Grundsätze. Ueberzeugte er nicht gleich seine Gegner, so gewann er doch wenigstens deren Achtung. Denn wer seinen heftigen Widerspruch je mit anhörte, war gewiß überzeugt, daß alle Empfindungen aus der Tiefe seiner Seele hervorgingen. Es galt ihm immer nur das eigne Bekenntniß der streng conservativen, religiösen und politischen Ueberzeugung. So las er aus inneren Bedürfniß die Bibel und Luthers Predigten, und in der Einleitung zum ersten Bande des Lehrbuchs der Universalgeschichte (Dritte Auflage. Halle, 1849, S. 56) mahnt er, „vor dem seichtliberalen Standpunkte unsrer Zeit sich nicht sowohl seiner positiven Gefährlichkeit wegen, als vielmehr als vor einer geistlosen als auch geist¬ schwächenden Nahrung zu hüten." Viel Feinde, viel Ehre, war sein Grundsatz; gegen Pöbelhohn hatte er sich von Jugend auf das „dickste Fell" erworben. Dennoch war er im gewissen Sinne populär. Denn selbst die Gegner führten die im „Volksblatt für Stadt und Land" zuerst veröffentlichten Sätze öfter als geflügelte Worte an: „Gott schenke uns einen frischen, fröhlichen Krieg, der das scrophulöse Gesindel zertritt, was jetzt den Raum zu eng, macht, um noch ein ordentliches Menschenleben in der Stickluft führen zu können," und das andre: „Napoleon III. als Haupthecht in den Karpfenteich gesetzt." Denen, die ihm mit Verehrung und Dankbarkeit näher traten, hat er eine dauernde Anhänglichkeit bewahrt. Er lebte gemäß dem wahren Berufe eines akademischen Lehrers in: persönlichen Austausch mit strebenden Jünglingen. Von dem liebenswürdigen Eingehen ans deren Bedürfnisse und der einsichtsvollen Förderung ihrer Studien zeugen die unten mitgetheilten, bisher ungedruckten Briefe. Andrerseits war Leo auch eine scharf gespannte Natur, ein Eisenkopf von Kindesbeinen an. Er äußerte später selbst, er habe in seinem Wesen etwas von „einem übermüthigen Husaren gehabt," in der Meinung, daß sein jngendtrotziges Gemüth allem in der Welt mit Entschlossenheit entgegentreten müsse. Die über¬ raschende Wildheit durchbrechender Aeußerungen hat die Menschen eher scheu ge¬ macht als gewonnen. Er war einer der Extremsten unter den Extremen der deutschen Burschenschaft. Den mit schwarzem Sammet besetzten deutschen Rock, leinene Hose, einen großen in der Weise eines Weiberkragens gestickten Musselin- Hemdumschlag und ein geschlitztes Barret hat er während der Studienzeit nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/214>, abgerufen am 23.07.2024.