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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stolberg an Johann Heinrich voß,

und das Wort sie einzukleiden steht ihm mühelos und sofort zu Gebot. Aber
damit glaubte er genug gethan zu haben, seinen Werken die Feile anzulegen
hat er nie über sich vermocht. Es ist ein vielleicht einzig dastehendes Beispiel in
unsrer Literaturgeschichte, daß seine Gedichte in der letzten Ausgabe unverändert,
wie sie in der ersten stehen, sich finden. Und was vielleicht noch schlimmer ist,
von seinen sämmtlichen poetischen Werken erhält man den Eindruck, daß sie nur
erdacht, nicht gefühlt sind. Nur selten konnte ihm so ein erster glücklicher Wurf
gerathen. Die Nachwelt hat daher unerbittlich Gericht gehalten: fast alles was
er geschrieben, ist der Vergessenheit anheimgefallen. Und wie in seinem Dichten
so erging es auch in seinem praktischen Leben. Von einem eigentlichen Beruf¬
studium wissen wir fast nichts; seine spätere Wirksamkeit als Amtmann und
Gesandter scheint uns nur möglich bei den patriarchalischen Zuständen des kleinen
Fürstenhofes, an dem er lebte; man möchte zu dem harten Ausspruch kommen,
daß "der Reichsgraf" den Mangel an gelehrter und amtlicher Tüchtigkeit hat
ersetzen müssen. Das Bewußtsein der Abstammung ist denn auch stets in Stol¬
berg ein lebendiges geblieben, seine Freiheitsgesänge, sein Wüthen gegen die
Tyrannen -- und darunter verstand man damals so ziemlich alle Fürsten --
erscheint uns gemacht, seiner innersten Natur widersprechend. Er hat im
Leben stets nach einem festen Halt gesucht, an den er sich anklammern und auf¬
richten könne, er fand ihn nicht im Amt, nicht in seiner Muse, nicht in der
Freundschaft; so ist es kein Wunder, daß er schließlich mit Naturnothwendigkeit
in den Schoß der katholischen Kirche getrieben wurde. Er selbst hat in ihr
(daran zu zweifeln ist nicht erlaubt) den Frieden der Seele voll und ganz ge¬
funden, aber alles was er nach seinem Uebertritt zum Katholicismus noch ge¬
schrieben, ist flach und seicht, steht tief unter dem Niveau der Mittelmäßigkeit,
selbst der wissenschaftlichen. Und so meine ich, daß der gerade, feste, wenn
auch bisweilen knorrige und klotzige Voß doch eine Gestalt ist, die uns unwill¬
kürlich Achtung abnöthigt, er, der aus dem niedern Volk durch eigne Kraft Em¬
porgekommene tritt uns stets als ein feiner Männlichkeit Bewußter entgegen, und
von Jahr zu Jahr erkennen wir es mehr, wie der wackere Entmische Schul¬
meister auch einer der größten und reinsten Lehrer des deutschen Volkes gewesen.
Stolbergs Singen und Sagen könnten wir gänzlich in unsrer Geschichte ent¬
behren, er hat keine Nachahmer gefunden und nichts dauerndes geschaffen; der
Dichter der Luise, der Uebersetzer Homers wird unvergessen sein, so lange man
in deutscher Zunge spricht und schreibt.

Den Uebersetzer des Homer lehren uns die vorstehenden Briefe kennen. Sie
sind wichtig für die Genesis dieses Werkes. Der Versuch, die Ilias in deutsche
Hexameter zu übertragen, sie -- wie Voß einmal bei der Uebersetzung eines


Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stolberg an Johann Heinrich voß,

und das Wort sie einzukleiden steht ihm mühelos und sofort zu Gebot. Aber
damit glaubte er genug gethan zu haben, seinen Werken die Feile anzulegen
hat er nie über sich vermocht. Es ist ein vielleicht einzig dastehendes Beispiel in
unsrer Literaturgeschichte, daß seine Gedichte in der letzten Ausgabe unverändert,
wie sie in der ersten stehen, sich finden. Und was vielleicht noch schlimmer ist,
von seinen sämmtlichen poetischen Werken erhält man den Eindruck, daß sie nur
erdacht, nicht gefühlt sind. Nur selten konnte ihm so ein erster glücklicher Wurf
gerathen. Die Nachwelt hat daher unerbittlich Gericht gehalten: fast alles was
er geschrieben, ist der Vergessenheit anheimgefallen. Und wie in seinem Dichten
so erging es auch in seinem praktischen Leben. Von einem eigentlichen Beruf¬
studium wissen wir fast nichts; seine spätere Wirksamkeit als Amtmann und
Gesandter scheint uns nur möglich bei den patriarchalischen Zuständen des kleinen
Fürstenhofes, an dem er lebte; man möchte zu dem harten Ausspruch kommen,
daß „der Reichsgraf" den Mangel an gelehrter und amtlicher Tüchtigkeit hat
ersetzen müssen. Das Bewußtsein der Abstammung ist denn auch stets in Stol¬
berg ein lebendiges geblieben, seine Freiheitsgesänge, sein Wüthen gegen die
Tyrannen — und darunter verstand man damals so ziemlich alle Fürsten —
erscheint uns gemacht, seiner innersten Natur widersprechend. Er hat im
Leben stets nach einem festen Halt gesucht, an den er sich anklammern und auf¬
richten könne, er fand ihn nicht im Amt, nicht in seiner Muse, nicht in der
Freundschaft; so ist es kein Wunder, daß er schließlich mit Naturnothwendigkeit
in den Schoß der katholischen Kirche getrieben wurde. Er selbst hat in ihr
(daran zu zweifeln ist nicht erlaubt) den Frieden der Seele voll und ganz ge¬
funden, aber alles was er nach seinem Uebertritt zum Katholicismus noch ge¬
schrieben, ist flach und seicht, steht tief unter dem Niveau der Mittelmäßigkeit,
selbst der wissenschaftlichen. Und so meine ich, daß der gerade, feste, wenn
auch bisweilen knorrige und klotzige Voß doch eine Gestalt ist, die uns unwill¬
kürlich Achtung abnöthigt, er, der aus dem niedern Volk durch eigne Kraft Em¬
porgekommene tritt uns stets als ein feiner Männlichkeit Bewußter entgegen, und
von Jahr zu Jahr erkennen wir es mehr, wie der wackere Entmische Schul¬
meister auch einer der größten und reinsten Lehrer des deutschen Volkes gewesen.
Stolbergs Singen und Sagen könnten wir gänzlich in unsrer Geschichte ent¬
behren, er hat keine Nachahmer gefunden und nichts dauerndes geschaffen; der
Dichter der Luise, der Uebersetzer Homers wird unvergessen sein, so lange man
in deutscher Zunge spricht und schreibt.

Den Uebersetzer des Homer lehren uns die vorstehenden Briefe kennen. Sie
sind wichtig für die Genesis dieses Werkes. Der Versuch, die Ilias in deutsche
Hexameter zu übertragen, sie — wie Voß einmal bei der Uebersetzung eines


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[0207] Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stolberg an Johann Heinrich voß, und das Wort sie einzukleiden steht ihm mühelos und sofort zu Gebot. Aber damit glaubte er genug gethan zu haben, seinen Werken die Feile anzulegen hat er nie über sich vermocht. Es ist ein vielleicht einzig dastehendes Beispiel in unsrer Literaturgeschichte, daß seine Gedichte in der letzten Ausgabe unverändert, wie sie in der ersten stehen, sich finden. Und was vielleicht noch schlimmer ist, von seinen sämmtlichen poetischen Werken erhält man den Eindruck, daß sie nur erdacht, nicht gefühlt sind. Nur selten konnte ihm so ein erster glücklicher Wurf gerathen. Die Nachwelt hat daher unerbittlich Gericht gehalten: fast alles was er geschrieben, ist der Vergessenheit anheimgefallen. Und wie in seinem Dichten so erging es auch in seinem praktischen Leben. Von einem eigentlichen Beruf¬ studium wissen wir fast nichts; seine spätere Wirksamkeit als Amtmann und Gesandter scheint uns nur möglich bei den patriarchalischen Zuständen des kleinen Fürstenhofes, an dem er lebte; man möchte zu dem harten Ausspruch kommen, daß „der Reichsgraf" den Mangel an gelehrter und amtlicher Tüchtigkeit hat ersetzen müssen. Das Bewußtsein der Abstammung ist denn auch stets in Stol¬ berg ein lebendiges geblieben, seine Freiheitsgesänge, sein Wüthen gegen die Tyrannen — und darunter verstand man damals so ziemlich alle Fürsten — erscheint uns gemacht, seiner innersten Natur widersprechend. Er hat im Leben stets nach einem festen Halt gesucht, an den er sich anklammern und auf¬ richten könne, er fand ihn nicht im Amt, nicht in seiner Muse, nicht in der Freundschaft; so ist es kein Wunder, daß er schließlich mit Naturnothwendigkeit in den Schoß der katholischen Kirche getrieben wurde. Er selbst hat in ihr (daran zu zweifeln ist nicht erlaubt) den Frieden der Seele voll und ganz ge¬ funden, aber alles was er nach seinem Uebertritt zum Katholicismus noch ge¬ schrieben, ist flach und seicht, steht tief unter dem Niveau der Mittelmäßigkeit, selbst der wissenschaftlichen. Und so meine ich, daß der gerade, feste, wenn auch bisweilen knorrige und klotzige Voß doch eine Gestalt ist, die uns unwill¬ kürlich Achtung abnöthigt, er, der aus dem niedern Volk durch eigne Kraft Em¬ porgekommene tritt uns stets als ein feiner Männlichkeit Bewußter entgegen, und von Jahr zu Jahr erkennen wir es mehr, wie der wackere Entmische Schul¬ meister auch einer der größten und reinsten Lehrer des deutschen Volkes gewesen. Stolbergs Singen und Sagen könnten wir gänzlich in unsrer Geschichte ent¬ behren, er hat keine Nachahmer gefunden und nichts dauerndes geschaffen; der Dichter der Luise, der Uebersetzer Homers wird unvergessen sein, so lange man in deutscher Zunge spricht und schreibt. Den Uebersetzer des Homer lehren uns die vorstehenden Briefe kennen. Sie sind wichtig für die Genesis dieses Werkes. Der Versuch, die Ilias in deutsche Hexameter zu übertragen, sie — wie Voß einmal bei der Uebersetzung eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/207>, abgerufen am 23.07.2024.