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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Unter solchen Verhältnissen war Wolfgang herangewachsen und hatte später
die Universität Leipzig besucht. Aus dem Zerstreuter seiner Jugendbildung und
dem Eigenthümlichen seines Wesens, wie es sich nachher zeigt, darf man schließen,
daß er dort kein eigentliches Fachstudium mit Ernst betrieben, sondern sich mehr
allgemein literarischen und ästhetischen Liebhabereien überlassen habe" wird.
Damit mag es auch zusammenhängen, daß er, nachdem er die Universität absolvirt
hatte, nicht in eine öffentliche Thätigkeit trat, sondern eine Privatstellung über¬
nahm. Eine Rückkehr ins väterliche Haus mag ihm bei den dort herrschenden
Verhältnissen ganz unmöglich erschienen sein. So finden wir ihn zu der Zeit,
wo sich Heinrich in Leipzig aufhält, ebenfalls wieder in Leipzig und zwar als
Hofmeister eines jungen Grafen Lindenau,

Heinrich schreibt über jene Zeit: "Sechs Jahre 1760 -- 1766 verflossen
mir selbst überlassen in planlosen Stndirenhelfen mit öftern Reisen ., . Meine
Collegia waren geschäftiger Müßiggang, meine Promenaden Eitelkeit und meine
Leserei zwecklose Zerstreuung, Jura hatte ich studirt und Testimonia erlangt:
Menschenkenntniß und Praxis fehlten mir gänzlich. Die Elnboratoria bei dem
sel. Gellert nutzten mir am meisten. Es war uns Zuhörern erlaubt, unsre Briefe,
Poesien und Aufsätze auf sein Katheder zu legen: er las sie in der nächsten
Stunde ohne die Verfasser zu nennen und bemerkte, was die Stylistik betraf.
Besondre Vorliebe hatte der gute Mann für Franenzimmerbricfe und Alle?,
was den leichten Schwung jugendlicher Lebhaftigkeit und Ungezwungenheit hatte,
war ihm unnachahmliches Original ... Er hat eine besondre Vorliebe für meinen
Bruder Ur, 1" -- eben unsern Wolfgang, von dein Heinrich einige Zeilen vorher
schreibt: "Einer meiner Brüder kam von Dresden und brachte alle Hofmoden
mit nach Leipzig, Er sprach von nichts als Etikette und Mode. Ich fing gleich
einer Wasserfläche das darinnen abgespiegelte Bild auf."

Die Stellung im Lindenauschen Hanse, welche Wolfgang nach Leipzig
führte, bot ihm neben einem guten Einkommen auch sonst mancherlei Annehm¬
lichkeit. Er hatte sie durch Gellert erhalte". Der junge Graf wohnte mit seinem
Hofmeister im Apelsche" Hanse, in dem auch Heinrich mit einem andern jungen
Alaune ein gemeinschaftliches Zimmer inne hatte. In diesem Hanse verkehrte
nun auch Goethe mit seinen Freunden, und so kam es, daß sich mit der Zeit
zwischen Wolfgang und dem Goethischen Kreise eine gegenseitige Zuneigung ent¬
wickelte,

Goethe selbst schreibt darüber in "Dichtung und Wahrheit": "Wie mich
nun die Einwohner von Leipzig um das angenehme Gefühl brachten, einen großen
Mann (Friedrich 11.) zu verehren, so verminderte ein neuer Freund, den ich zu
der Zeit gewann, gar sehr die Achtung, welche ich sür meine gegenwärtigen Mit-


Unter solchen Verhältnissen war Wolfgang herangewachsen und hatte später
die Universität Leipzig besucht. Aus dem Zerstreuter seiner Jugendbildung und
dem Eigenthümlichen seines Wesens, wie es sich nachher zeigt, darf man schließen,
daß er dort kein eigentliches Fachstudium mit Ernst betrieben, sondern sich mehr
allgemein literarischen und ästhetischen Liebhabereien überlassen habe» wird.
Damit mag es auch zusammenhängen, daß er, nachdem er die Universität absolvirt
hatte, nicht in eine öffentliche Thätigkeit trat, sondern eine Privatstellung über¬
nahm. Eine Rückkehr ins väterliche Haus mag ihm bei den dort herrschenden
Verhältnissen ganz unmöglich erschienen sein. So finden wir ihn zu der Zeit,
wo sich Heinrich in Leipzig aufhält, ebenfalls wieder in Leipzig und zwar als
Hofmeister eines jungen Grafen Lindenau,

Heinrich schreibt über jene Zeit: „Sechs Jahre 1760 — 1766 verflossen
mir selbst überlassen in planlosen Stndirenhelfen mit öftern Reisen ., . Meine
Collegia waren geschäftiger Müßiggang, meine Promenaden Eitelkeit und meine
Leserei zwecklose Zerstreuung, Jura hatte ich studirt und Testimonia erlangt:
Menschenkenntniß und Praxis fehlten mir gänzlich. Die Elnboratoria bei dem
sel. Gellert nutzten mir am meisten. Es war uns Zuhörern erlaubt, unsre Briefe,
Poesien und Aufsätze auf sein Katheder zu legen: er las sie in der nächsten
Stunde ohne die Verfasser zu nennen und bemerkte, was die Stylistik betraf.
Besondre Vorliebe hatte der gute Mann für Franenzimmerbricfe und Alle?,
was den leichten Schwung jugendlicher Lebhaftigkeit und Ungezwungenheit hatte,
war ihm unnachahmliches Original ... Er hat eine besondre Vorliebe für meinen
Bruder Ur, 1" — eben unsern Wolfgang, von dein Heinrich einige Zeilen vorher
schreibt: „Einer meiner Brüder kam von Dresden und brachte alle Hofmoden
mit nach Leipzig, Er sprach von nichts als Etikette und Mode. Ich fing gleich
einer Wasserfläche das darinnen abgespiegelte Bild auf."

Die Stellung im Lindenauschen Hanse, welche Wolfgang nach Leipzig
führte, bot ihm neben einem guten Einkommen auch sonst mancherlei Annehm¬
lichkeit. Er hatte sie durch Gellert erhalte». Der junge Graf wohnte mit seinem
Hofmeister im Apelsche» Hanse, in dem auch Heinrich mit einem andern jungen
Alaune ein gemeinschaftliches Zimmer inne hatte. In diesem Hanse verkehrte
nun auch Goethe mit seinen Freunden, und so kam es, daß sich mit der Zeit
zwischen Wolfgang und dem Goethischen Kreise eine gegenseitige Zuneigung ent¬
wickelte,

Goethe selbst schreibt darüber in „Dichtung und Wahrheit": „Wie mich
nun die Einwohner von Leipzig um das angenehme Gefühl brachten, einen großen
Mann (Friedrich 11.) zu verehren, so verminderte ein neuer Freund, den ich zu
der Zeit gewann, gar sehr die Achtung, welche ich sür meine gegenwärtigen Mit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/20>, abgerufen am 23.07.2024.