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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Ein Jugendfreund Goethes.

bürger hegte. Dieser Freund war einer der wunderlichsten Käuze, die es auf
der Welt geben kann. Er hieß Behrisch und befand sich als Hofmeister bei
dem jungen Grafen Lindena"." Er berichtet dann weiter von feinem Aeußern:
Hager, wohlgebaut, weit in den Dreißig":"*), eine sehr große Nase, überhaupt
markirte Züge; eine Hacirtvur, die man wohl eine Perücke hätte nennen können,
trug er vom Morgen bis in die Nacht, kleidete sich sehr nett und ging nie ano,
als den Degen an der Seite und den Hut unterm Arm. Er war einer von
den Menschen, die eine ganz besondre Gabe haben, die Zeit zu verderben, oder
vielmehr, die aus nichts etwas zu machen wissen, um sie zu vertreibe". Was
er that, that er mit Langsamkeit und einem gewissen Anstand, den man affectirt
hätte nenne" to"nen, hätte nicht etwas Affeetirtes schon in seiner Natur gelegen.
Er ähnelte einem alten Franzosen, anch sprach und schrieb er fehr gut und leicht
französisch. Seine größte Lust war, sich ernsthaft mit possenhaften Dingen zu
beschäftigen und irgend einen albernen Einfall bis ins Unendliche zu verfolgen.
So trug er sich beständig grau und weil die verschiednen Theile seines Anzuges
von verschiednen Zeugen und also auch Schattirnngen waren, so konnte er Tage
lang darauf sinnen, wie er sich noch el" Grau mehr auf den Leib schaffen wollte,
und war glücklich, wenn ihm das gelang und er seine Freunde, die es für un-
möglich gehalten, beschämen konnte. Er hielt denselben dann wohl lange Straf¬
predigten über ihren Mangel an Erfindungskraft und ihren Unglauben an seine
Talente.

"Mir war er sehr gewogen -- fährt Goethe fort --, und ich, der ich immer
gewohnt und geneigt war, mit ältern Personen umzugehen, attachirte mich bald
an ihn. Mein Umgang diente auch ihm zur besondern Unterhaltung, indem er
Vergnügen daran fand, meine Unruhe "lud Ungeduld zu zahme", womit ich ihm
dagegen auch genug zu schaffen machte. In der Dichtkunst hatte er dasjenige,
was man Geschmack nannte, ein gewisses allgemeines Urtheil über das Gute
und Schlechte, das Mittelmäßige und Zulässige; doch war sein Urtheil mehr
tadelnd, und er zerstörte noch den wenigen Glauben, den ich an gleichzeitige Schrift¬
steller bei mir hegte, durch lieblose Anmerkungen, die er über die Schriften und
Gedichte dieses oder jenes mit Witz und Laune vorzubringen wußte. Meine
eignen Sachen nah"" er mit Nachsicht ans und ließ mich gewähren, nur nnter
der Bedingung, daß ich nichts sollte drücke" lasse". Er versprach mir dagege",
daß er diejenigen Stücke, die er für gut hielt, selbst abschreiben und in einem
schönen Bande mir verehren wolle."



*) Goethe wird hier von seinen, Gedächtniß irre geführt; Behrisch (geb. 1783) war da¬
mals 29 Jahre alt, mag aller allerdings älter ausgesehen haben.
Grenzbote" et, t88>. Z
Ein Jugendfreund Goethes.

bürger hegte. Dieser Freund war einer der wunderlichsten Käuze, die es auf
der Welt geben kann. Er hieß Behrisch und befand sich als Hofmeister bei
dem jungen Grafen Lindena»." Er berichtet dann weiter von feinem Aeußern:
Hager, wohlgebaut, weit in den Dreißig«:»*), eine sehr große Nase, überhaupt
markirte Züge; eine Hacirtvur, die man wohl eine Perücke hätte nennen können,
trug er vom Morgen bis in die Nacht, kleidete sich sehr nett und ging nie ano,
als den Degen an der Seite und den Hut unterm Arm. Er war einer von
den Menschen, die eine ganz besondre Gabe haben, die Zeit zu verderben, oder
vielmehr, die aus nichts etwas zu machen wissen, um sie zu vertreibe». Was
er that, that er mit Langsamkeit und einem gewissen Anstand, den man affectirt
hätte nenne» to»nen, hätte nicht etwas Affeetirtes schon in seiner Natur gelegen.
Er ähnelte einem alten Franzosen, anch sprach und schrieb er fehr gut und leicht
französisch. Seine größte Lust war, sich ernsthaft mit possenhaften Dingen zu
beschäftigen und irgend einen albernen Einfall bis ins Unendliche zu verfolgen.
So trug er sich beständig grau und weil die verschiednen Theile seines Anzuges
von verschiednen Zeugen und also auch Schattirnngen waren, so konnte er Tage
lang darauf sinnen, wie er sich noch el» Grau mehr auf den Leib schaffen wollte,
und war glücklich, wenn ihm das gelang und er seine Freunde, die es für un-
möglich gehalten, beschämen konnte. Er hielt denselben dann wohl lange Straf¬
predigten über ihren Mangel an Erfindungskraft und ihren Unglauben an seine
Talente.

„Mir war er sehr gewogen — fährt Goethe fort —, und ich, der ich immer
gewohnt und geneigt war, mit ältern Personen umzugehen, attachirte mich bald
an ihn. Mein Umgang diente auch ihm zur besondern Unterhaltung, indem er
Vergnügen daran fand, meine Unruhe «lud Ungeduld zu zahme», womit ich ihm
dagegen auch genug zu schaffen machte. In der Dichtkunst hatte er dasjenige,
was man Geschmack nannte, ein gewisses allgemeines Urtheil über das Gute
und Schlechte, das Mittelmäßige und Zulässige; doch war sein Urtheil mehr
tadelnd, und er zerstörte noch den wenigen Glauben, den ich an gleichzeitige Schrift¬
steller bei mir hegte, durch lieblose Anmerkungen, die er über die Schriften und
Gedichte dieses oder jenes mit Witz und Laune vorzubringen wußte. Meine
eignen Sachen nah«» er mit Nachsicht ans und ließ mich gewähren, nur nnter
der Bedingung, daß ich nichts sollte drücke» lasse». Er versprach mir dagege»,
daß er diejenigen Stücke, die er für gut hielt, selbst abschreiben und in einem
schönen Bande mir verehren wolle."



*) Goethe wird hier von seinen, Gedächtniß irre geführt; Behrisch (geb. 1783) war da¬
mals 29 Jahre alt, mag aller allerdings älter ausgesehen haben.
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[0021] Ein Jugendfreund Goethes. bürger hegte. Dieser Freund war einer der wunderlichsten Käuze, die es auf der Welt geben kann. Er hieß Behrisch und befand sich als Hofmeister bei dem jungen Grafen Lindena»." Er berichtet dann weiter von feinem Aeußern: Hager, wohlgebaut, weit in den Dreißig«:»*), eine sehr große Nase, überhaupt markirte Züge; eine Hacirtvur, die man wohl eine Perücke hätte nennen können, trug er vom Morgen bis in die Nacht, kleidete sich sehr nett und ging nie ano, als den Degen an der Seite und den Hut unterm Arm. Er war einer von den Menschen, die eine ganz besondre Gabe haben, die Zeit zu verderben, oder vielmehr, die aus nichts etwas zu machen wissen, um sie zu vertreibe». Was er that, that er mit Langsamkeit und einem gewissen Anstand, den man affectirt hätte nenne» to»nen, hätte nicht etwas Affeetirtes schon in seiner Natur gelegen. Er ähnelte einem alten Franzosen, anch sprach und schrieb er fehr gut und leicht französisch. Seine größte Lust war, sich ernsthaft mit possenhaften Dingen zu beschäftigen und irgend einen albernen Einfall bis ins Unendliche zu verfolgen. So trug er sich beständig grau und weil die verschiednen Theile seines Anzuges von verschiednen Zeugen und also auch Schattirnngen waren, so konnte er Tage lang darauf sinnen, wie er sich noch el» Grau mehr auf den Leib schaffen wollte, und war glücklich, wenn ihm das gelang und er seine Freunde, die es für un- möglich gehalten, beschämen konnte. Er hielt denselben dann wohl lange Straf¬ predigten über ihren Mangel an Erfindungskraft und ihren Unglauben an seine Talente. „Mir war er sehr gewogen — fährt Goethe fort —, und ich, der ich immer gewohnt und geneigt war, mit ältern Personen umzugehen, attachirte mich bald an ihn. Mein Umgang diente auch ihm zur besondern Unterhaltung, indem er Vergnügen daran fand, meine Unruhe «lud Ungeduld zu zahme», womit ich ihm dagegen auch genug zu schaffen machte. In der Dichtkunst hatte er dasjenige, was man Geschmack nannte, ein gewisses allgemeines Urtheil über das Gute und Schlechte, das Mittelmäßige und Zulässige; doch war sein Urtheil mehr tadelnd, und er zerstörte noch den wenigen Glauben, den ich an gleichzeitige Schrift¬ steller bei mir hegte, durch lieblose Anmerkungen, die er über die Schriften und Gedichte dieses oder jenes mit Witz und Laune vorzubringen wußte. Meine eignen Sachen nah«» er mit Nachsicht ans und ließ mich gewähren, nur nnter der Bedingung, daß ich nichts sollte drücke» lasse». Er versprach mir dagege», daß er diejenigen Stücke, die er für gut hielt, selbst abschreiben und in einem schönen Bande mir verehren wolle." *) Goethe wird hier von seinen, Gedächtniß irre geführt; Behrisch (geb. 1783) war da¬ mals 29 Jahre alt, mag aller allerdings älter ausgesehen haben. Grenzbote» et, t88>. Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/21>, abgerufen am 23.07.2024.