Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Litt Ingcttdsre""d Goethes.

Wolfgang führten und darin mit Goethe zusammentrafen, sei nur beiläufig be¬
merkt; beim ältesten war dieser Name jedoch zugleich Nnfname, lveshalb er denn
auch im folgenden bisweilen einfach Wvlfgnug genannt werden möge.

Wolfgang wurde anfangs allein, später gemeinsam mit seinen Brüdern von
.Hauslehrern erzogen und unterrichtet. Ueber die häuslichen Verhältnisse, in
denen er aufwuchs, berichtet die Selbstbiographie seines Bruders Heinrich: "Mein
Vater pflegte gern verfallne Güter zu kaufen, weil sie entweder sub tmLtÄ oder
ans Noth wohlfeil gegeben wurden, und wenn er sie dann gut angebauet und
wieder aufgebracht hatte, nach 10 oder ILjähriger Verbesserung mit großem Vorteil
wieder zu verkaufen. Mit drei Gütern war es ihm gelungen: beym vierten
(Adelsdorf und Niegerrvda bei Pirua) hinderten die Verwüstungen des sieben¬
jährigen Kriegs und sein Podagra die Ausführung eines Plans, der wie alle
Plane Glutt und Zeit erforderte. Er, der so sehr Veränderung liebte und so
viel Nuzzen dabey gefunden hatte, dachte beym Erziehungswesen eben den Vorteil
daraus zu ziehe", demittirte und rekrutirte Hofmeisters bey dem geringsten Urias;;
dennoch war einer, der einige Jahre aushielt und ihm allein hab' ich Ordnungs¬
liebe, Fleiß, Kalligraphie, Sprachen und DenkungSvermögen zu danke". Er hieß
Bölkner "ut starb als einer der würdigste" Geistliche" zu Strießeu, nachdem
er auch mich zu seinein Lehrer Dr. Crusius in Leipzig auf die Universität ge¬
bracht hatte.... Es war in meines Vaters EdukativnSanstalt Sitte, daß bey
allen Geburtstagen in Gegenwart einer Menge Gäste von uns Kindern in ver¬
schiedenen Sprachen Reden gehalten werden mußten, um, sagte mein Vater, das
Gedächtnis zu üben, Anstand und Freimütigkeit zu erlangen und zu zeigen, daß
Mirs wullt niiül sse ceo. Die Herrn Hofmeister mußte" komponiren, Nur muudireu
und memoriren. Am ExekntionStage saßen wir zum Autoda-M bestimmten zwei
Stunden bey Tafel auf der Folter, in banger Erwartung der Dinge, die da
kommen sollten, bis der mit brennenden Wachslichtern (und zwar mit so vielen
als der Gcburtstäglcr Jahre zählte) bestelle Kuchen in den Tafelsaal getragen
ward; dies war das Zeichen zur Revolution: der Aelteste von uns stand auf


und Niegerode, gab 1778 die Administration dieser Güter wieder auf und führte vou nun
a>l ein unstätes Leben, bis er innerlich und äußerlich verkommen im 83. Lebensjahre 1825
zu Dessau starb. Er war ein begabter Mensch, der mit der größten Leichtigkeit arbeitete;
seine Schriften (vgl. Merhet a. a. O.) sind kaum zu zählen. Er kann, bemerkt Elze, als
Vertreter einer ganzen Literatenklasse des 18. Jahrhunderts angesehen werden, nämlich jener
gcninlliederiicheu, weltmännischen Literaten, die mit ihrer leichtfertigen französischen Bildung
und Lebensweise den geraden Gegensatz zu den stubensitzendcn, philisterhaften Magistcrli bildeten.
Die erwähnte Selbstbiographie Heinrich WolfgnngS wird in Ermanglung andrer Quellen
einige Male Im nachstehenden Aufsätze citirt werden, wiewohl sie wegen des Charakter ihres
Autors keine unverdächtige Quelle ist.
Litt Ingcttdsre»»d Goethes.

Wolfgang führten und darin mit Goethe zusammentrafen, sei nur beiläufig be¬
merkt; beim ältesten war dieser Name jedoch zugleich Nnfname, lveshalb er denn
auch im folgenden bisweilen einfach Wvlfgnug genannt werden möge.

Wolfgang wurde anfangs allein, später gemeinsam mit seinen Brüdern von
.Hauslehrern erzogen und unterrichtet. Ueber die häuslichen Verhältnisse, in
denen er aufwuchs, berichtet die Selbstbiographie seines Bruders Heinrich: „Mein
Vater pflegte gern verfallne Güter zu kaufen, weil sie entweder sub tmLtÄ oder
ans Noth wohlfeil gegeben wurden, und wenn er sie dann gut angebauet und
wieder aufgebracht hatte, nach 10 oder ILjähriger Verbesserung mit großem Vorteil
wieder zu verkaufen. Mit drei Gütern war es ihm gelungen: beym vierten
(Adelsdorf und Niegerrvda bei Pirua) hinderten die Verwüstungen des sieben¬
jährigen Kriegs und sein Podagra die Ausführung eines Plans, der wie alle
Plane Glutt und Zeit erforderte. Er, der so sehr Veränderung liebte und so
viel Nuzzen dabey gefunden hatte, dachte beym Erziehungswesen eben den Vorteil
daraus zu ziehe», demittirte und rekrutirte Hofmeisters bey dem geringsten Urias;;
dennoch war einer, der einige Jahre aushielt und ihm allein hab' ich Ordnungs¬
liebe, Fleiß, Kalligraphie, Sprachen und DenkungSvermögen zu danke». Er hieß
Bölkner »ut starb als einer der würdigste» Geistliche» zu Strießeu, nachdem
er auch mich zu seinein Lehrer Dr. Crusius in Leipzig auf die Universität ge¬
bracht hatte.... Es war in meines Vaters EdukativnSanstalt Sitte, daß bey
allen Geburtstagen in Gegenwart einer Menge Gäste von uns Kindern in ver¬
schiedenen Sprachen Reden gehalten werden mußten, um, sagte mein Vater, das
Gedächtnis zu üben, Anstand und Freimütigkeit zu erlangen und zu zeigen, daß
Mirs wullt niiül sse ceo. Die Herrn Hofmeister mußte» komponiren, Nur muudireu
und memoriren. Am ExekntionStage saßen wir zum Autoda-M bestimmten zwei
Stunden bey Tafel auf der Folter, in banger Erwartung der Dinge, die da
kommen sollten, bis der mit brennenden Wachslichtern (und zwar mit so vielen
als der Gcburtstäglcr Jahre zählte) bestelle Kuchen in den Tafelsaal getragen
ward; dies war das Zeichen zur Revolution: der Aelteste von uns stand auf


und Niegerode, gab 1778 die Administration dieser Güter wieder auf und führte vou nun
a>l ein unstätes Leben, bis er innerlich und äußerlich verkommen im 83. Lebensjahre 1825
zu Dessau starb. Er war ein begabter Mensch, der mit der größten Leichtigkeit arbeitete;
seine Schriften (vgl. Merhet a. a. O.) sind kaum zu zählen. Er kann, bemerkt Elze, als
Vertreter einer ganzen Literatenklasse des 18. Jahrhunderts angesehen werden, nämlich jener
gcninlliederiicheu, weltmännischen Literaten, die mit ihrer leichtfertigen französischen Bildung
und Lebensweise den geraden Gegensatz zu den stubensitzendcn, philisterhaften Magistcrli bildeten.
Die erwähnte Selbstbiographie Heinrich WolfgnngS wird in Ermanglung andrer Quellen
einige Male Im nachstehenden Aufsätze citirt werden, wiewohl sie wegen des Charakter ihres
Autors keine unverdächtige Quelle ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149590"/>
          <fw type="header" place="top"> Litt Ingcttdsre»»d Goethes.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_40" prev="#ID_39"> Wolfgang führten und darin mit Goethe zusammentrafen, sei nur beiläufig be¬<lb/>
merkt; beim ältesten war dieser Name jedoch zugleich Nnfname, lveshalb er denn<lb/>
auch im folgenden bisweilen einfach Wvlfgnug genannt werden möge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_41" next="#ID_42"> Wolfgang wurde anfangs allein, später gemeinsam mit seinen Brüdern von<lb/>
.Hauslehrern erzogen und unterrichtet. Ueber die häuslichen Verhältnisse, in<lb/>
denen er aufwuchs, berichtet die Selbstbiographie seines Bruders Heinrich: &#x201E;Mein<lb/>
Vater pflegte gern verfallne Güter zu kaufen, weil sie entweder sub tmLtÄ oder<lb/>
ans Noth wohlfeil gegeben wurden, und wenn er sie dann gut angebauet und<lb/>
wieder aufgebracht hatte, nach 10 oder ILjähriger Verbesserung mit großem Vorteil<lb/>
wieder zu verkaufen. Mit drei Gütern war es ihm gelungen: beym vierten<lb/>
(Adelsdorf und Niegerrvda bei Pirua) hinderten die Verwüstungen des sieben¬<lb/>
jährigen Kriegs und sein Podagra die Ausführung eines Plans, der wie alle<lb/>
Plane Glutt und Zeit erforderte. Er, der so sehr Veränderung liebte und so<lb/>
viel Nuzzen dabey gefunden hatte, dachte beym Erziehungswesen eben den Vorteil<lb/>
daraus zu ziehe», demittirte und rekrutirte Hofmeisters bey dem geringsten Urias;;<lb/>
dennoch war einer, der einige Jahre aushielt und ihm allein hab' ich Ordnungs¬<lb/>
liebe, Fleiß, Kalligraphie, Sprachen und DenkungSvermögen zu danke». Er hieß<lb/>
Bölkner »ut starb als einer der würdigste» Geistliche» zu Strießeu, nachdem<lb/>
er auch mich zu seinein Lehrer Dr. Crusius in Leipzig auf die Universität ge¬<lb/>
bracht hatte.... Es war in meines Vaters EdukativnSanstalt Sitte, daß bey<lb/>
allen Geburtstagen in Gegenwart einer Menge Gäste von uns Kindern in ver¬<lb/>
schiedenen Sprachen Reden gehalten werden mußten, um, sagte mein Vater, das<lb/>
Gedächtnis zu üben, Anstand und Freimütigkeit zu erlangen und zu zeigen, daß<lb/>
Mirs wullt niiül sse ceo. Die Herrn Hofmeister mußte» komponiren, Nur muudireu<lb/>
und memoriren. Am ExekntionStage saßen wir zum Autoda-M bestimmten zwei<lb/>
Stunden bey Tafel auf der Folter, in banger Erwartung der Dinge, die da<lb/>
kommen sollten, bis der mit brennenden Wachslichtern (und zwar mit so vielen<lb/>
als der Gcburtstäglcr Jahre zählte) bestelle Kuchen in den Tafelsaal getragen<lb/>
ward; dies war das Zeichen zur Revolution: der Aelteste von uns stand auf</p><lb/>
          <note xml:id="FID_5" prev="#FID_4" place="foot"> und Niegerode, gab 1778 die Administration dieser Güter wieder auf und führte vou nun<lb/>
a&gt;l ein unstätes Leben, bis er innerlich und äußerlich verkommen im 83. Lebensjahre 1825<lb/>
zu Dessau starb. Er war ein begabter Mensch, der mit der größten Leichtigkeit arbeitete;<lb/>
seine Schriften (vgl. Merhet a. a. O.) sind kaum zu zählen. Er kann, bemerkt Elze, als<lb/>
Vertreter einer ganzen Literatenklasse des 18. Jahrhunderts angesehen werden, nämlich jener<lb/>
gcninlliederiicheu, weltmännischen Literaten, die mit ihrer leichtfertigen französischen Bildung<lb/>
und Lebensweise den geraden Gegensatz zu den stubensitzendcn, philisterhaften Magistcrli bildeten.<lb/>
Die erwähnte Selbstbiographie Heinrich WolfgnngS wird in Ermanglung andrer Quellen<lb/>
einige Male Im nachstehenden Aufsätze citirt werden, wiewohl sie wegen des Charakter ihres<lb/>
Autors keine unverdächtige Quelle ist.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] Litt Ingcttdsre»»d Goethes. Wolfgang führten und darin mit Goethe zusammentrafen, sei nur beiläufig be¬ merkt; beim ältesten war dieser Name jedoch zugleich Nnfname, lveshalb er denn auch im folgenden bisweilen einfach Wvlfgnug genannt werden möge. Wolfgang wurde anfangs allein, später gemeinsam mit seinen Brüdern von .Hauslehrern erzogen und unterrichtet. Ueber die häuslichen Verhältnisse, in denen er aufwuchs, berichtet die Selbstbiographie seines Bruders Heinrich: „Mein Vater pflegte gern verfallne Güter zu kaufen, weil sie entweder sub tmLtÄ oder ans Noth wohlfeil gegeben wurden, und wenn er sie dann gut angebauet und wieder aufgebracht hatte, nach 10 oder ILjähriger Verbesserung mit großem Vorteil wieder zu verkaufen. Mit drei Gütern war es ihm gelungen: beym vierten (Adelsdorf und Niegerrvda bei Pirua) hinderten die Verwüstungen des sieben¬ jährigen Kriegs und sein Podagra die Ausführung eines Plans, der wie alle Plane Glutt und Zeit erforderte. Er, der so sehr Veränderung liebte und so viel Nuzzen dabey gefunden hatte, dachte beym Erziehungswesen eben den Vorteil daraus zu ziehe», demittirte und rekrutirte Hofmeisters bey dem geringsten Urias;; dennoch war einer, der einige Jahre aushielt und ihm allein hab' ich Ordnungs¬ liebe, Fleiß, Kalligraphie, Sprachen und DenkungSvermögen zu danke». Er hieß Bölkner »ut starb als einer der würdigste» Geistliche» zu Strießeu, nachdem er auch mich zu seinein Lehrer Dr. Crusius in Leipzig auf die Universität ge¬ bracht hatte.... Es war in meines Vaters EdukativnSanstalt Sitte, daß bey allen Geburtstagen in Gegenwart einer Menge Gäste von uns Kindern in ver¬ schiedenen Sprachen Reden gehalten werden mußten, um, sagte mein Vater, das Gedächtnis zu üben, Anstand und Freimütigkeit zu erlangen und zu zeigen, daß Mirs wullt niiül sse ceo. Die Herrn Hofmeister mußte» komponiren, Nur muudireu und memoriren. Am ExekntionStage saßen wir zum Autoda-M bestimmten zwei Stunden bey Tafel auf der Folter, in banger Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, bis der mit brennenden Wachslichtern (und zwar mit so vielen als der Gcburtstäglcr Jahre zählte) bestelle Kuchen in den Tafelsaal getragen ward; dies war das Zeichen zur Revolution: der Aelteste von uns stand auf und Niegerode, gab 1778 die Administration dieser Güter wieder auf und führte vou nun a>l ein unstätes Leben, bis er innerlich und äußerlich verkommen im 83. Lebensjahre 1825 zu Dessau starb. Er war ein begabter Mensch, der mit der größten Leichtigkeit arbeitete; seine Schriften (vgl. Merhet a. a. O.) sind kaum zu zählen. Er kann, bemerkt Elze, als Vertreter einer ganzen Literatenklasse des 18. Jahrhunderts angesehen werden, nämlich jener gcninlliederiicheu, weltmännischen Literaten, die mit ihrer leichtfertigen französischen Bildung und Lebensweise den geraden Gegensatz zu den stubensitzendcn, philisterhaften Magistcrli bildeten. Die erwähnte Selbstbiographie Heinrich WolfgnngS wird in Ermanglung andrer Quellen einige Male Im nachstehenden Aufsätze citirt werden, wiewohl sie wegen des Charakter ihres Autors keine unverdächtige Quelle ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/18
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/18>, abgerufen am 23.07.2024.