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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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lichkeit bei Vermeidung alles Leeren, Phrasenhaften, Uncharakteristischcn - liegt
darin nicht der Grnndaccord einer ganzen poetischen Richtung? Und Goethe schrieb
dies spät, als er bei seiner schnellen Entwicklung und dem bald folgenden hoch¬
gehenden Fluge seiner Poesie gewiß längst vergessen hatte, zu wie vielen Anregungen
und Förderungen im einzelnen er Behrisch verpflichtet war.




Literatur.
Dichtungen von Alfred Meißner. Liebhaberausgabe. Vier Bände. Leipzig,
Fr. Will). Grnnow, 1379- 80.

Die Dichtungen Alfred Meißners gehören bekanntlich zur einen Hälfte der vor¬
märzlichen Periode unsrer poetischen Literatur und der damals herrschenden Neigung
zu dem an, was man politische Lyrik taufte, zur andern Hälfte der Entwicklung
nach 1848 und der Gegenwart. Soviel wir übersehen können, umfaßt die vor¬
liegende, in ungewöhnlich reicher und stilvoller typographischer Ausstattung erschienene
Gcsmumtausgabe Gedichte, welche den ersten vierziger und solche, die den allerletzten
Jahren entstammen, repräsentirt sonach die ganze poetische Entwicklung Alfred Mei߬
ners, soweit dieselbe auf dem lyrischen und lyrisch-epischen Gebiete stattgefunden.
Neben den sämmtlichen lyrischen Dichtungen des deutsch-österreichischen Poeten ge¬
hören ihr der "Ziska" (in 13. Auflage des Gedichts), die erzählenden Dich¬
tungen "Werinher" und "König Sadal" an, von denen die letztere, wenigstens dem
Referenten, völlig neu ist. Die Gedichte von der "Communion," welche die Jahres¬
zahl 184" trägt, bis zu den "Herbstblumen," überschrieben"" Schlußliederu des
vierten Bandes, die in tieferschütterten innigen Weisen um den frühen Tod der
jungen Gattin des Dichters klagen, sind Erinnerungen eines reichen, zu Zeiten wild¬
bewegten Lebens, ihr Grundzug ein düster elegischer, fast Pcssinüstischcr. Der Goethischen
Forderung, daß die Poesie als weltliches Evangelium Heiterkeit wecken solle, ent¬
sprechen sie selten, aber auch der Dichter des "Faust" hat erfahren müssen, daß es
nicht überall im Willen des Sterblichen liegt, glücklich zu sein. Freilich wird selbst
bei gleichartigen Lebensschicksalen immer die ursprüngliche Ncituranlagc eiues Dichters
und der Zug gewisser Zeiten, den einen zu milder Versöhnung, den andern nur zu
herber Resignation gelangen lassen. Meißner, welcher die Sammlung seiner Jugend¬
gedichte im Jahre 1357 mit den Worten hinausgesandt:


spiegelt meines Stromes Welle
Wieder einen Hellem Tag --
Wisset auch, wie seine Quelle
Düster zwischen Feife" lag.

hat nach allem, was ihm inzwischen das Leben gebracht und genommen, sich ein
wild pessimistisches Schlußwort nicht versagen mögen, das er "Eingang und Aus-
gang" überschreibt:


An: Lebenseingauq steht geschrieben:
Alles steht in höherer Hut,
Du sollst glücklich sein, sollst lieben.
Ehre die Menschen, die meisten sind gut!

lichkeit bei Vermeidung alles Leeren, Phrasenhaften, Uncharakteristischcn - liegt
darin nicht der Grnndaccord einer ganzen poetischen Richtung? Und Goethe schrieb
dies spät, als er bei seiner schnellen Entwicklung und dem bald folgenden hoch¬
gehenden Fluge seiner Poesie gewiß längst vergessen hatte, zu wie vielen Anregungen
und Förderungen im einzelnen er Behrisch verpflichtet war.




Literatur.
Dichtungen von Alfred Meißner. Liebhaberausgabe. Vier Bände. Leipzig,
Fr. Will). Grnnow, 1379- 80.

Die Dichtungen Alfred Meißners gehören bekanntlich zur einen Hälfte der vor¬
märzlichen Periode unsrer poetischen Literatur und der damals herrschenden Neigung
zu dem an, was man politische Lyrik taufte, zur andern Hälfte der Entwicklung
nach 1848 und der Gegenwart. Soviel wir übersehen können, umfaßt die vor¬
liegende, in ungewöhnlich reicher und stilvoller typographischer Ausstattung erschienene
Gcsmumtausgabe Gedichte, welche den ersten vierziger und solche, die den allerletzten
Jahren entstammen, repräsentirt sonach die ganze poetische Entwicklung Alfred Mei߬
ners, soweit dieselbe auf dem lyrischen und lyrisch-epischen Gebiete stattgefunden.
Neben den sämmtlichen lyrischen Dichtungen des deutsch-österreichischen Poeten ge¬
hören ihr der „Ziska" (in 13. Auflage des Gedichts), die erzählenden Dich¬
tungen „Werinher" und „König Sadal" an, von denen die letztere, wenigstens dem
Referenten, völlig neu ist. Die Gedichte von der „Communion," welche die Jahres¬
zahl 184» trägt, bis zu den „Herbstblumen," überschrieben«» Schlußliederu des
vierten Bandes, die in tieferschütterten innigen Weisen um den frühen Tod der
jungen Gattin des Dichters klagen, sind Erinnerungen eines reichen, zu Zeiten wild¬
bewegten Lebens, ihr Grundzug ein düster elegischer, fast Pcssinüstischcr. Der Goethischen
Forderung, daß die Poesie als weltliches Evangelium Heiterkeit wecken solle, ent¬
sprechen sie selten, aber auch der Dichter des „Faust" hat erfahren müssen, daß es
nicht überall im Willen des Sterblichen liegt, glücklich zu sein. Freilich wird selbst
bei gleichartigen Lebensschicksalen immer die ursprüngliche Ncituranlagc eiues Dichters
und der Zug gewisser Zeiten, den einen zu milder Versöhnung, den andern nur zu
herber Resignation gelangen lassen. Meißner, welcher die Sammlung seiner Jugend¬
gedichte im Jahre 1357 mit den Worten hinausgesandt:


spiegelt meines Stromes Welle
Wieder einen Hellem Tag —
Wisset auch, wie seine Quelle
Düster zwischen Feife» lag.

hat nach allem, was ihm inzwischen das Leben gebracht und genommen, sich ein
wild pessimistisches Schlußwort nicht versagen mögen, das er „Eingang und Aus-
gang" überschreibt:


An: Lebenseingauq steht geschrieben:
Alles steht in höherer Hut,
Du sollst glücklich sein, sollst lieben.
Ehre die Menschen, die meisten sind gut!

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[0169] lichkeit bei Vermeidung alles Leeren, Phrasenhaften, Uncharakteristischcn - liegt darin nicht der Grnndaccord einer ganzen poetischen Richtung? Und Goethe schrieb dies spät, als er bei seiner schnellen Entwicklung und dem bald folgenden hoch¬ gehenden Fluge seiner Poesie gewiß längst vergessen hatte, zu wie vielen Anregungen und Förderungen im einzelnen er Behrisch verpflichtet war. Literatur. Dichtungen von Alfred Meißner. Liebhaberausgabe. Vier Bände. Leipzig, Fr. Will). Grnnow, 1379- 80. Die Dichtungen Alfred Meißners gehören bekanntlich zur einen Hälfte der vor¬ märzlichen Periode unsrer poetischen Literatur und der damals herrschenden Neigung zu dem an, was man politische Lyrik taufte, zur andern Hälfte der Entwicklung nach 1848 und der Gegenwart. Soviel wir übersehen können, umfaßt die vor¬ liegende, in ungewöhnlich reicher und stilvoller typographischer Ausstattung erschienene Gcsmumtausgabe Gedichte, welche den ersten vierziger und solche, die den allerletzten Jahren entstammen, repräsentirt sonach die ganze poetische Entwicklung Alfred Mei߬ ners, soweit dieselbe auf dem lyrischen und lyrisch-epischen Gebiete stattgefunden. Neben den sämmtlichen lyrischen Dichtungen des deutsch-österreichischen Poeten ge¬ hören ihr der „Ziska" (in 13. Auflage des Gedichts), die erzählenden Dich¬ tungen „Werinher" und „König Sadal" an, von denen die letztere, wenigstens dem Referenten, völlig neu ist. Die Gedichte von der „Communion," welche die Jahres¬ zahl 184» trägt, bis zu den „Herbstblumen," überschrieben«» Schlußliederu des vierten Bandes, die in tieferschütterten innigen Weisen um den frühen Tod der jungen Gattin des Dichters klagen, sind Erinnerungen eines reichen, zu Zeiten wild¬ bewegten Lebens, ihr Grundzug ein düster elegischer, fast Pcssinüstischcr. Der Goethischen Forderung, daß die Poesie als weltliches Evangelium Heiterkeit wecken solle, ent¬ sprechen sie selten, aber auch der Dichter des „Faust" hat erfahren müssen, daß es nicht überall im Willen des Sterblichen liegt, glücklich zu sein. Freilich wird selbst bei gleichartigen Lebensschicksalen immer die ursprüngliche Ncituranlagc eiues Dichters und der Zug gewisser Zeiten, den einen zu milder Versöhnung, den andern nur zu herber Resignation gelangen lassen. Meißner, welcher die Sammlung seiner Jugend¬ gedichte im Jahre 1357 mit den Worten hinausgesandt: spiegelt meines Stromes Welle Wieder einen Hellem Tag — Wisset auch, wie seine Quelle Düster zwischen Feife» lag. hat nach allem, was ihm inzwischen das Leben gebracht und genommen, sich ein wild pessimistisches Schlußwort nicht versagen mögen, das er „Eingang und Aus- gang" überschreibt: An: Lebenseingauq steht geschrieben: Alles steht in höherer Hut, Du sollst glücklich sein, sollst lieben. Ehre die Menschen, die meisten sind gut!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/169>, abgerufen am 25.08.2024.