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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lin Ziigendfrennd Goethes.

Sie macht sich ohne Reime Lust;
Sie ists, die ungekünstelt ruft:
So, wie du jetzo lebst, so werde noch viel älter,
Nie an Gefühl, und nie an Lust zur Arbeit kälter,
Und niemals kälter gegen mich,
Der jetzt den Dichterschweiß von müder Stirne strich!

Die vierte Reihe der poetischen Productionen Behrischs umfaßt die Inschriften,
die er theils zum Schmuck der voni Fürsten und dessen Bruder, dein Prinzen Hans
Jürge, geschaffnen Parkanlagen, theils für Grabdenkmäler verfaßte. Sie sind meist
in Distichen geschrieben und zeigen, daß sich Behrisch auch in dieser schwierigen Form
geschickt bewegte.

Uebersehen wir Behrischs poetische Thätigkeit, so werden wir freilich bald ge¬
wahr, daß er nicht ein Dichter im vollen Sinne des Wortes war: dazu fehlte ihm
Unmittelbarkeit, Schwung, Tiefe, Reichthum und Umfang des Geistes; ebenso aber
müssen wir einräumen, daß er unter den Dichtern durchaus nicht zu den Mindest-
Befähigten gehört. Was Rode an Knebel schreibt, trifft vollkommen zu: wir finden
in der That unter Behrischs Gedichten "viel artige, witzige Sachen"; ja wir finden
noch mehr darin. Besonders anzuerkennen ist, was die äußre Form betrifft, die
durchgängige Correctheit der Sprache und der Wohlklang der Verse.

Fern von allem falsch Akademischen, was wenigstens in seinen spätern Jahren
rings um ihn her grassirte, giebt er uns stets seine Auffassung, seine innerste Stim¬
mung, und zwar so ungeschminkt, so ehrlich, daß er uns in jedem Gedichte als eine
lebendige Gestalt, mit den Vorzügen und Mängeln, die an ihm hafteten, vor die Seele
tritt. Wäre Behrisch nicht eine so harmlose Natur gewesen, die bei allen eignen
Sonderbarkeiten auch gern jeden andern gewähren ließ, so hätte er wohl ein geschickter
Satiriker werden können. Den Blick für die Eigenthümlichkeiten und Lächerlichkeiten
der Menschen hatte er vollauf und an feiner witziger Wiedergabe seiner Gedanken
fehlte es ihm auch uicht.

Seine kritische Befähigung war jedenfalls nicht unbedeutend. Daß er des jungen
Goethe von Anfang an sich so hingebend annahm und in den schwachen Anfängen
desselben sofort das Neue, Lebendige, Poetische erkannte, muß uns fiir seine Be¬
gabung und Seil: Urtheil um so mehr einnehmen, als er sich sonst der dichterischen
Production seiner Zeit gegenüber im allgemeinen abweisend verhielt.

So stellt sich uns das Bild jenes ersten Führers Goethes auf dem Gebiete
der Poesie immer deutlicher und achtunggebietender dar und wir würden es nur
für Erfüllung einer ihm längst schuldigen Pflicht ansehen, wenn Literaturgeschichten
und speciell auch Goethe-Biographien demselben eine gleiche Stellung für Goethes
Leipziger Zeit anwiesen, wie man sich längst gewöhnt hat, sie Merck für die spätere
rheinische Zeit anzuweisen. Beherzigt man, was Goethe selbst über Behrischs Ein¬
fluß bemerkt, so ist das wahrlich schon bedeutend genug, Behrisch eine wichtige
Stelle in Goethes erster Entwicklung zu vindiciren: Natürlichkeit, Klarheit, Sach-


Lin Ziigendfrennd Goethes.

Sie macht sich ohne Reime Lust;
Sie ists, die ungekünstelt ruft:
So, wie du jetzo lebst, so werde noch viel älter,
Nie an Gefühl, und nie an Lust zur Arbeit kälter,
Und niemals kälter gegen mich,
Der jetzt den Dichterschweiß von müder Stirne strich!

Die vierte Reihe der poetischen Productionen Behrischs umfaßt die Inschriften,
die er theils zum Schmuck der voni Fürsten und dessen Bruder, dein Prinzen Hans
Jürge, geschaffnen Parkanlagen, theils für Grabdenkmäler verfaßte. Sie sind meist
in Distichen geschrieben und zeigen, daß sich Behrisch auch in dieser schwierigen Form
geschickt bewegte.

Uebersehen wir Behrischs poetische Thätigkeit, so werden wir freilich bald ge¬
wahr, daß er nicht ein Dichter im vollen Sinne des Wortes war: dazu fehlte ihm
Unmittelbarkeit, Schwung, Tiefe, Reichthum und Umfang des Geistes; ebenso aber
müssen wir einräumen, daß er unter den Dichtern durchaus nicht zu den Mindest-
Befähigten gehört. Was Rode an Knebel schreibt, trifft vollkommen zu: wir finden
in der That unter Behrischs Gedichten „viel artige, witzige Sachen"; ja wir finden
noch mehr darin. Besonders anzuerkennen ist, was die äußre Form betrifft, die
durchgängige Correctheit der Sprache und der Wohlklang der Verse.

Fern von allem falsch Akademischen, was wenigstens in seinen spätern Jahren
rings um ihn her grassirte, giebt er uns stets seine Auffassung, seine innerste Stim¬
mung, und zwar so ungeschminkt, so ehrlich, daß er uns in jedem Gedichte als eine
lebendige Gestalt, mit den Vorzügen und Mängeln, die an ihm hafteten, vor die Seele
tritt. Wäre Behrisch nicht eine so harmlose Natur gewesen, die bei allen eignen
Sonderbarkeiten auch gern jeden andern gewähren ließ, so hätte er wohl ein geschickter
Satiriker werden können. Den Blick für die Eigenthümlichkeiten und Lächerlichkeiten
der Menschen hatte er vollauf und an feiner witziger Wiedergabe seiner Gedanken
fehlte es ihm auch uicht.

Seine kritische Befähigung war jedenfalls nicht unbedeutend. Daß er des jungen
Goethe von Anfang an sich so hingebend annahm und in den schwachen Anfängen
desselben sofort das Neue, Lebendige, Poetische erkannte, muß uns fiir seine Be¬
gabung und Seil: Urtheil um so mehr einnehmen, als er sich sonst der dichterischen
Production seiner Zeit gegenüber im allgemeinen abweisend verhielt.

So stellt sich uns das Bild jenes ersten Führers Goethes auf dem Gebiete
der Poesie immer deutlicher und achtunggebietender dar und wir würden es nur
für Erfüllung einer ihm längst schuldigen Pflicht ansehen, wenn Literaturgeschichten
und speciell auch Goethe-Biographien demselben eine gleiche Stellung für Goethes
Leipziger Zeit anwiesen, wie man sich längst gewöhnt hat, sie Merck für die spätere
rheinische Zeit anzuweisen. Beherzigt man, was Goethe selbst über Behrischs Ein¬
fluß bemerkt, so ist das wahrlich schon bedeutend genug, Behrisch eine wichtige
Stelle in Goethes erster Entwicklung zu vindiciren: Natürlichkeit, Klarheit, Sach-


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[0168] Lin Ziigendfrennd Goethes. Sie macht sich ohne Reime Lust; Sie ists, die ungekünstelt ruft: So, wie du jetzo lebst, so werde noch viel älter, Nie an Gefühl, und nie an Lust zur Arbeit kälter, Und niemals kälter gegen mich, Der jetzt den Dichterschweiß von müder Stirne strich! Die vierte Reihe der poetischen Productionen Behrischs umfaßt die Inschriften, die er theils zum Schmuck der voni Fürsten und dessen Bruder, dein Prinzen Hans Jürge, geschaffnen Parkanlagen, theils für Grabdenkmäler verfaßte. Sie sind meist in Distichen geschrieben und zeigen, daß sich Behrisch auch in dieser schwierigen Form geschickt bewegte. Uebersehen wir Behrischs poetische Thätigkeit, so werden wir freilich bald ge¬ wahr, daß er nicht ein Dichter im vollen Sinne des Wortes war: dazu fehlte ihm Unmittelbarkeit, Schwung, Tiefe, Reichthum und Umfang des Geistes; ebenso aber müssen wir einräumen, daß er unter den Dichtern durchaus nicht zu den Mindest- Befähigten gehört. Was Rode an Knebel schreibt, trifft vollkommen zu: wir finden in der That unter Behrischs Gedichten „viel artige, witzige Sachen"; ja wir finden noch mehr darin. Besonders anzuerkennen ist, was die äußre Form betrifft, die durchgängige Correctheit der Sprache und der Wohlklang der Verse. Fern von allem falsch Akademischen, was wenigstens in seinen spätern Jahren rings um ihn her grassirte, giebt er uns stets seine Auffassung, seine innerste Stim¬ mung, und zwar so ungeschminkt, so ehrlich, daß er uns in jedem Gedichte als eine lebendige Gestalt, mit den Vorzügen und Mängeln, die an ihm hafteten, vor die Seele tritt. Wäre Behrisch nicht eine so harmlose Natur gewesen, die bei allen eignen Sonderbarkeiten auch gern jeden andern gewähren ließ, so hätte er wohl ein geschickter Satiriker werden können. Den Blick für die Eigenthümlichkeiten und Lächerlichkeiten der Menschen hatte er vollauf und an feiner witziger Wiedergabe seiner Gedanken fehlte es ihm auch uicht. Seine kritische Befähigung war jedenfalls nicht unbedeutend. Daß er des jungen Goethe von Anfang an sich so hingebend annahm und in den schwachen Anfängen desselben sofort das Neue, Lebendige, Poetische erkannte, muß uns fiir seine Be¬ gabung und Seil: Urtheil um so mehr einnehmen, als er sich sonst der dichterischen Production seiner Zeit gegenüber im allgemeinen abweisend verhielt. So stellt sich uns das Bild jenes ersten Führers Goethes auf dem Gebiete der Poesie immer deutlicher und achtunggebietender dar und wir würden es nur für Erfüllung einer ihm längst schuldigen Pflicht ansehen, wenn Literaturgeschichten und speciell auch Goethe-Biographien demselben eine gleiche Stellung für Goethes Leipziger Zeit anwiesen, wie man sich längst gewöhnt hat, sie Merck für die spätere rheinische Zeit anzuweisen. Beherzigt man, was Goethe selbst über Behrischs Ein¬ fluß bemerkt, so ist das wahrlich schon bedeutend genug, Behrisch eine wichtige Stelle in Goethes erster Entwicklung zu vindiciren: Natürlichkeit, Klarheit, Sach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/168>, abgerufen am 23.07.2024.