Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

konnten, bis sich uns eine günstige Gelegenheit zur Passirung des Flusses
darböte.

Zu diesem Zwecke wandte ich mich an den Vater eines Mädchens, welches
bei mir gedient hatte, einen Lutheraner. Wir kamen mit Tagesanbruch bei ihm
an; aber der gute Mnun erschrak über die Gefahr, welche mit unserer Verbergung
verbunden, und weigerte sich, uns aufzunehmen. Dn dies seine Tochter sah, so
führte sie uns nach einem Meierhofe außerhalb der Stadt, welcher dein Grase"
gehörte und von guten Wallone" bewohnt wurde. Diese empfingen uus mit Ver-
gnügen und gaben uns eine gute Stube und Frühstück. Hierauf ließ ich ein
Pferd für unsern Wegweiser holen, welchen ich nach Homburg schicken wollte,
um unsre Frauen von unserm Aufenthaltsorte zu benachrichtigen und daß
es Zeit sei, sich davon zu mache". Ich gab ihm hierzu ein Beglaubigungs¬
schreiben an meine Frau, wie auch unsre mündlichen Instructionen, worauf er
uns verließ und dreist über die Brücke passirte. Da er sehr gut deutsch sprach,
so wurde er von den Wachen sür einen Landsmann gehalten. Als er in Hom¬
burg angekommen war, wagte er nicht, weil er ein armer Teufel war, unsre
Frauen in dem ihm von uns angezeigten Hause aufzusuchen, sondern als er mitten
dnrch die Stadt ging, begab er sich in ein Wirthshaus, welches außer dem Thore
von Deutschland war. Als er hier war, erkundigte er sich, ob uicht solche Fraue"
i" der Stadt wären und sagte, daß er sie gerne sprechen möchte. Es befand
sich da gerade eine Frau, welche sie kannte und sie sogleich davon benachrichtigte.
Hierauf nähme" sie ihre sieben Kinder, nämlich vier meines Schwagers, zwei von
mir und meinen kleinen Bruder mit sich und verfügten sich ins Wirthshaus,
wo dieser Wegweiser meiner Frau das Beglaubigungsschreiben überreichte, welches
sie sogleich erkannte. Als er ihnen hierauf seine Aufträge bestellt hatte, befanden
sie sich ein wenig wegen des Briefes in Verlegenheit, den ich bei meiner Ab¬
reise von Metz geschrieben.

Da sie jedoch eben so viel Lust hatte wieder bei nur zu sein, als ich bei
ihr zu sein, so faßte sie sogleich ihren Entschluß, nämlich meiner letzten Nachricht
zu folgen, und brachte auch ihre Schwester hiezu. Unterdeß wurde es Nacht,
die Thore wurden geschlossen, und ein Sergeant der Garde brachte ihnen den
Befehl, in die Stadt zurückzukehre". Sie mußten gehorchen, wohl ohne Widerrede,
aber mit vielem Verdrösse. Einige Maßregeln jedoch, welche ich schon in Metz
mit einen? Freunde in der Pfalz ergriffen hatte, begünstigten ihre Entweichung,
denn am andern Morgen ließ er ihnen sagen, daß in einiger Entfernung vom
Thore ein Wagen sei, um sie zu entführen. Sie fragten einige dortige Freunde
um Rath, welche ihnen riethen, von dieser Gelegenheit Gebrauch zu machen,
und mit Hilfe zweier guten Frauen schickten sie ihre Kinder und ihr sehr kleines


Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

konnten, bis sich uns eine günstige Gelegenheit zur Passirung des Flusses
darböte.

Zu diesem Zwecke wandte ich mich an den Vater eines Mädchens, welches
bei mir gedient hatte, einen Lutheraner. Wir kamen mit Tagesanbruch bei ihm
an; aber der gute Mnun erschrak über die Gefahr, welche mit unserer Verbergung
verbunden, und weigerte sich, uns aufzunehmen. Dn dies seine Tochter sah, so
führte sie uns nach einem Meierhofe außerhalb der Stadt, welcher dein Grase»
gehörte und von guten Wallone» bewohnt wurde. Diese empfingen uus mit Ver-
gnügen und gaben uns eine gute Stube und Frühstück. Hierauf ließ ich ein
Pferd für unsern Wegweiser holen, welchen ich nach Homburg schicken wollte,
um unsre Frauen von unserm Aufenthaltsorte zu benachrichtigen und daß
es Zeit sei, sich davon zu mache». Ich gab ihm hierzu ein Beglaubigungs¬
schreiben an meine Frau, wie auch unsre mündlichen Instructionen, worauf er
uns verließ und dreist über die Brücke passirte. Da er sehr gut deutsch sprach,
so wurde er von den Wachen sür einen Landsmann gehalten. Als er in Hom¬
burg angekommen war, wagte er nicht, weil er ein armer Teufel war, unsre
Frauen in dem ihm von uns angezeigten Hause aufzusuchen, sondern als er mitten
dnrch die Stadt ging, begab er sich in ein Wirthshaus, welches außer dem Thore
von Deutschland war. Als er hier war, erkundigte er sich, ob uicht solche Fraue»
i» der Stadt wären und sagte, daß er sie gerne sprechen möchte. Es befand
sich da gerade eine Frau, welche sie kannte und sie sogleich davon benachrichtigte.
Hierauf nähme» sie ihre sieben Kinder, nämlich vier meines Schwagers, zwei von
mir und meinen kleinen Bruder mit sich und verfügten sich ins Wirthshaus,
wo dieser Wegweiser meiner Frau das Beglaubigungsschreiben überreichte, welches
sie sogleich erkannte. Als er ihnen hierauf seine Aufträge bestellt hatte, befanden
sie sich ein wenig wegen des Briefes in Verlegenheit, den ich bei meiner Ab¬
reise von Metz geschrieben.

Da sie jedoch eben so viel Lust hatte wieder bei nur zu sein, als ich bei
ihr zu sein, so faßte sie sogleich ihren Entschluß, nämlich meiner letzten Nachricht
zu folgen, und brachte auch ihre Schwester hiezu. Unterdeß wurde es Nacht,
die Thore wurden geschlossen, und ein Sergeant der Garde brachte ihnen den
Befehl, in die Stadt zurückzukehre». Sie mußten gehorchen, wohl ohne Widerrede,
aber mit vielem Verdrösse. Einige Maßregeln jedoch, welche ich schon in Metz
mit einen? Freunde in der Pfalz ergriffen hatte, begünstigten ihre Entweichung,
denn am andern Morgen ließ er ihnen sagen, daß in einiger Entfernung vom
Thore ein Wagen sei, um sie zu entführen. Sie fragten einige dortige Freunde
um Rath, welche ihnen riethen, von dieser Gelegenheit Gebrauch zu machen,
und mit Hilfe zweier guten Frauen schickten sie ihre Kinder und ihr sehr kleines


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149722"/>
          <fw type="header" place="top"> Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_499" prev="#ID_498"> konnten, bis sich uns eine günstige Gelegenheit zur Passirung des Flusses<lb/>
darböte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_500"> Zu diesem Zwecke wandte ich mich an den Vater eines Mädchens, welches<lb/>
bei mir gedient hatte, einen Lutheraner. Wir kamen mit Tagesanbruch bei ihm<lb/>
an; aber der gute Mnun erschrak über die Gefahr, welche mit unserer Verbergung<lb/>
verbunden, und weigerte sich, uns aufzunehmen. Dn dies seine Tochter sah, so<lb/>
führte sie uns nach einem Meierhofe außerhalb der Stadt, welcher dein Grase»<lb/>
gehörte und von guten Wallone» bewohnt wurde. Diese empfingen uus mit Ver-<lb/>
gnügen und gaben uns eine gute Stube und Frühstück. Hierauf ließ ich ein<lb/>
Pferd für unsern Wegweiser holen, welchen ich nach Homburg schicken wollte,<lb/>
um unsre Frauen von unserm Aufenthaltsorte zu benachrichtigen und daß<lb/>
es Zeit sei, sich davon zu mache». Ich gab ihm hierzu ein Beglaubigungs¬<lb/>
schreiben an meine Frau, wie auch unsre mündlichen Instructionen, worauf er<lb/>
uns verließ und dreist über die Brücke passirte. Da er sehr gut deutsch sprach,<lb/>
so wurde er von den Wachen sür einen Landsmann gehalten. Als er in Hom¬<lb/>
burg angekommen war, wagte er nicht, weil er ein armer Teufel war, unsre<lb/>
Frauen in dem ihm von uns angezeigten Hause aufzusuchen, sondern als er mitten<lb/>
dnrch die Stadt ging, begab er sich in ein Wirthshaus, welches außer dem Thore<lb/>
von Deutschland war. Als er hier war, erkundigte er sich, ob uicht solche Fraue»<lb/>
i» der Stadt wären und sagte, daß er sie gerne sprechen möchte. Es befand<lb/>
sich da gerade eine Frau, welche sie kannte und sie sogleich davon benachrichtigte.<lb/>
Hierauf nähme» sie ihre sieben Kinder, nämlich vier meines Schwagers, zwei von<lb/>
mir und meinen kleinen Bruder mit sich und verfügten sich ins Wirthshaus,<lb/>
wo dieser Wegweiser meiner Frau das Beglaubigungsschreiben überreichte, welches<lb/>
sie sogleich erkannte. Als er ihnen hierauf seine Aufträge bestellt hatte, befanden<lb/>
sie sich ein wenig wegen des Briefes in Verlegenheit, den ich bei meiner Ab¬<lb/>
reise von Metz geschrieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_501" next="#ID_502"> Da sie jedoch eben so viel Lust hatte wieder bei nur zu sein, als ich bei<lb/>
ihr zu sein, so faßte sie sogleich ihren Entschluß, nämlich meiner letzten Nachricht<lb/>
zu folgen, und brachte auch ihre Schwester hiezu. Unterdeß wurde es Nacht,<lb/>
die Thore wurden geschlossen, und ein Sergeant der Garde brachte ihnen den<lb/>
Befehl, in die Stadt zurückzukehre». Sie mußten gehorchen, wohl ohne Widerrede,<lb/>
aber mit vielem Verdrösse. Einige Maßregeln jedoch, welche ich schon in Metz<lb/>
mit einen? Freunde in der Pfalz ergriffen hatte, begünstigten ihre Entweichung,<lb/>
denn am andern Morgen ließ er ihnen sagen, daß in einiger Entfernung vom<lb/>
Thore ein Wagen sei, um sie zu entführen. Sie fragten einige dortige Freunde<lb/>
um Rath, welche ihnen riethen, von dieser Gelegenheit Gebrauch zu machen,<lb/>
und mit Hilfe zweier guten Frauen schickten sie ihre Kinder und ihr sehr kleines</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes. konnten, bis sich uns eine günstige Gelegenheit zur Passirung des Flusses darböte. Zu diesem Zwecke wandte ich mich an den Vater eines Mädchens, welches bei mir gedient hatte, einen Lutheraner. Wir kamen mit Tagesanbruch bei ihm an; aber der gute Mnun erschrak über die Gefahr, welche mit unserer Verbergung verbunden, und weigerte sich, uns aufzunehmen. Dn dies seine Tochter sah, so führte sie uns nach einem Meierhofe außerhalb der Stadt, welcher dein Grase» gehörte und von guten Wallone» bewohnt wurde. Diese empfingen uus mit Ver- gnügen und gaben uns eine gute Stube und Frühstück. Hierauf ließ ich ein Pferd für unsern Wegweiser holen, welchen ich nach Homburg schicken wollte, um unsre Frauen von unserm Aufenthaltsorte zu benachrichtigen und daß es Zeit sei, sich davon zu mache». Ich gab ihm hierzu ein Beglaubigungs¬ schreiben an meine Frau, wie auch unsre mündlichen Instructionen, worauf er uns verließ und dreist über die Brücke passirte. Da er sehr gut deutsch sprach, so wurde er von den Wachen sür einen Landsmann gehalten. Als er in Hom¬ burg angekommen war, wagte er nicht, weil er ein armer Teufel war, unsre Frauen in dem ihm von uns angezeigten Hause aufzusuchen, sondern als er mitten dnrch die Stadt ging, begab er sich in ein Wirthshaus, welches außer dem Thore von Deutschland war. Als er hier war, erkundigte er sich, ob uicht solche Fraue» i» der Stadt wären und sagte, daß er sie gerne sprechen möchte. Es befand sich da gerade eine Frau, welche sie kannte und sie sogleich davon benachrichtigte. Hierauf nähme» sie ihre sieben Kinder, nämlich vier meines Schwagers, zwei von mir und meinen kleinen Bruder mit sich und verfügten sich ins Wirthshaus, wo dieser Wegweiser meiner Frau das Beglaubigungsschreiben überreichte, welches sie sogleich erkannte. Als er ihnen hierauf seine Aufträge bestellt hatte, befanden sie sich ein wenig wegen des Briefes in Verlegenheit, den ich bei meiner Ab¬ reise von Metz geschrieben. Da sie jedoch eben so viel Lust hatte wieder bei nur zu sein, als ich bei ihr zu sein, so faßte sie sogleich ihren Entschluß, nämlich meiner letzten Nachricht zu folgen, und brachte auch ihre Schwester hiezu. Unterdeß wurde es Nacht, die Thore wurden geschlossen, und ein Sergeant der Garde brachte ihnen den Befehl, in die Stadt zurückzukehre». Sie mußten gehorchen, wohl ohne Widerrede, aber mit vielem Verdrösse. Einige Maßregeln jedoch, welche ich schon in Metz mit einen? Freunde in der Pfalz ergriffen hatte, begünstigten ihre Entweichung, denn am andern Morgen ließ er ihnen sagen, daß in einiger Entfernung vom Thore ein Wagen sei, um sie zu entführen. Sie fragten einige dortige Freunde um Rath, welche ihnen riethen, von dieser Gelegenheit Gebrauch zu machen, und mit Hilfe zweier guten Frauen schickten sie ihre Kinder und ihr sehr kleines

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/150>, abgerufen am 23.07.2024.